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# taz.de -- Biografie über Maria Orska: Wiederentdeckung eines Theaterstars
> In Berlin und in Wien wurde Maria Orska vor 100 Jahren ein Star. Ursula
> Overhage erzählt in ihrer Biografie deren aufregendes Leben nach.
Bild: Maria Orska, Rollenporträt als „Laura“ in Strindbergs „Der Vater�…
Als das [1][Hebbel-Theater 1908] eröffnet wurde, [2][war Berlin eine
blühende Theaterstadt]. Der Gründer und erste Direktor, der ungarische
Regisseur Eugen Robert, der das Haus nach dem Dramatiker Friedrich Hebbel
benannt hatte, konnte es zwar nicht lange halten. 1911 übernahmen Carl
Meinhardt und Rudolf Bernauer, ebenfalls österreichisch-ungarischer
Herkunft, die Direktion des Kreuzberger Privattheaters, einer von bald vier
Spielstätten, die sie mit Erfolg leiteten.
Das heute wieder Hebbel-Theater genannte Haus firmierte in der Zeit als
Theater in der Königgrätzer Straße und erwarb sich einen guten Ruf als
Spielstätte für moderne Dramatik, das den Autoren Hendrik Ibsen, August
Strindberg, Oscar Wilde und Frank Wedekind ein großes und neugieriges
Publikum bescherte.
Viele Künstler:innen auf der Bühne und hinter den Kulissen haben an
diesem Erfolg mitgearbeitet. Unter ihnen die Schauspielerin Maria Orska,
deren leichter Akzent ihre russische Herkunft aus Odessa verriet. Sie war
ein glamouröser Star der Theaterszene, von Berliner Kritikern euphorisch
gefeiert, scharf auch beobachtet in ihrem schlingernden Privatleben.
Aber anders als einige ihrer Kolleg:innen und Freund:innen, deren Namen
wir heute noch kennen, etwa die [3][Tänzerin Anita Berber,] die
Schauspielerin Tilla Durieux, die Schauspieler Paul Wegener, Hans Albers
oder [4][Fritz Kortner] (mit Letzterem hatte sie in Wien studiert und in
Mannheim erste Engagements), ist Maria Orska vergessen.
Von den vielen Stummfilmen, die sie zwischen 1916 und 1923 mit der
Regisseur Max Mack realisierte, existiert nur noch ein einziger, „Die
Schwarze Loo“. Erwischt man dessen flackernde Bilder auf Youtube, ahnt man
ein wenig von ihrem leichtfüßigen, spritzigen Temperament – sie spielt eine
Tänzerin –, aber spürt auch die Vergänglichkeit des theatralen
Augenblicks.
## Verstreute Spuren zusammentragen
Maria Orska zurückzuholen in den Kreis berühmter Künstlerlegenden kann nun
einem Buch gelingen, das ihre Biografie erzählt: „Sie spielte wie im
Rausch. Die Schauspielerin Maria Orska“ von Ursula Overhage. Es beruht auf
einer akribischen Recherche nach den verstreuten Spuren der Schauspielerin,
die als Rahel Blindermann in einer jüdischen Familie an der
Schwarzmeerküste geboren wurde. Es erhält seine Konturen durch ein breites
Wissen über die ersten Jahrzehnte des letzten Jahrhunderts. Vor allem aber
lebt das Buch von der anschaulichen Übersetzung des Wissens in szenische
Beschreibungen.
Zwischen den recherchierten Fakten nutzt Overhage ihre dichterische
Freiheit, besonders in den Kapiteln über die Jugend der Schauspielerin. Sie
malt aus, wie Rahel mit 16 Jahren bei einem Spaziergang in Odessa auf der
Promenade ihren Onkel, einen Künstleragenten, dazu bringt, sie mit nach
Sankt Petersburg zu nehmen und dem Leiter der Wiener Schauspielschule
vorzustellen.
