Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Schau über Elsa Schiaparelli in Paris: Mode der Metamorphosen
> In Paris entwickelte Elsa Schiaparelli ihre Mode der prächtigen
> Verwandlungen. Das Musée des Arts Décoratifs stellt sie vor.
Bild: Blick in die Ausstellung „Shocking! The Surrealist World of Elsa Schiap…
Der bodenlange, weit ausschwingende rote Seidenrock und die eng
geschnittene marineblaue Jacke, auf der gülden die mächtige Friedenstaube
prunkt: Sofort erinnert man [1][Lady Gaga bei der Amtseinführung von Joe
Biden am 20. Januar 2021]. Mit dem spektakulären Ensemble steht plötzlich
die Politik im Raum. Wo es doch im Pariser Musée des Arts Décoratifs (MAD)
um Mode geht, auf gleich zwei Etagen, in der Ausstellung „Shocking! Les
Mondes Surréalistes d’Elsa Schiaparelli“.
Doch mit Lady Gagas Outfit sind die bösartigen Auseinandersetzungen des
amerikanischen Wahlkampfs wieder da. Die Erstürmung des Kapitols durch
einen Mob am 6. Januar hallte zum Zeitpunkt der Inauguration noch nach: Die
fabelhafte Robe, die Daniel Roseberry – der das Label Schiaparelli in den
letzten drei Jahren als Kreativdirektor wieder wach küsste – Lady Gaga
auf den Leib schneiderte, ist nicht nur extravagant, sondern dazu
kugelsicher.
Politik ist in dieser Ausstellung auch sonst im Spiel. Ohne den Scheck über
1 Million Euro von Marina Kellen French wäre die Ausstellung nicht denkbar.
Er finanzierte die notwendige Restaurierung der sechstausend Zeichnungen
und zahlreichen Kleider von Schiaparelli in der Sammlung des Pariser
Museums. Die amerikanische Millionärin ist die Erbin des 1864 in Dresden
gegründeten und 2015 an den Investmentfonds Blackstone verkauften
Bankhauses Arnhold.
Zur der Zeit, als Elsa Schiaparellis Karriere als Modemacherin in der Mitte
der 1930er Jahre ihren Höhepunkt erreichte, sahen sich Kellen Frenchs
Großeltern Hans und Ludmilla Arnhold gezwungen, aus Berlin nach Paris zu
emigrieren und schließlich weiter nach New York – wohin sich 1940 auch Elsa
Schiaparelli für die nächsten fünf Jahre in Sicherheit brachte. Man wird
aber kaum falsch liegen mit der Annahme, dass Großmutter Ludmilla Arnhold
in der Pariser Zeit eher Chanel als Schiaparelli trug. Chanels Mode ist
minimalistisch, konstruktivistisch, funktional, dezent, Design darf nicht
auffallen. Schiaparellis Mode ist spektakulär. Sie ist dem Auftritt
gewidmet, dem Eklat.
Elsa Schiaparelli kommt aus einer römischen Familie von Gelehrten, ihr
Vater ist Spezialist für islamische Kultur, ihr Onkel ein berühmter
Astronom. Ihre Kindheit ist träumerisch, sie schreibt romantische Gedichte,
deren erotische Direktheit den Eltern die Schamröte ins Gesicht treibt.
1911 geht die 21-jährige nach London, taucht in spiritistisch-theosophische
Kreise ein, verliebt sich in den adligen Theosophen Willie Wendt de Kerlor
und heiratet ihn.
## Mit Amerikanerinnen nach Paris
Das Paar zieht nach Amerika, wohnt in New York und Boston. 1920 wird ihre
Tochter geboren: Maria Luisa Yvonne Radha de Kerlor, kurz Gogo. Eine
Scheidung, ein Sommer in Woodstock und der enge Kontakt mit zwei anderen
geschiedenen, alleinerziehenden Müttern – Gabriele Buffet-Picabia, die
Ex-Frau Francis Picabias, und Blanche Hays, die Ex-Frau eines berühmten
amerikanischen Anwalts – verändern Elsas Leben. Hays lädt sie 1922 ein,
nach Paris zu fahren.
Dort ist die Lage die: Man wohnt mit Blanche Hays und ihrer Tochter in
einer WG, bald zieht aus Amerika auch Edna Hartley nach, eine Amerikanerin,
die Kostümbildnerin und Modejournalistin werden will und in der gleichen
Situation ist wie Schiaparelli und Hays. Aber Hartley hat Geld und kauft
eines Tages ein kleines Modehaus, für das Schiaparelli 1926 eine Kollektion
entwerfen soll: „für Sport, untertags und für den Abend“.
In der Umgebung aber brodelt es: Der Surrealismus, diese umfassende
künstlerische, kulturelle, politische Bewegung, steht in seinen Anfängen.
