| # taz.de -- Sex in der Oper: Alles steuert auf den Höhepunkt zu | |
| > Ein schwuler Pornostar filmt in der Komischen Oper Berlin, das sorgt für | |
| > Fantasien. Geht das Musiktheater demnächst neue Wege? | |
| Bild: Pornoversion von „Cosi fan tutte“: Der Regisseur Lucas Kazan (r.) bei… | |
| Als der französische Pornostar Jordan Fox kürzlich Oben-ohne-Schnappschüsse | |
| von sich [1][bei Facebook veröffentlichte], die ihn im Zuschauerraum der | |
| Komischen Oper Berlin zeigen, und seinen 6.000 Social-Media-Freunden | |
| mitteilte, dies seien Bilder aus seinem neuen Film, war die Erregung groß. | |
| Sein früherer Regisseur Lucas Kazan – der vor zehn Jahren mit einer Serie | |
| von experimentellen Filmen versucht hatte, bekannte Opern in Homopornos | |
| umzuwandeln – versandte daraufhin über seinen Firmenblog einen Newsletter | |
| an schwule Medienmacher: „Ist es möglich? Ein Pornofilm, der in einem | |
| echten Opernhaus gedreht wurde?“ Natürlich musste das auf einen Operncrack | |
| wie Kazan, der in der Mailänder Scala großgeworden ist, wie ein feuchter | |
| Traum wirken. „Das muss der erste derartige Film sein. Das Phantom der | |
| Oper: die XXX-Version?“ | |
| Im Grunde wäre die Komische Oper für solch ein Triple-X-Projekt | |
| prädestiniert. Die Marketingabteilung des Hauses schaltet seit langem | |
| Werbung in Berlins schwuler Stadtgazette Siegessäule, wo sich das „Weiße | |
| Rössl“ und die „Zauberflöte“ wiederfinden neben Anzeigen von Dildoking … | |
| Ankündigungen des nächsten Fetisch-Fests: „Naked Sunday“ im LAB oder | |
| „Kaffee-Kuchen-Sex“ im Stahlrohr. Wieso da nicht auch das Haus, das mit den | |
| anderen beiden Opern der Stadt um Zuschauer und Aufmerksamkeit ringt, als | |
| geschicktes Product Placement in einem Pornofilm präsentieren? | |
| Immerhin kann man so definitiv ein Massenpublikum erreichen, wie wir | |
| spätestens seit der Verhaftung von Fabian Thylmann im Dezember wissen, | |
| dessen diverse Porno-Sites offiziell zu den zehn meistbesuchten | |
| Internetseiten der Welt gehören. | |
| ## Entschuldigung eines Sektverkäufers | |
| Ein solcher Marketing-Ansatz würde überdies zur wieder vielzitierten | |
| Geschichte des Hauses passen. Denn bis 1945 hieß es Metropoltheater und | |
| widmete sich explizit frivolen Revuen und Operetten. Anfang des 20. | |
| Jahrhunderts lockte man reiche Herren der Wilhelminischen Gesellschaft auch | |
| damit an, dass sie im Wandelgang des zweiten Rangs käufliche Damen der | |
| Friedrichstraße kennenlernen konnten, die – genialer Einfall! – in der | |
| Pause zum halben Preis ins Theater kamen. | |
| Als einmal der Sektverkäufer eine der Damen beleidigte und das ganze | |
| horizontale Gewerbe daraufhin das Theater boykottierte, musste er sich auf | |
| Druck der Theaterdirektion offiziell entschuldigen, da die Besucherzahlen | |
| dramatisch zurückgegangen waren. | |
| Wenn also Sex 1913 den Opern- und Operettenbesuch attraktiver machte, warum | |
| nicht hundert Jahre später auch? Wo wir doch heute so viel befreiter sind | |
| und von der „Generation Porno“ die Rede ist. Annette Anton schrieb 2007 in | |
| der Zeitschrift Emma: „Porno ist schick und stylish und überaus | |
| gesellschaftsfähig.“ So gesellschaftsfähig, dass er sich in der staatlich | |
| subventionierten Musiktheaterlandschaft Berlins ausbreiten darf, mit dem | |
| Segen von Kultursenator Wowereit? | |
| Warum eigentlich nicht. Linda Williams, Filmwissenschaftlerin an der | |
| University of California, hat in den neunziger Jahren in ihrer Studie „Hard | |
| Core“ auf die grundsätzliche strukturelle Ähnlichkeit zwischen Musiktheater | |
| und Pornografie hingewiesen: „Masturbation zum Beispiel kann als ein Solo | |
| der Sängerin über Selbstliebe und Selbstgenuss interpretiert werden“. | |
| ## Hochgradige Stilisierung | |
| Lucas Kazan führt das mit Bezug auf schwule Pornos und italienische | |
| Belcanto-Oper im Buch „Porn: From Andy Warhol to X-Tube“ weiter aus: „Gen… | |
| wie die Oper ist Porno ein Genre, das hochgradig stilisiert ist. Die | |
| meisten Sexszenen sind nach dem gleichen Schema aufgebaut: Einleitung, | |
| Blasen, Rimmen, Analverkehr, Ejakulation. Das ist genau wie Rezitativ, Arie | |
| und Caballetta. Alles ist durchgetaktet und steuert auf den Höhepunkt zu. | |
| Beide Genres leben von ihrer Künstlichkeit, die sie im Idealfall | |
| transzendieren.“ | |
