# taz.de -- Armut unter Kunstschaffenden: Alles ist prekär | |
> Wer Kunst schaffen will, lebt oft in prekären Umständen. | |
> Künstler*innen sollten offener darüber sprechen, denn nur so kommt | |
> Veränderung. | |
Bild: Kunstschaffende wie die im Theater bräuchten eine helfende Hand | |
Am Tag der Arbeit war ich auf der Suche nach der Kunst. Aber ich konnte sie | |
nicht finden. Das ist traurig, denn die Arbeitsbedingungen für | |
Künstler*innen, besonders freie, sind untragbar. | |
Alles ist prekär. Nichts ist planbar. Freie Künstler*innen leben | |
meistens von Projekt zu Projekt. Das Einkommen ist nicht nur niedrig, | |
sondern auch unregelmäßig. Die Infrastruktur bröckelt, es fehlt an Ateliers | |
und Proberäumen, Spielstätten sind unterfinanziert. Inflation, steigende | |
Miet- und Energiekosten belasten das Theater besonders. | |
Künstler*innen sind ständig unter Druck. Pauschale Gagen führen dazu, | |
dass unerwartete Mehrarbeit unbezahlt bleibt. Aufträge sind viel zu stark | |
von persönlichen Beziehungen abhängig, und wenn wir ehrlich sind: Förderung | |
auch. Berufliches und Privates sind miteinander verwoben, Abgrenzung ist | |
schwierig, und gearbeitet wird auch abends und am Wochenende. Krank werden | |
gefährdet die Existenz, und [1][Rente wird es niemals geben]. Also raus zum | |
ersten Mai! Oder auch nicht. | |
Arbeit gilt im Theater immer noch irgendwie als geil. Auch wenn diese | |
Einstellung langsam bröckelt: Wir haben uns zu lange erzählen lassen und | |
selbst erzählt, dass es ein Privileg ist, diese Berufe ausüben zu dürfen. | |
Außerdem ist es eigentlich auch gar keine Arbeit, sondern Leidenschaft, | |
Liebe, vielleicht sogar Zwang. Die wahre Künstlerin kann nicht anders, als | |
Kunst zu schaffen. | |
## Problem nicht sichtbar | |
Doch auch in der Kultur gilt: Arbeit ist genauso wenig geil, wie Armut sexy | |
ist. Und ganz ehrlich: Die großen inspirierenden Momente voll | |
künstlerischem Ausdruck, Kreativität und der Rausch auf der Bühne sind der | |
geringste Teil. Meistens mach ich E-Mails. | |
Künstler*innen sprechen nicht gern über ihre Arbeitsbedingungen. Und sie | |
geben – wie viele andere auch – ungern zu, wenn es ihnen scheiße geht. | |
Dabei würden solche Eingeständnisse die Arbeit unserer | |
Interessenvertretungen und Verbände erleichtern. Wenn mehr | |
Künstler*innen leere Bankkonten, Überarbeitung, Sorge und Erschöpfung | |
ansprechen würden (so anstrengend auch das dann ist), wäre das Problem | |
sichtbarer und könnte damit auch schneller anerkannt und bekämpft werden. | |
Doch die Scham ist zu groß. Und die Angst, als unerfolgreich und wenig | |
gefragt zu gelten. Niemand weiß genau, wann aus einer Künstlerin, die | |
ihren großen Durchbruch noch nicht hatte, eine gescheiterte Künstlerin | |
geworden ist. Die Grenzen sind fließend, aber als Letzteres wahrgenommen zu | |
werden kann das berufliche Aus bedeuten. | |
## Mythos: Beste Kunst entsteht durch Mangel | |
In der Kunst verdienen sehr wenige Kolleg*innen sehr viel Geld, während | |
die meisten am Existenzminimum leben. Dagegen etwas zu sagen hieße sich | |
einzugestehen, dass man zur ersten Gruppe wohl nie gehören wird. | |
In [2][einem besorgniserregenden Interview auf dem Portal „Nachtkritik“] | |
verwies Berlins Kultursenator Joe Chialo darauf, dass Mozart arm gestorben | |
sei und dass „Künstler in Afrika“ ja auch nicht staatlich gefördert werde… | |
jedoch vor „Blechhütten“ tanzen und damit auf Tiktok viral gehen. Aha. | |
Mozart starb 1791, und Chialo ist Kultursenator von Berlin. Trotzdem waren | |
das seine Referenzpunkte, als er im Dezember darauf angesprochen wurde, | |
dass der Rat für die Künste vor einem drohenden kulturellen Kahlschlag in | |
Berlin warnt. | |
Dass die beste Kunst durch Mangel entsteht, ist ein trauriger Mythos, der | |
sich zu lange hält. Vielleicht, weil ihn selbst diejenigen verbreiten, die | |
eigentlich die Interessen von Künstler*innen vertreten sollten. | |
2 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Altervorsorge-in-Deutschland/!5993620 | |
[2] https://nachtkritik.de/portraet-reportage/interview-mit-berlins-kultursenat… | |
## AUTOREN | |
Simone Dede Ayivi | |
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