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# taz.de -- Künstlerin Tilla Durieux: Männermordende Erotik
> Das Georg Kolbe Museum in Berlin erinnert mit einer Ausstellung an den
> vergangenen Glamour der Tilla Durieux, die viele Künstler inspirierte.
Bild: Tilla Durieux, fotografiert 1903 als Herodias und als Salomé
Nicht weit entfernt vom Potsdamer Platz in Berlin liegt der
Tilla-Durieux-Park: ein 50 Meter langes schmales Band von bescheidenem Grün
zwischen Neubauten. Urbanes Leben, geschweige denn Glamour findet man dort
eher nicht. Dabei soll der Park mit seinem Namen an eine der glamourösesten
Frauen erinnern, die je in Berlin auf einer Bühne standen: Tilla Durieux.
Max Slevogt malte sie 1907 in aufgewühlten Farben als „Kleopatra“, lasziv
auf Tigerfellen lümmelnd, die Lippen aufgeworfen, schimmernd das Kleid, die
Finger exaltiert gespreizt, der Busen blass aus dem Dekolleté leuchtend.
[1][Franz von Stuck machte die Schauspielerin] mit zurückgelegtem Kopf und
geöffneten Lippen 1912 zu einer Ikone des Jugendstils: „Tilla Durieux als
Circe“ steht auf dem Bild.
Der Malerfürst aus München sonnte sich dabei selbst ein wenig in ihrem
Ruhm, reproduzierte das Bild vielmals als Postkarte, zum Missfallen der
Schauspielerin. Der Bildhauer August Gaul, mit dem sie in Berlin befreundet
war, setzte die Durieux hingegen als nackte Circe in einer kleinen Skulptur
auf ein Schwein, ein Scherz mit dem Mythos der griechischen Zauberin Circe,
die Männer in Schweine verwandeln konnte.
Die Spur der Schauspielerin in der bildenden Kunst ist groß. Und das liegt
nicht nur daran, dass ihr erster Mann, Eugen Spiro, ein Maler gewesen war,
der 1905 von ihr ein hinreißendes Bild als junge Frau im blauweißen Kleid
auf einem blauweißen Sofa malte, das mehr nach Renoir aussieht als das
Porträt, das der französische Impressionist seinerseits später von ihr
malte. Und es liegt auch nicht nur daran, dass sie mit ihrem zweiten Mann,
dem Kunsthändler Paul Cassirer, im Mittelpunkt des Berliner Kunstlebens
stand, sondern ihre Kraft als inspirierende Muse liegt in der Spannbreite
der Rollen, die sie auf der Bühne, im Film und im Leben spielte.
## Männermordende Erotik, biblisch verbrämte Exotik
Davon erzählt die Ausstellung „Tilla Durieux – eine Jahrhundertzeugin und
ihre Rollen“ im Georg Kolbe Museum anschaulich. Tilla Durieux, in Wien 1880
geboren, wurde schon sehr jung zum Star, 1903 am Theater von Max Reinhardt
in Berlin, in der Rolle der Salome.
Das Stück von Oscar Wilde um eine Femme fatale war sowieso
skandalumwittert, in England zunächst von der Zensur verboten, von
männermordender Erotik und biblisch verbrämter Exotik geprägt. Wie sie
Salome spielte, als fleischgewordene Fantasie, wie viel aufmüpfige
Weiblichkeit sie in die Rolle der alle Regeln brechenden Prinzessin legte,
lässt sich freilich nur ahnen. Dabei helfen Fotografien, die sie in
antikisierenden Posen zeigen, schwer mit Schmuck behangen, Arme und
Bauch nackt.
Etwas später tanzte sie Potiphars Weib in der „Josephslegende“ und galt als
die Wunschbesetzung des Komponisten Richard Strauss. Ein Bild von Max
Slevogt zeigt sie in dieser Rolle und eine 1922 entstandene Grafikmappe von
Emil Pirchan lässt die expressiven Stilisierungen erahnen, die das Theater
der Zeit eben auch ausmachten.
Doch Tilla Durieux’ Präsenz auf der Bühne, auch in schwärmerischen Kritiken
belegt, ist nur die eine Seite, der die Ausstellung nachgeht. Sie stellt
die Schauspielerin auch als politisch wache Frau vor, die sich für die
Arbeiterbewegung engagierte, in der Hasenheide für Arbeiter las und Klavier
spielte, mit Rosa Luxemburg befreundet war und sie finanziell unterstützte,
und in der Zeit des Ersten Weltkriegs auch mal einen Mittagstisch für arme
Künstler organisierte.