Den Anfang ihres mutigen Wegs, die Energie des Aufbruchs, ihr
Selbstbewusstsein, ihr Talent, andere von sich zu überzeugen, ihren Charme,
ihre Tricks, ihre Lust auch am Erfinden von Geschichten, die nicht immer
stimmen mussten, zeichnet Overhage mit Liebe nach. Sie nimmt in ihrer
Biografie für Maria Orska als Person ein, die man mit ihren Schwächen und
Fehlern mag.
## Was sie sah, was sie hörte
Bald wechseln die Schauplätze schnell im Leben der jungen Schauspielerin,
die sich erst Daisy Orska, dann Maria Orska nennt. Overhage nutzt die
Momente der Ankunft in einer neuen Stadt, mit Zeit- und Lokalkolorit
atmosphärische Bilder entstehen zu lassen. Was sah Maria Orska zum
Beispiel, was hörte sie, was roch sie, wenn sie aus einem Bahnhof trat.
Dabei erfährt man auch Überraschendes, etwa dass die Berliner Theater auch
im Ersten Weltkrieg boomten. Zu Orskas Glanzrollen als sehr junge
Schauspielerin, knapp über zwanzig, gehört am Theater an der Königgrätzer
Straße die Titelrolle [5][in „Lulu“ von Frank Wedekind], für die sie 1916
und 1917 in Berlin bewundert wird – eine Kunstfigur, zwischen Kindfrau und
Femme fatale schillernd, den Männern die Fantasien gebend, die sie am
meisten begehren und am meisten fürchten.
Ähnlich fantasmatisch ist die Salome [6][im Stück von Oscar Wilde]
angelegt, eine weitere Glanzrolle. Das Unkalkulierbare dieser
männermordenden Charaktere war ein lautes Element in der Bewegung des
Aufbrechens von bürgerlichen Rollenbildern. Sie gaben die Brille vor, durch
die die Künstlerinnen, die sie verkörperten, auch in ihrem Leben betrachtet
wurden. Da wurde ein Möglichkeitsraum geöffnet, in dem zu spielen aber
kräftezehrend war.
## Schwärmerischer Ton
Overhage zitiert aus vielen Theaterkritiken, die neben schönen Fotografien
oft das einzige Zeugnis sind, das von der Kunst der Schauspielerin
geblieben ist. Die expressive, schwärmerische und pointierte Sprache der
männlichen Rezensenten, unter ihnen Alfred Kerr, vermittelt allerdings oft
vor allem ein Bild von deren Empfindungen zu Orska. Dass sie mitreißen
konnte, wird deutlich. Aber wie ihr das gelang? Da muss die eigene Fantasie
aushelfen. Kritiken sind eben doch sehr zeitgebundene Gebrauchstexte.
Mit dem Erfolg wird das Leben von Maria Orska auch komplizierter.
Zwielichtige Lebemänner als Liebhaber und Ehemann machen es nicht leichter.
Overhage hat Spielpläne durchforstet, so wird plastisch, wie dicht die
Aufführungen aufeinanderfolgten, wie schnell geprobt wurde, wie wenig Zeit
auf Tourneen war. Das alles mit gesellschaftlichen Auftritten zu verbinden,
Spaß auf der Rennbahn und beim Autorennen, durchgemachte Nächte in
angesagten Kaschemmen, verlangte eine ungeheure Energie. Man ahnt es,
Rauschgifte kamen ins Spiel, um das alles durchzuhalten.
1930, in dem Jahr, in dem sie starb, hatte Maria Orska anscheinend den
Überblick über ihre Engagements verloren. In Berlin und in Wien gefragt,
verließ sie Berlin fluchtartig während der Proben und spielte in Wien bis
zu einem Zusammenbruch.
Dass sie vergessen wurde, liegt nicht nur an diesem abrupten Ende ihrer
Karriere und ihres Lebens. Sondern mehr noch daran, dass der aufziehende
Faschismus kein Interesse an dem Gedenken an jüdische Künstler hatte. Deren
Wiederentdeckung folgte oft erst in der Nachkriegszeit. Es ist schön, dass
jetzt auch ein Buch an Maria Orska erinnert.
12 Apr 2021
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## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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