# taz.de -- Ateliernotstand in Berlin: Keine Kunst ohne Raum | |
> In Schöneweide kämpfen Künstler*innen mit einer Ausstellung für den | |
> Erhalt einer Atelieretage in den Rathenauhallen. | |
Bild: Blick auf die Rathenauhallen | |
Allein schon für diese Aussicht lohnt es sich zu kämpfen. Möglicherweise | |
handelt es sich bei der Atelieretage in Berlin-Schöneweide, in der neben 14 | |
weiteren Künstler*innen auch Marie Rief und Filip Zorzor arbeiten, um die | |
schönste der Stadt. Wegen der Aussicht. | |
In der obersten Etage einer der historischen Rathenauhallen direkt an der | |
Spree gelegen, blicken die Rief und Zorzor von ihren Schreibtischen aus, | |
auf denen sich Farbtuben, Pinsel, Skizzenpapiere und Zeichenmaterial | |
stapeln, direkt aufs Wasser, auf die hohen Bäume, die sich darin spiegeln | |
und auch auf ein Graffiti, das bereits vor einigen Jahren jemand auf die | |
Ufermauer angebracht hat: „Ich liebe dich“, steht darauf. | |
Bezogen auf die Etage findet Rief das genau passend. Auch für sie ist es so | |
etwas wie Liebe, was sie mit ihrem Studio verbindet, in das sie vor vier | |
Jahren eingezogen ist. Zorzor ist sogar schon seit fünf Jahren dort, wie | |
die meisten der anderen Künstler*innen in der Etage, in der vorher die | |
Karl-Hofer-Gesellschaft, der gemeinnützige Freundeskreis der Universität | |
der Künste, Studios für Stipendiaten und Gäste anbot. | |
Bald könnte es damit jedoch vorbei sein. Die irische Holding, der das | |
gesamte Gelände der Rathenauhallen gehört, alle 72 000 Quadratmeter, soll | |
planen, dieses zu verkaufen oder – hat das womöglich bereits getan. | |
Genaueres wissen die Künstler*innen nicht, nur, dass der Mietvertrag mit | |
der Karl-Hofer-Gesellschaft Ende des Jahres auslaufen soll. | |
Ob es eine Verlängerung geben wird und zu welchen Konditionen, diese | |
ausfallen könnte, im Gespräch sind offenbar Einjahresverträge, entscheidet | |
sich Ende dieses Monats. Heißt es. Alles hängt in der Schwebe, die | |
Künstler*innen sorgen sich um ihre Zukunft. | |
Eine Ausstellung zum Gallery Weekend | |
Am 27. und 28. April, pünktlich zum Gallery Weekend, dem alljährlichen | |
Kunstschaulaufen, öffnen sie deshalb ihre Türen für eine Ausstellung, eine | |
Ausstellung, die ein Zeichen setzen soll für die Notwendigkeit von | |
ausreichend Atelierräumen in Berlin. | |
Ein Künstler*innenatelier ist mehr als nur ein Arbeitsraum, es ist ebenso | |
Rückzugsort, Denkort, Präsentationsfläche und Treffpunkt zum Austausch mit | |
anderen. Ohne Ateliers kann es keine Kunst geben, deshalb betrifft der | |
Ateliermangel eigentlich jeden, der oder die sich für Kunst interessiert. | |
Die Immobilienkrise ist auch eine Atelierkrise, und was für eine. Räume | |
sind rar, bezahlbare noch rarer. | |
„Künstler*innen können nicht konkurrieren auf dem normalen, üblichen | |
Gewerbeimmobilienmarkt, erst recht nicht, wenn diese zu | |
Spekulationsobjekten werden“, sagt Alexander Callsen. | |
Callsen weiß, wovon er redet. Im Jahr 2015 gründete der | |
Installationskünstler, der früher im inzwischen geschlossenen Atelierhaus | |
PostOst in der Palisadenstraße arbeitete, Die Allianz (bedrohter) Berliner | |
Atelier Häuser, [1][AbBA], mit. AbBa setzten sich damals für den Erhalt von | |
zehn bedrohten Häusern ein, heute sind 30 Atelierhäuser Mitglied, gefährdet | |
sind noch mehr. | |
Ateliers fehlen überall in Berlin | |
