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# taz.de -- Operette „Ball im Savoy“: Untote im Fummel
> Der Intendant der Komischen Oper Berlin, Barrie Kosky, hat Paul Abrahams
> Operette „Ball im Savoy“ neu inszeniert.
Bild: Szene mit Helmut Baumann (Mustafa Bey) und Ensemble.
Wenn der letzte Vorhang gefallen ist, gehört eigentlich dem Publikum das
letzte Wort. Am Sonntagabend war es anders. Barrie Kosky griff zum
Mikrofon, um noch einmal zu erklären, worum es ihm in dieser letzten großen
Produktion seiner ersten Spielzeit ging. Um nichts Geringeres nämlich als
um Geschichtspolitik.
Andreas Homoki, sein Vorgänger im Amt, hatte versprochen, an der Komischen
Oper Walter Felsensteins Erbe zu pflegen. Er hielt Wort. An der
Behrenstraße fand das moderne, ästhetisch wie politisch wegweisende
Musiktheater wirklich statt - das, wovon in Berlin sonst immer nur geredet
wird.
Noch vor seiner ersten Premiere im letzten Herbst gab auch sein Nachfolger
ein Versprechen ab. Die Geschichte des Hauses habe nicht mit Felsenstein
begonnen, gab Kosky zu Protokoll. Das ist wahr. Vor den Nazis hieß es
Metropol-Theater, gehörte den Brüdern Rotter, die eigentlich Schaie hießen
und Juden waren. Ihr Chefdirigent war Paul Abraham, auch ein Jude. Ihre
Revuen und Operetten waren das Größte, was Berlin damals zu bieten hatte,
aber das nützte ihnen gar nichts, als die Nazis kamen.
Abraham konnte fliehen, verlor wegen einer Syphiliserkrankung den Verstand
und starb 1960 in Hamburg. Wie ein "Dibbuk", sagt Kosky auf der Bühne,
umringt von Chor und Solisten in vollem Fummel, so bunt und queer wie auf
einem Umzug zum Christopher Street Day. Dibbuks sind Untote in fremden
Körpern, die befreit werden müssen. Genau das sei heute Abend geschehen,
sagt Kosky und lässt als Zugabe einen der größten Hits von Abraham singen:
"Reich mir zum Abschied noch einmal deine Hände".
## Abrahams letzte Berliner Operette
Das ist ein wunderschönes Stück Musik über das Ende einer Liebe, das nicht
klagt und schluchzt. Es lässt den echten und ernsten Schmerz einer solchen
Situation fühlen. Schade, dass Momente dieser Dichte selten waren in den
fast drei Stunden davor, die sehr lange gedauert haben. Kosky hat Abrahams
letzte Berliner Operette inszeniert, den "Ball im Savoy", uraufgeführt am
23. Dezember 1932, ein Monat bevor Hitler Reichskanzler wurde.
Der Text ist eine deftige Komödie über das wilde Leben der besseren Kreise,
grob geschnitzt nach Berliner Geschmack und mit viel Herz auf dem rechten
Fleck. Soeben von der Hochzeitsreise zurückgekehrt, probt ein junges Paar
den Seitensprung. Das gibt Dagmar Manzel die Gelegenheit, mal ein paar
Dinge klarzustellen. "Was haben Frauen von der Treue?" Gar nichts
natürlich, und nach eher komplizierten als lustigen Verwicklungen sorgt sie
für krachenden Aufruhr mit dem Satz: "Ich habe soeben meinen Mann
betrogen."
Hat sie gar nicht, aber die Lektion sitzt bis heute, und Manzel füllt ihre
Rolle bis zum Rand mit ihrer ganzen komödiantischen Genialität. Der Tenor
Christoph Spät und selbst der in diesem Fach nun wirklich erprobte Helmut
Baumann haben es schwer, mit ihr mitzuhalten. Zum einen, weil ihre Rollen,
Ehemann der eine, türkischer Lebemann mit Harem der andere, konventioneller
angelegt sind. Mehr noch aber, weil Kosky sie im Stich gelassen hat.
Seine Regie leidet an einer merkwürdigen Verliebtheit in die Semantik von
Kleidern. Alles muss so bunt, schrill und sexy sein wie nur irgend möglich.
Die Berliner bekamen bei den Rotters gewiss auch nackte Haut zu sehen,
schließlich tanzte nebenan Josephine Baker, bei Kosky sehen wir hautfarbene
Ganzkörperkondome mit schwarzen Mustern an den drei Stellen, die zwischen
all den Drag-Queens im Fummel herumtanzen.
## Pausen anstelle von Narration
Das ist zu viel und zu wenig für Paul Abraham. Zu viel, weil ihn diese
zweite Verfolgungsgeschichte der Schwulen überfordert, so furchtbar die
Sexualpolitik der Nazis auch war. Zu wenig, weil seine ziemlich biedere
Dramaturgie nicht nach Symbolen, sondern nach Zusammenhang zwischen den
einzelnen Nummern verlangt. Kosky macht stattdessen Pausen, um Luft zu
holen für das nächste Setup. So stolpert das Stück vor sich hin, ohne je
die Fahrt aufzunehmen, die es braucht.
Darunter leidet vor allem Katherine Mehrling in der heimlichen
Schlüsselrolle der Daisy Darlington, die ein veritabler Jazzkomponist sein
soll. Sie spukt überall dazwischen und treibt die Intrigen voran, weil sie
verkörpert, was Abraham am wichtigsten war: der Jazz. Was er darunter
verstand, ist mit dem unübersetzbaren Wort "schmissig" umfassend
beschrieben. Sein Jazz swingt nicht, am Ende beginnt er immer ein wenig zu
stampfen wie die Berliner Luft, Luft, Luft seines Ahnherrn Paul Linke.
So zauberhaft schön wie sein Abschiedslied aus einer anderen Operette, das
Kosky als Zugabe angehängt hat, ist das nicht immer. Daran konnte auch der
Dirigent Adam Benzwi nichts ändern. Aber es ist die historische Wahrheit,
um die es geht. Der Weg voran zu einem neuen Metropol-Theater wird lang und
steinig. Das weiß Kosky wohl selber, aber er wird ihn gehen.
12 Jun 2013
## AUTOREN
Niklaus Hablützel
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