# taz.de -- Buch zur Berliner Theatergeschichte: Morgen geht’s uns gut | |
> Sie galten als die Theaterkönige von Berlin und wurden als Juden | |
> verfolgt: Fritz und Alfred Rotter. Von ihrem Leben erzählt der Autor | |
> Peter Kamber. | |
Bild: Alfred, Gertrud und Fritz Rotter, vermutlich im Sommerurlaub 1930 | |
Am Anfang stand ernstes Theater. Henrik Ibsen, August Strindberg, Hermann | |
Sudermann, für deren Dramen und ihre zerrütteten Charaktere interessierten | |
sich die Brüder Alfred und Fritz Rotter, geboren 1886 und 1888 in Berlin. | |
Ihr erstes Projekt war eine „Akademische Bühne“, die sie als Studenten ins | |
Leben riefen, im Winter 1908/1909. | |
Ihr großer Erfolg aber wurden in der Zeit der Weimarer Republik Stoffe der | |
leichten Muse, Komödien und Operetten von den Komponisten Franz Lehar, | |
[1][Paul Abraham], Erich Wolfgang Korngold, [2][Ralph Benatzky.] Nach dem | |
Ersten Weltkrieg wurden sie als Theaterleiter, die nur manchmal selbst | |
Regie führten, zu den Operetten-Königen von Berlin. Ihre Produktionen | |
hießen „Morgen geht’s uns gut“, „Ball im Savoy“, „Land des Lächel… | |
„Madame Dubarry“, „Schön ist die Welt“. Titel, deren Optimismus und | |
Eskapismus Programm scheint in den Zeiten von Revolution, Inflation, | |
Deflation und Weltwirtschaftskrise in den 1920er und 30er Jahren. | |
Teilweise, etwa 1932, auf dem Höhepunkt ihrer Publikumserfolge, bespielten | |
sie bis zu sieben Theater in Berlin, darunter [3][große Häuser wie das | |
Metropol-Theater], Theater des Westens, den Admiralspalast, an dem heute | |
eine Tafel an sie erinnert, und drei weitere in Dresden, Hannover und | |
Breslau. Ein Teil der Theater gehörte ihnen, andere waren gepachtet. Sie | |
arbeiteten mit Stars, darunter Käthe Dorsch, Hans Albers, Max Hansen, | |
[4][Fritzi Massary], Richard Tauber, Gitta Alpár. | |
„Rotter“ war ihr Künstlername, geboren waren sie als Fritz und Alfred | |
Schaie, Söhne eines jüdischen Kaufmanns für Herrenkonfektion. Künstlernamen | |
waren in der Zeit der Weimarer Republik üblich, auch um die | |
Religionszugehörigkeit nicht im Namen anzuzeigen. Der gewählte Name Rotter | |
führte aber trotzdem zu vielen antisemitischen Kalauern in der Zeit, als | |
ihre Inszenierungen, ihr Stil, und ihre nicht immer fehlerfreie | |
Geschäftsführung zunehmend von nationalsozialistischer Seite angegriffen | |
wurde. | |
Die aufregende Geschichte der Brüder erzählt ausführlich und mit vielen | |
Zitaten aus zeitgenössischen Dokumenten Peter Kamber in seinem Buch „Fritz | |
und Alfred Rotter. Ein Leben zwischen Theaterglanz und Tod im Exil“. Zwar | |
wünscht man sich manchmal, Kamber würde nicht zu jeder Aufführung aus den | |
Kritiken und dem Libretto zitieren, auf 928 Quellen verweist der Text, | |
Ergebnis einer akribischen Recherche. Das macht das Lesen manchmal etwas | |
umständlich. | |
Aber man begreift zunehmend auch, dass diese Gründlichkeit die | |
Voraussetzung war, um die verleumderischen Kampagnen gegen die | |
„Theaterjuden“, die sich im Januar und Februar 1933, parallel zur | |
Machtergreifung Adolf Hitlers, dramatisch zuspitzen, widerlegen zu können. | |
Sie waren verschuldet, aber nicht in dem Maße, in dem es ihnen in der | |
rechten Presse vorgeworfen wurde, sie hatten eine schlampige Buchführung, | |
aber übten nicht die ihnen angehängten Betrügereien aus. Kambers Buch hat | |
