# taz.de -- Opernglück in Berlin: Die Weisheit eines alten Paares | |
> Neuer Blick auf Mozart: Zwei unterschiedliche Inszenierungen in Berlin an | |
> der Komischen Oper und der Staatsoper schaffen neue | |
> Interpretationsmöglichkeiten. | |
Bild: Neuenfels inszeniert Mozart an der Berliner Staatsoper, mit Alex Penda (A… | |
Vor sechs Jahren hat Hans Neuenfels an der Komischen Oper in Berlin seine | |
damals neue Inszenierung der „Zauberflöte“ vorgestellt. In der Stadt tobte | |
der Kampf um seinen vom Spielplan der Deutschen Oper abgesetzten | |
„Idomeneo“, die Aufmerksamkeit war daher groß, groß aber auch die | |
Enttäuschung. | |
Neuenfels grübelte so tief über Mozarts Melancholie und die menschliche | |
Natur, dass dieses Stück ebenfalls melancholisch wurde. Ein bitteres | |
Lehrstück war zu sehen, in dem uns Elisabeth Trissenaar in einer von ihrem | |
Ehemann hinzuerfundenen Sprechrolle ständig über all die Dinge des Lebens | |
aufklären wollte, über die wir – mit Mozart – einfach nur lachen wollen. | |
Jetzt können wir das wieder. Barry Kosky, der neue Intendant der Komischen | |
Oper, möchte den kompletten Mozart neu inszeniert an seinem Haus haben und | |
beginnt mit der letzten, aber keineswegs besten dieser Opern. Denn | |
Neuenfels hat schon recht: Libretto und Form der „Zauberflöte“ sind ein | |
Problem. Kosky hat es mit einem Schachzug gelöst, der zeigt, welche | |
Qualitäten er nicht nur als Regisseur, sondern auch als Intendant besitzt. | |
Er führte zwar selber Regie, überließ die Hauptarbeit aber Suzanne Andrade | |
und Paul Barrit. Die beiden machen unter dem Namen 1927 mit Bühnenshows von | |
sich reden, die den Stummfilm neu interpretieren. | |
Schauspieler interagieren mit grafischen Animationen und erzeugen eine | |
Kunstgattung, die ebenso wenig zu definieren ist wie die Gattung der | |
„Zauberflöte“, die formal ein Singspiel ist, musikalisch aber Gassenhauer | |
mit Fugen und hochdramatischen Arien der Opera seria durcheinandermischt. | |
## Die Riesenspinne | |
Das Ergebnis ist schlicht atemraubend. Die Bühne ist durch eine | |
Projektionswand mit Podesten für die Solisten ersetzt, die nun von | |
animierten Grafiken umtost werden, als seien sie leibhaftig in einen | |
Zeichentrickfilm geraten. Ständig entstehen neue, skurrile Konstellationen | |
und die hochideologischen Lasten des Textes lösen sich auf in subtilen | |
Zitaten der Kunstgeschichte. | |
Die Königin der Nacht ist eine Riesenspinne mit Aliengesicht, Sarastros | |
Männerorden eine Versammlung bärtiger Patriarchen in Frack und Zylinder. | |
Man staunt über die Perfektion und lacht mit Verstand über den virtuos | |
gezeichneten Witz jedes dieser Bilder, die sehr wohl auch zeigen, worum es | |
im Ganzen geht: Ein junges Liebespaar und ein störrischer Prolet sollen | |
sich der neu eingeführten bürgerlichen Arbeitsmoral des Ordens männlicher | |
Fabrikbesitzer unterwerfen. | |
Bitter für Neuenfels. Denn bei aller Artistik der Mittel zeigen Andrade und | |
Barrit sehr genau den historischen Schnittpunkt des Werkes, in dem Mozart | |
seine zweifellos melancholische Kritik am Aufklärungsoptimismus formuliert. | |
Aber das notorische Chaos der Berliner Opern-Spielpläne hat dazu geführt, | |
dass Neuenfels sich am Vorabend dieser „Zauberflöte“ wieder zu Wort | |
gemeldet hat, auch seinerseits mit einem Meisterwerk modernen | |
Musiktheaters. | |
## Neu geschrieben | |
Die Staatsoper hatte ihm den Auftrag gegeben, Mozarts „La finta | |
giardiniera“ zu inszenieren, was eine Unverschämtheit ist. Denn das Stück, | |
in drei Monaten für den Münchener Fasching von 1775 geschrieben, gilt als | |
nicht aufführbar. | |
Neuenfels hat es auch nicht aufgeführt, sondern neu geschrieben. Wieder | |
lässt er seine Gattin Elisabeth Trissenaar auftreten, diesmal als alternde | |
Gräfin und unterstützt von Markus Boysen, geradezu schockierend deutlich | |
als Selbstporträt des Regisseurs angelegt. | |
Schonungslos gegen sich selbst erleben wir Szenen eines Paares ohne | |
Illusionen, das über die Liebe, den Sex und die Natur des Menschen an sich | |
diskutiert, zotig und elegant zugleich, überaus stilsicher angelehnt an das | |
Vorbild des Briefromans „Gefährliche Leidenschaften“ von Choderlos de | |
Laclos, des Zeitgenossen Mozarts auch im Geiste. | |
Eingespannt in diesen Rahmen können nun Mozarts Figuren, erlöst von der | |
abstrusen Handlung des Librettos, ihre Rollen ausspielen, konzentriert auf | |
die musikalischen Perlen des kräftig zusammengestrichenen Originals. Und | |
was in der missglückten „Zauberflöte“ aufgesetzt wirkte, wird jetzt zum | |
Schlüssel zuweilen erschütternder Szenen. Jede dieser Arien und Ensembles | |
scheinen in sich die gesamte Palette menschlichen Leidens im Glück ebenso | |
wie im Unglück zu enthalten. | |
Man hört gebannt zu, erkennt sich wieder und beginnt zu verstehen. Nicht so | |
sehr, wie es um den Sex und die Liebe bestellt ist, wohl aber, worin | |
Mozarts Größe bestand. In ökonomischer, kühl sezierender Art hat er den | |
gesamten Kosmos nicht nur der Seele, sondern auch des Körpers des Menschen | |
zum Klingen gebracht, manchmal in wenigen Takten. | |
Heftige Buhrufe haben dieses mutige Bekenntnis am Ende begleitet, aber das | |
muss Neuenfels nicht stören. Er hat recht: Das ist der Anfang Mozarts. Die | |
„Zauberflöte“ am Ende, nun ja, das können auch andere … | |
27 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Niklaus Hablützel | |
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