| Dies ist auch das Thema in einer von mir kuratierten Ausstellung, zurzeit | |
| im Theatermuseum München. Dort wird das Thema in der theaterpraktischen | |
| Ausführung im Zusammenhang mit Operette und Musiktheater der 1860er Jahre | |
| aufgegriffen, als die Stücke von Offenbach & Co. durchs bewusste Ausspielen | |
| von erotischen Szenen mit besonders attraktiven und ausgezogenen | |
| Halbweltdamen für die sexuelle Erregung der männlichen | |
| High-Society-Zuschauer sorgten. Das ist en détail nachzulesen in Émile | |
| Zolas Roman „Nana“ von 1880. | |
| Könnte die Komische Oper Berlin, die sich ja wieder gezielt auf die | |
| Operetten-Tradition des Hauses beruft, mit Jordan Fox und entsprechenden | |
| Kolleginnen nicht an diese groß(artig)e Vergangenheit anknüpfen? Vorerst | |
| sagt das Haus offiziell „Nein“ und erklärt auf Anfrage: So etwas würde | |
| nicht autorisiert werden. | |
| Womit klar ist, dass der dort gedrehte Fox-Film kein Porno sein kann. In | |
| einer Mail teilt Fox mit, es handle sich stattdessen um eine „naked opera“ | |
| der Regisseurin Angela Christlieb mit dem Titel „Der Leporello Mann“. | |
| Gefilmt wurde in der Komischen Oper, am Tag zuvor beim Hustlaball, dem | |
| größten schwulen Pornoevent der Stadt. Jordan spielt in dem als | |
| Dokumentarfilm gelabelten Streifen nicht den Diener Leporello aus Mozarts | |
| „Giovanni“, sondern den draufgängerischen Don. Und sagt, es habe Spaß | |
| gemacht, den Film zu drehen, besonders weil zwischen der Atmosphäre beim | |
| Hustlaball und der Komischen Oper solch ein „radikaler Kontrast“ bestand. | |
| Als Opernfan, der das überwiegend lustfeindliche Regietheatereinerlei der | |
| deutschen Opernszene gründlich satt hat, würde ich mir da deutlich weniger | |
| Kontrast wünschen. Das Problem ist: Obwohl eine fleischliche | |
| Herangehensweise an die Kunstform neue Zuschauerschichten erschließt, wie | |
| u. a. die Komische Oper mit Produktionen wie „Kiss Me, Kate“ und „Orfeo“ | |
| vom jüngst installierten Intendanten und Entertainment-Kreuzritter Barrie | |
| Kosky bewiesen hat, schrecken viele Theater davor zurück. | |
| ## Kalkulation DVD-Markt | |
| Ein Grund ist die Furcht, damit jede Chance einer DVD-Veröffentlichung zu | |
| vereiteln. Denn in den USA und Japan, zwei der wichtigsten internationalen | |
| DVD-Märkte, haben Opern, die Nacktheit enthalten, keine Chance, wie mir ein | |
| DVD-Produzent kürzlich erzählte, als es um die Aufzeichnung einer | |
| Produktion aus der Komischen Oper Berlin ging. Gleichzeitig sind | |
| internationale DVD-Veröffentlichungen jedoch fürs Image eines Opernhauses – | |
| und damit für die Subventionen vergebenden Politiker – wichtig, weil sie | |
| überregionale Bedeutung suggerieren, die jeder Kultursenator für seine | |
| Institutionen gern reklamiert. | |
| Die Frage ist: Müssen wir uns in Deutschland deswegen von Japanern und | |
| prüden Amerikanern indirekt diktieren lassen, wie sexy unsere Opern sein | |
| dürfen? Ein radikaler Schritt voraus in ein neues Opernzeitalter wäre | |
| sicher wegweisend, die Arm-aber-sexy-Metropole Berlin der ideale | |
| Impulsgeber. | |
| Musiktheater ist „schließlich nicht für Betschwestern, spröde alte Jungfern | |
| und Hypermoralisten“ gemacht, stellte die Süddeutsche Theaterzeitung 1885 | |
| fest. Ein Statement, das aktuell im Theatermuseum München als | |
| Wandbeschriftung zu lesen ist. Damals wetterten die selbsterklärten | |
| Moralhüter in Deutschland gegen die „ungeheuerliche Frivolität“ von | |
| Offenbachs aus Paris importiertem Musiktheater und äußerten sich mit | |
| „Besorgnis über den sittengefährdenden Komponisten“, dessen Werke die | |
| „Negation aller sittlichen und rechtlichen Ordnung“ darstellten. | |
| Dennoch – oder gerade deswegen – war Operette ursprünglich solch ein | |
| phänomenaler Erfolg. Auch in den USA und bis weit in den asiatischen Raum. | |
| Vielleicht erinnert sich die Komische Oper Berlin daran doch wieder, wenn | |
| sie demnächst vermehrt Operette spielt. Und wer weiß, vielleicht führt der | |
| Hustlaball dann bei der Preisvergabe 2013 eine neue Kategorie ein: „Best | |
| Opera Production of the Year.“ | |
| 17 Jan 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.facebook.com/jordanfoxporn?fref=ts | |
| ## AUTOREN | |
| Kevin Clarke | |
| ## TAGS | |
| Komische Oper Berlin | |
| Pornografie | |
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