## Rollenmodell der Emanzipation
Der Kuratorin Daniela Gregori gelingt es, ein Bild von Tilla Durieux auch
als Rollenmodell der Emanzipation – eigenständig, erfolgreich, modern,
zupackend – zu zeigen. Dazu gehört, dass sie Auto fahren liebte,
Gletschertouren unternahm, [2][im Fesselballon flog]. Aber auch nähen
konnte, Kostüme selbst schneiderte, sich private schlichte Tuniken entwarf:
ein Stil, der mit dem Ablegen des Korsetts auch zumindest symbolisch
versprach, Klassenschranken zu überwinden.
Wichtig wurden diese praktischen Fähigkeiten, als sie und ihr dritter
Ehemann, Ludwig Katzenellenbogen, 1933 vor den Nationalsozialisten die
Flucht ergreifen mussten. Katzenellenbogen war als Vorstand einer Brauerei
der Bilanzfälschung angeklagt und sein Prozess wie viele in der Zeit von
antisemitischen Tönen begleitet. Ihre Stationen im Exil sind abenteuerlich,
1934 kann sie in Prag Lady Macbeth spielen, zwei Jahre lang leiten
(1936–38) beide ein Hotel in Abbazia in Kroatien: eine Fotoserie zeigt sie
als Hotelchefin.
## Das Passfoto zeigt sie in der Rolle als müde Tänzerin
Die Staatsbürgerschaft von Honduras soll bei der Beantragung für Visa
helfen, Tilla Durieux nutzt als Passfoto erstaunlicherweise ein Bild, das
sie in der Rolle einer armen und müden Tänzerin in einer Inszenierung des
Theaterstücks „Treibjagd“ zeigt. 1941 wird ihr Mann von der Gestapo
verhaftet und deportiert. Er stirbt später in Berlin. Sie bleibt in Zagreb
im Exil, näht Kostüme für ein Puppentheater, von denen zwei in der Berliner
Schau zu sehen sind, und unterstützt [3][den antifaschistischen
Widerstand].
Nicht umsonst trägt die Ausstellung „eine Jahrhundertzeugin“ im Titel. Als
Tilla Durieux 1952 nach Berlin zurückkehrte, gelang ihr eine
Alterskarriere. Sie spielte wieder Theater, in Filmen oder erzählte im
Rundfunk aus ihrem Leben. Stefan Moses fotografierte sie 1963 durch die
Äste eines kahlen Baums mit ihrem Lorgnon schauend, ein selbstironisches
Altersporträt.
In einem kleinen Raum kann man sie in der Solofilmrolle einer alten und
armen Frau erleben, die mit einem gekochten Hummer spricht und Rückschau
hält. Ihr knochiges Gesicht ist noch immer markant, die Lebensspuren nutzt
sie überzeugend für die Gestaltung der verbrauchten und einsamen Frau.
Als sie 1971 mit 90 Jahren in Berlin starb, hatte Tilla Durieux auch viele
Auftritte als Zeitzeugin absolviert und späte Auszeichnungen in der
Bundesrepublik erhalten. Doch das war vor über 50 Jahren. Der Kuratorin des
Berliner Kolbe Museums liegt nun daran, das Interesse von jüngeren
Generationen an ihr zu wecken.
## Die Kunst der Selbstinszenierung
Die Chancen stehen gut, dies ist auch eine Schau über Mode und über die
Kunst der Selbstinszenierung. Allein die Fotografien, auf denen sie sich
mit Tieren zeigte, mit Hunden, Katzen und Papageien im Salon, aber einmal
auch mit zwei jungen Leoparden an der Leine, dokumentieren eine Lust an der
Mitgestaltung aufregender Bilder. Wie man Aufmerksamkeit bekommt, das
wusste Tilla Durieux und das wussten ihre Fotograf:innen.
Was andere Künstler in ihr sahen, lag auch daran, was sie sehen wollten.
Der Bildhauer Ernst Barlach kannte sie gut, beobachtete sie beim
Rollenstudium, in ihren selbst geschneiderten Tuniken. Er war nicht an
ihrer mondänen Seite und erotischen Ausstrahlung interessiert, sondern an
der Ernsthaftigkeit, wie sie sich in ihre Rollen und Stoffe vertiefen
konnte.
Seine Skulptur eines „Buchlesers“, der in einem schlichten Kittel (wie ihre
Tuniken) über ein Buch gebeugt ein Bild der Versenkung darstellt, wird im
Kolbe Museum als ein weiterer Beleg für die inspirierende Ausstrahlung der
Durieux ausgestellt, eine Transformation der Freundschaft mit ihr.
24 May 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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