Zur gleichen Zeit kommen [2][Marcel Duchamp] und Man Ray in Paris an, die
Schiaparelli schon in New York kennenlernte, in der präsurrealistischen
„Societé Anonyme, Inc.“, und schließlich begegnet sie in Paris dem
„Leonardo der Mode“: Paul Poiret.
Nach einem Jahr verkauft Hartley die kleine Modeklitsche und Schiaparelli
muss sich selbstständig machen. Der Anfang ist so einfach wie spektakulär:
ein Pullover mit Trompe-l’œil-Muster, Kragen und weiße Schleife sind
eingestrickt. Frauen aus der armenischen Diaspora in der Nachbarschaft
fertigen den Pullover für Elsa per Hand in einer traditionellen
Jacquard-Technik. Er hält, durch die besondere Strickart, die Form, im
Unterschied zu vielen anderen kommerziellen Produkten der Zeit.
Das Motiv schlägt ein. Sofort interessieren sich amerikanische
Sportmodehersteller für das Ding, Galerie Lafayette steigt ein und fängt
an, den Pullover in vielen verschiedenen Farben, verschiedenen Schleifen,
Mustern, mit der Maschine oder per Hand, auf Masse oder exklusiv, in allen
Qualitäten zu stricken. Der Pullover ist ein Renner. Aber bald gibt
Schiaparelli die Sportmode auf.
## Sie stürzt sich in die Welt des Surrealismus
Sie stürzt sich in die Welt des Pariser Surrealismus, jene Welt jenseits
der realen Welt, die überreale Welt, die realere Realität, nicht
theosophisch, sondern materialistisch im Kleinsten, Niedersten das Realere
suchend, und seien es die unfreiwilligen Kunstformen einer ausgedrückten
Zahnpastatube. Seit ihren Anfängen in der WG und im Unterschied zu vielen
anderen Designer*innen kooperiert Schiaparelli. Nun mit den Künstlern:
Man Ray, Salvador Dalí, Jean Cocteau, [3][Alberto Giacometti].
Letzterer entwirft Knöpfe, Meret Oppenheim den berühmten Armreif mit Pelz,
Leonor Fini gestaltet den Flakon für das Parfum „Shocking“ als weibliche
Silhouette, Dalí entwirft Outfits und schenkt ihr Bilder, Elsa Triolet,
der Frau des Dichters Louis Aragon, macht Halsketten in Form von
Aspirintabletten.
Schiaparellis Botschaft: Mode, das ist die auf Schönheit kalkulierte
Täuschung, der große Auftritt, die Parade, das Erscheinen und Sichzeigen.
Die Surrealisten – Dalí, Man Ray oder der Philosoph einer surrealistischen
Biologie, Roger Caillois – finden das auch in den spektakulären
Erscheinungsweisen der Tierwelt, vor allem bei den Insekten.
Ihre Schreckaugen, symmetrischen Zeichnungen in allen Farben und Formen,
ihre Fähigkeit, zu täuschen, sich zu verkleiden, zu verstecken und wieder
hervorzuschießen, sind oft Thema von Bildern und Texten der
surrealistischen Zeitschrift Minotaure (seit 1933), in der sich immer
wieder Kopfbedeckungen, Outfits und Porträts von Schiaparelli abgebildet
finden.
## Fasziniert von der Verwandlung
Viele ihrer Outfits sind mit Schmetterlingen besetzt, Käfer stecken als
Broschen am Kragen (Herbst 1938), ein weißes Kleid ist ganz mit zahllosen
Schmetterlingen bedruckt, darüber ein Gazé-Überwurf wie ein
Schmetterlingsnetz (Juli 1937). Schiaparelli ist fasziniert von der
Metamorphose. Wie bei Ovid die Menschen verwandelt sich bei ihr ein Cape in
einen dichten Umhang aus hell- und dunkelgrünen Blättern (Herbst 1938), ein
Crêpe-Stoff wird zur Baumrinde und im Frühjahr 1938 ist eine ganze
Kollektion „Paienne“, in der Ausstellung wird sie präsentiert als: „Sous
les ailes de Pan“.
Tragendes Medium von Schiaparellis surrealistischen Transformationen ist
die Stickerei, la broderie. Niemand hat sie zu so prachtvoller Entfaltung
gesteigert. Auch dies ist eine Kooperation: 1934 lernt Schiaparelli Albert
et Marie-Luise Lesage kennen, deren 1924 gegründetes Maison Lesage eine der
bekanntesten Firmen Frankreichs für die Stickerei ist. Schiaparelli fragt,
ob Lesage ihr einen Gürtel besticken könne.
Und schon ab Winter 1936 breitet sich die Broderie überall in ihren
Kollektionen aus, bis hin zu den letzten Kollektionen nach dem Krieg
(Lesage wird inzwischen geführt von Sohn François): Westen mit Palmen,
gestickt aus Pailletten, Blumenstickereien, Rosen aus Taftbändern, zweimal
fünf gestickte Zirkuspferde mit Kopfschmuck aus der Kollektion „Cirque“
oder der berühmte „Boléro du soir“ für Helena Rubinstein. Mit seinen
gestickten Zirkuselefanten und TrapezkünstlerInnen an geflochteten Ketten
ist er ein Kleidungsstück auf der Schwelle zum Schmuckstück.