Die Situation ist überall in der Stadt angespannt. Nach Angaben des | |
Atelierbeauftragten des Berufsverbandes Bildender Künstler*innen suchten | |
derzeit etwa 50 Prozent der 8000-10.000 bildende Künstler*innen in Berlin | |
ein Atelier, gingen seit etwa zehn Jahren pro Jahr 350 bezahlbare Ateliers | |
verloren, fehlten kurzfristig etwa 2000, mittelfristig 4000 neue Ateliers. | |
Callsen gehört mit ABbA inzwischen auch zur Kerngruppe von [2][AKKU | |
Berlin]. AKKU steht für Aktionsgruppe bildender Künstler*innen, die Gruppe | |
bildete sich in Folge des Entwurfs der Berliner Kulturverwaltung | |
Kulturraumbüro 2.0. „Katastrophal“, nennt Zoë Claire Miller diesen, Miller | |
ist Künstlerin und Sprecherin des Berufsverbandes Bildender Künstler*innen | |
Berlin sowie von AKKU. | |
Was sie stattdessen fordern ist eine Art Infrastrukturförderung, eine | |
Stärkung des Atelierbeauftragten und des Atelierbüros des BBK sowie ein | |
Mitspracherecht von Künstler*innen. Geschichten wie die von Riefs und | |
Zorzors Ateliergemeinschaft könnten Miller und Callsen zahllose erzählen. | |
Kräfte zu bündeln und gemeinsam für alle viel zu erreichen, ist darum ihr | |
größtes Ziel. | |
Auch Rief und Zorzor in Schöneweide ist bewusst, dass sie kein Einzelfall | |
sind. „Jeder von uns Künstler*innen und jede*r andere Künstler*in in Berlin | |
kennt mindestens eine*n, der oder die demnächst aus dem Atelier fliegt“, | |
sagt Rief. Auch in ihrer Ausstellung soll es nicht nur um ihren konkreten | |
Fall gehen, natürlich aber auch, Rief, Zorzor und ihre Kolleg*innen wollen | |
Aufmerksamkeit für den Ateliernotstand der ganzen Stadt schaffen. | |
„Das Thema sind wir“, sagt Zorzor, „die Realität an dem Standort.“ Des… | |
präsentieren sie ihre Kunst auch direkt in den Atelierräumen: „weil wir das | |
noch näher dran finden und geeigneter um dieses Panoptikum der | |
unterschiedlichen Personen, die hier arbeiten, zu zeigen.“ | |
In jedem Raum treffen zwei Positionen aufeinander, zum Teil von | |
Künstler*innen aus der Etage, zum Teil von Gästen. Mit Jorinde Voigt, | |
Alicja Kwade und Christian Jankowski konnte die Ateliergemeinschaft drei | |
renommierte Kolleg*innen aus der direkten Nachbarschaft – alle drei | |
arbeiten in den angrenzenden Reinbeckhallen – dafür gewonnen werden, sich | |
zu beteiligen und Solidarität zu demonstrieren. | |
Außerdem wird Raul Walch eine Arbeit im Außenraum anbringen, die schon von | |
fern auf die Ausstellung hinweisen soll. Denn: Auch wer aktuell nicht | |
betroffen ist, weiß, wie belastend die Angst um den eigenen Arbeitsraum | |
sein kann. | |
AKKU planen einige Aktionen, die noch geheim sind, weil sie als | |
Überraschungen besser wirken. Rief und Zorzor haben die Hoffnung, ihre | |
Etage zu retten, noch nicht aufgegeben. Vielleicht gelingt es ihnen sogar, | |
die Besitzer der Rathenauhallen zu ihrer Ausstellung einzuladen und dann | |
womöglich davon zu überzeugen, ihnen eine Weiternutzung zu ermöglichen. | |
„Triste Wüste“, sagt Rief, „will doch eigentlich niemand.“ | |
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg | |
immer donnerstags in der Printausgabe der taz. | |
26 Apr 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://abbanetzwerk.tumblr.com/ | |
[2] http://akku-berlin.org/de/ | |
## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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