| # taz.de -- Briefwechsel im amerikanischen Exil: Vertrieben aus dem Reich der K… | |
| > Die „Briefe im Exil“ zwischen Max Reinhardt und Helene Thimig sind ein | |
| > spannendes Zeitdokument. Sie erzählen vom Überleben in der Emigration. | |
| Bild: Max Reinhardt und seine Frau Helene Thimig, 1935 in London | |
| Schneestürme und [1][unerträgliche Hitze in New York], brennende Hügel und | |
| Villen bei Hollywood – manchmal ist es das Wetter, das dem Leser heute die | |
| Briefe, die sich der Regisseur Max Reinhardt und seine Frau, die | |
| Schauspielerin Helene Thimig, im Exil in den USA schrieben, unvermutet | |
| nahebringt. Vor Hitze keine Luft zu bekommen, grundiert den Ton seiner | |
| Briefe aus New York, wo Max Reinhardt versuchte, neue Theaterprojekte auf | |
| die Beine zu stellen. Zunehmend verzweifelt ist sein Ton, weil er nicht | |
| arbeiten kann, sondern alle Energie für das Werben von Mäzenen draufgeht, | |
| die dann untereinander streiten, konkurrieren, intrigieren. | |
| Die amerikanischen Behörden verfolgen den Künstler, der seit 1940 | |
| amerikanischen Staatsbürger ist, mit Steuerschulden. Sein langjähriger | |
| Diener verlässt ihn, was Max Reinhardt als verletzenden Treuebruch | |
| empfindet. Arbeitspartner und Freund ist im Exil der Komponist Erich | |
| Wolfgang Korngold, zusammen versuchen sie schon in Europa erfolgreich | |
| umgesetzte Stoffe für die USA umzuarbeiten, aber oft zieht sich einer von | |
| beiden verletzt und beleidigt zurück. | |
| Not zu leiden, keine Zukunft mehr zu sehen, bringt nicht die besten Seiten | |
| im Menschen hervor. Die „Briefe im Exil“ sind voller Klagen und | |
| Anschuldigungen, nicht immer nachvollziehbar für den Leser. Man lernt Max | |
| Reinhardt von einer kleinmütigen, nörgelnden und unleidlichen Seite kennen. | |
| Aber nach und nach erfährt man auch, welche großen Verluste, Enteignungen | |
| von Theatern und weiterem Privatbesitz er durch die Nationalsozialisten in | |
| Deutschland und Österreich erfahren hat. | |
| Während er in New York kämpft, versucht Helene Thimig in Hollywood eine | |
| Max-Reinhardt-Theaterschule aufrecht zu halten, lehrt Schauspiel und lernt | |
| selbst inszenieren, hat erste Filmrollen in Hollywood. Sie lernt man in den | |
| Briefen, die zwischen 1937 und 1943 geschrieben wurden, als eine Frau | |
| kennen, die ihre Stärke und Selbstständigkeit in der Not erst entdeckt. | |
| Auch sie kämpft gegen Schulden, alte und neue, ringt mit betrügerischen | |
| Anwälten, rationiertem Benzin, Hoffnungslosigkeit. Und immer wieder | |
| schreiben beide, wie sehr sie den anderen vermissen, das Leben ohne ihn | |
| nicht ertragen und unter der Trennung leiden. Auch Eifersucht quält beide, | |
| ihre Abhängigkeit voneinander verschärft die Bedrückung. | |
| Aussageträchtige Fotos | |
| Edda Fuhrich und Sibylle Zehle, die Herausgeberinnen, haben sich beide | |
| schon ausführlich mit Max Reinhardt beschäftigt. Sie haben den Briefwechsel | |
| mit schönen und sehr aussageträchtigen Fotos illustriert. Eine | |
| klassizistische Säulenfront trug den Namen Max Reinhardt an seiner Schule. | |
| Man sieht ihn mit Marlene Dietrich, die bei der Renovierung der Schule | |
| half. | |
| Ein Foto zeigt Gregory Peck und Karl Malden, die 1943 in dem | |
| Antikriegsstück „Sons and Soldiers“ mitspielten, das zu inszenieren | |
| Reinhardt am Broadway zwar gelungen war; aber ein Erfolg wurde es nicht, | |
| Kriegszeiten verlangen nach Unterhaltung, war sein bitteres Fazit. Ein | |
| anderes Bild zeigt ihn mit Helene Thimig, bei ihrem letzten Besuch in New | |
| York im September 1943, bevor er im Oktober an den Folgen eines | |
| Schlaganfalls starb. | |
| [2][Über den Nationalsozialismus, der sie zuerst aus Berlin, dann aus | |
| Österreich vertrieben hat], über die Ermordung der Juden, über den Krieg, | |
| schreiben sich Helene und Max nur selten. Das mag überraschen. Aber die | |
| Briefe sind eben unmittelbar Teil ihres wirtschaftlichen und künstlerischen | |
| Überlebenskampfes, den Folgen der Vertreibung und des Krieges, der sie | |
| vollkommen absorbiert. | |
| ## Er sprengt die Fesseln des Naturalismus | |
| Wer Max Reinhardt als Künstler war, muss man woanders nachlesen: über | |
| [3][seine frühen Theatererfolge in Berlin 1903], seinen schnellen Aufstieg, | |
| über seine großen Theaterunternehmen in Berlin und die Gründung der | |
| Salzburger Festspiele 1920. Als szenischer Poet sprengte er die Fesseln des | |
| Naturalismus, sorgte mit Einbeziehung von Licht, Musik und neuen | |
| Bühnenarchitekturen für ein neues Erlebnis des Theaters als | |
| Gesamtkunstwerk. | |
| Doch eine Ahnung davon, wie sehr er es liebte, Schönheit zu inszenieren, | |
| bekommt man aus einem der letzten, langen Briefe. Er will, um New Yorks | |
| Hitze zu entfliehen, ein Haus am Meer kaufen. Er hat seine Augen auf eine | |
| große Villa geworfen und stattet sie in Gedanken aus mit Bildern, Möbeln | |
| und Dekor. Seine Gedanken kehren zurück zu den schönen Häusern und | |
| Schlössern, die er besessen hat, und er geht in Erinnerung durch die Räume | |
| und freut sich an jedem Detail, das er eingerichtet hatte. | |
| Und obwohl ihm, weil er Jude war, das alles genommen wurde von den | |
| Nationalsozialisten, sind diese Seiten die entspanntesten in dem | |
| Briefwechsel. Nur die Vergangenheit ist ein Ort, wo er glücklich sein | |
| konnte. Weil einen der Briefwechsel in diese Gefühlslagen mit hineinzieht, | |
| ist er als Zeitdokument doch interessant und geht über das Private hinaus. | |
| 26 Sep 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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