Grenzgängerisch auch jene riesige Sonne mit Relief-Gesicht, gestickt aus
Pailletten auf einer Weste in Schiaparellis Lieblingsfarbe Shocking Pink:
das berühmte Cape Phoebus und sein Gegenstück Cape Neptune. In Cape Neptune
hatte der Fotograf Cecil Beaton 1937 Lady Mendl fotografiert: the best
dressed woman in the world und Amerikas führende Innenarchitektin, die in
den 1930er Jahren die Villa Trianon in Versailles erwarb und renovierte.
Man sieht sie bei Beaton hinter der goldenen Figur eines schwarzen Dieners
zwischen barocken Spiegeln.
## Zwischen den Spiegeln von Versailles
Schiaparellis Surrealismus taucht hier ganz in die französische Geschichte
ein: in die Pracht von Versailles mit großen Spiegeln in schweren goldenen
Rahmen, und die zahllosen Trompe-l’œils des französischen Rokoko. Aber
Schiaparelli füllt den Rahmen anders aus. Mit jener Jacke etwa, entstanden
aus einer Zeichnung Jean Cocteaus: Der rechte Ärmel einer schlichten grauen
Leinenjacke ist dicht mit wellenartigen Strukturen bestickt, die glänzend
den ganzen Arm umschlingen.
Geht der Blick hinauf zur rechten Schulter, entpuppen sich die Wellenlinien
als die Haare eines Frauengesichts, dessen Silhouette in goldenen Konturen
auf die rechte Jackenhälfte gestickt ist, die Lippen rot, das Auge schwarz.
Dieses Profil schmiegt sich dann der Leiste dieser Jackenhälfte an, in
mehreren goldenen Linien, und verwandelt sich schließlich in eine Hand mit
rosaroten Fingernägeln um die Taille herum: Die Hand hält eine gestickte
blaue Schleife.
Ach, was können menschliche Hände nicht alles fassen und hervorbringen!
5 Oct 2022
## LINKS
[1] /Stars-bei-der-Amtseinfuehrung-Joe-Bidens/!5742136
[2] /Duchamp-Ausstellung-in-Frankfurt/!5850928
[3] /Die-Kuenstlerdynastie-der-Giacomettis/!5784399
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
Marina Razumovskaya
## TAGS
Ausstellung
Paris
Surrealismus
Mode
Bildende Kunst
Biografie
Ausstellung
Avantgarde
Kunst
taz Plan
Mode
Martin-Gropius-Bau
Kosmetik
## ARTIKEL ZUM THEMA
Biografie von Lee Miller nun auf Deutsch: Der schönste Nabel der Welt
Partygirl, Engel der Surrealisten, Kriegsreporterin: Über das Leben seiner
Mutter Lee Miller hat Antony Penrose eine lesenswerte Biografie
geschrieben.
Künstlerin Tilla Durieux: Männermordende Erotik
Das Georg Kolbe Museum in Berlin erinnert mit einer Ausstellung an den
vergangenen Glamour der Tilla Durieux, die viele Künstler inspirierte.
Biografie einer Pariser Bohemienne: Königin des Undergrounds
Mark Braudes Porträt über Kiki de Montparnasse nimmt mit an eine Brutstätte
zeitgenössischer Künste. Es zeigt, wie Kiki diese geprägt hat.
Fotoausstellung im Haus am Kleistpark: Der Hund ist immer interessanter
Zehn Jahre lang fotografierte Anne Schönharting Menschen in
Berlin-Charlottenburg in ihren Wohnungen. Zu sehen ist das Ergebnis in
„Habitat“.
Die Kunst der Woche: Kühn, frech, dissonant
Nagel Draxler und Mietinnen Collection ermöglichen mit der Ausstellung
„GLO-W!“ eine Wiederbegegnung mit der finnischen Künstlerin Kirsi Mikkola.
Nachwuchswettbewerb für Modedesign: Zeichen der Zeit
Beim International Talent Support in Triest wird die Zukunft der Mode
gemacht. Die gezeigten Entwürfe der Modedesigner:innen waren
sensationell.
Louise Bourgeois im Gropius Bau: Sie wird sie nicht los, die Mutter
Beklemmende Kammerspiele: Eine Retrospektive im Berliner Gropius Bau zeigt
das textile Spätwerk der Bildhauerin Louise Bourgeois.
Ausstellung über Helena Rubinstein: Schönheit ist Macht
Eine Frau mit dem Willen zur Selbsterfindung: Das Pariser Musée d’art et
d’histoire du judaisme widmet sich Unternehmerin Helena Rubinstein.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.