das Anliegen, Fritz und Alfred Rotter als Unternehmer zu rehabilitieren, | |
die in unberechenbaren Zeiten zwar teils falsch kalkulierten, aber nicht | |
systematisch betrogen. | |
Kamber beleuchtet auch die Motive ihrer Gegenspieler wie zum Beispiel Curt | |
von Glasenapp von der Berliner Polizeibehörde, der ihnen Konzessionen immer | |
wieder wegen „Unzuverlässigkeit“ verweigert und sie verfolgt, seit sie sich | |
ihrer Einberufung als Soldaten in den Ersten Weltkrieg durch allerlei | |
Manöver und Krankheiten eine Weile entzogen haben. Oder Heinz Hentschke, | |
der einen Ticketvertrieb aufgebaut hat und sie im entscheidenden Moment mit | |
einem erpresserischen Vertrag in den Konkurs treibt. | |
## Frivolität und große Reklame | |
Auch die eher linke Theaterkritik haderte mit den Rotterbühnen, zunächst | |
mit der Frivolität ihrer Inszenierungen, der Warenförmigkeit des | |
Starsystems, den großen Reklamemitteln, dem großen Aufwand und Moden. Es | |
wurden auch schon mal Produkte direkt beworben oder Modehäuser als | |
Sponsoren eingesetzt. Dieser Kritik hält Kamber entgegen, dass sie übersah, | |
wie die Stücke mit starken Frauenfiguren spielten und die | |
[5][Geschlechteridentität in Fluss] brachten. | |
Es ist ein Seitenstrang der Geschichte, dass der jüngere Bruder Fritz | |
gelegentlich auch selbst in Frauenkleidern auftrat, allerdings heimlich und | |
nicht öffentlich. Viel ist darüber nicht bekannt. Aber vor diesem | |
Hintergrund fällt in der Rezeption der Kritiker auf, dass ihnen entgeht, | |
wie die Inszenierungen ihrer Bühnen Männlichkeit und Weiblichkeit zur | |
Disposition stellten. | |
Oft lautete der Vorwurf, dass sie die Kunst der Bildung eines | |
Unterhaltungskonzerns opferten. Dabei taucht immer wieder auf, dass ihre | |
Kunst nicht deutsch genug sein, mit Methoden des amerikanischen Kinos | |
arbeite. Solche Attacken fanden sich in der Presse schon lange, bevor die | |
SA in einzelnen Aufführungen randalierte und auflistete, wer von den | |
Beteiligten Künstlern Jude war, und das waren viele. | |
So wird die Lektüre zunehmend auch zum Dokument über das Heraufziehen der | |
nationalsozialistischen Ideologie, die den grassierenden Antisemitismus | |
verstärkt und die Brüder Rotter als eine Projektionsfläche für das | |
rassistische Klischee vom jüdischen Geschäftemacher nutzt. Im Januar 1933, | |
als in Berlin ein Konkursverfahren gegen sie eröffnet wird, erscheinen sie | |
dort nicht, sondern sind im Exil in Liechtenstein. Das führt zum Vorwurf | |
des Betrugs in öffentlichen Kampagnen, ihre Schulden werden in stetig | |
steigende Summen umgemünzt, die sie ins Ausland gebracht hätten. | |
Ein Haftbefehl läuft gegen sie, die inzwischen das Liechtensteiner | |
Bürgerrecht haben. In dieser Situation verschwören sich Nationalsozialisten | |
aus Konstanz und aus Liechtenstein, die Brüder bei einer Fahrt in die Berge | |
nach Deutschland zu entführen. Die Täter waren kriminelle Dilettanten, | |
Alfred und Fritz Rotter wehrten sich. Aber während Fritz entkommen konnte, | |
lief Alfred Rotter zusammen mit seiner Frau einem felsigen Abgrund | |
entgegen, in dem beide zu Tode stürzten. Fritz Rotter starb 1939 in einem | |
Gefängnis in Colmar. | |
6 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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