# taz.de -- Theaterschliessung in Wuppertal: Kampf der Kulturen | |
> An Kultur wird immer weiter gespart, nun soll das Schauspielhaus | |
> Wuppertal geschlossen werden. Die Künstler protestieren. | |
Bild: Heinrich Böll sprach sich 1966 für „die Freiheit der Kunst" aus. Dara… | |
Der kubische Bau am Fluss Wupper scheint zu schweben. Ein schmales | |
Fensterband trennt den gigantischen Gebäudekörper optisch von seinem | |
Sockel. Das Schauspielhaus Wuppertal steht für das große Selbstbewusstsein | |
von einst. Zur Einweihung 1966 hielt Heinrich Böll seine Rede „Die Freiheit | |
der Kunst“. | |
Bis in die 1990er Jahre gehörte das Haus unter Intendanten wie Arno | |
Wüstenhöfer, unter dem die Tanztheater-Pionierin Pina Bausch ihre Karriere | |
begann, zu den angesehenen Deutschlands. Heute wächst davor das Gras aus | |
den Fugen, der Eingang ist dunkel. Noch bis zum Sommer finden im Foyer | |
Aufführungen statt, die Besucher müssen vorbei an geschlossenen | |
Kassenhäuschen und verriegelten Seiteneingängen. In einem guten halben Jahr | |
wird das Haus ganz geschlossen. | |
Das Kultursterben in den armen Städten hat begonnen, nicht nur in | |
Wuppertal. Auch Theater in der Nähe sind gefährdet, wie in Essen oder | |
Oberhausen. | |
Am Montag tritt der Stadtrat zusammen, um die Zukunft der Schauspielsparte | |
zu beschließen. Das Ensemble soll nochmals um ein Drittel reduziert werden, | |
von 14 auf 10 Mitglieder. Auf dem Spielplan werden in der nächsten | |
Spielzeit sechs Inszenierungen stehen – derzeit sind es elf. Ab 2014 soll | |
eine kleinere Halle das Schauspielhaus ersetzen, finanziert durch | |
Sponsoren. | |
## Nebelschwadenbilder der Kunst | |
Drei Jahre Kulturkampf haben die Schauspieler hinter sich. Sie treffen sich | |
im Hayat, einer Kneipe auf dem Ölberg, dem einstigen Arbeiterviertel | |
Wuppertals. Pächter Mehmet, ein bärtiger Kurde, steht fast jeden Abend | |
selbst hinter der Theke. Es ist laut, Rauchschwaden vernebeln die Sicht. | |
Gerade sind die letzten Ensemblemitglieder von der Probe eingetroffen. „Es | |
geht nicht nur um uns“, sagt eine junge Schauspielerin. Die Künstler sind | |
sicher, ihr Haus ist eines der ersten, aber nicht das letzte, das | |
kaputtgespart werden soll. | |
Die Frage sei nicht: „Schauspiel oder Kindergärten“, sagt ein Regisseur. | |
Diese Gegenüberstellung sei so alt wie falsch. Soziales und Kultur gingen | |
Hand in Hand. „Eines zu besparen bedeutet eine Reduzierung im Ganzen.“ Am | |
Montag wollen die Schauspieler zusammen mit Wuppertaler Bürgern im Rathaus | |
gegen die Sparpläne demonstrieren. | |
Das hat schon einmal etwas gebracht. 2010 fanden sich die Theater | |
Nordhrein-Westfalens zu einem Soli-Theater-Marathon in Wuppertal zusammen. | |
Fast 70 Theater reisten zum Welttheatertag an, es gab Menschenketten für | |
den Erhalt des Hauses und gegen die Streichung des Etat von jährlich 2 | |
Millionen Euro. | |
Danach rang sich die Stadtspitze unter Oberbürgermeister Jung (CDU) dazu | |
durch, die Schauspielsparte zu erhalten, mit erheblichen Einschränkungen. | |
Zwar hilft die Sparkasse dem Theater künftig mit 1,2 Millionen im Jahr aus, | |
doch davon müssen auch die Tariferhöhungen bezahlt werden. Und obwohl sich | |
die kommunalen Finanzen besser entwickelt haben als vorhergesagt, hält die | |
Stadt an den restlichen 800.000 Euro Einsparungen im Jahr fest. | |
Vor ein paar Wochen wurden die Namen derer bekannt gegeben, deren Verträge | |
nicht verlängert werden. Seither herrscht eine Art Schockstarre bei den | |
Künstlern. Einige sind freiwillig ausgeschieden. „Keiner bleibt, wenn er | |
woanders ein Angebot bekommt“, sagt eine der Schauspielerinnen. | |
## Unabhängige, streitbare Kunst | |
In der Hand hält sie ein Blatt Papier, immer wieder faltet sie es zusammen | |
und auseinander. Den Brief haben die Künstler aufgesetzt und verlesen ihn | |
nach Aufführungen. „Wir wollen weiterhin streitbare Kunst machen, die sich | |
unabhängig von ihren Geldgebern kritisch mit ihrer Zeit auseinandersetzt“, | |
steht dort. Als der Brief nach einer Premiere das erste Mal verlesen wurde, | |
gab es stehende Ovationen. Doch von den politisch Verantwortlichen war | |
keiner zu sehen. Am Montag wollen die Künstler gehört werden. „Wenn sie | |
nicht zu uns kommen, dann kommen wir zu ihnen.“ | |
Die Sparmaßnahmen seien nötig, wegen der Zahlen, sagen die Stadtpolitiker. | |
Zu wenig Karten würden verkauft. Von 20.000 in der vergangenen Spielzeit | |
war im Kulturausschuss die Rede – 15.000 weniger als in der Oper. So ganz | |
richtig ist das allerdings nicht. Denn nicht 20.000, sondern 30.000 Karten | |
wurden verkauft, wenn das sogenannte Familienstück, ein Theaterstück, das | |
einmal im Jahr vor allem für Familien und Schulklassen aufgeführt wird, | |
mitgezählt würde. | |
Doch laut Stadtspitze sei das ein Selbstläufer und deshalb nicht unter | |
Erfolg zu verbuchen. Paradox: Bei der Oper werden die Kinderstücke sehr | |
wohl in die Erfolgsbilanz einbezogen – obwohl sie dort ebenfalls | |
Selbstläufer sind. | |
Die Abwärts-Entwicklung des Schauspielhauses hat schon eine längere | |
Vorgeschichte: Das Ensemble, einst mit 40 Mitgliedern eines der größten | |
Deutschlands, wurde in den neunziger Jahren um beinahe die Hälfte der | |
Belegschaft und 2001 nochmals stark reduziert. Der Machtwechsel von SPD zu | |
CDU brachte auch andere Prioritäten. Der klassizistische Opernbau im Osten | |
der Stadt sollte als erstes der beiden baufälligen Häuser saniert werden. | |
Das verschlang 23 Millionen Euro – für das Schauspielhaus blieb nichts | |
übrig. | |
## Bildungsauftrag oder Kommerz? | |
Gerne verweisen CDU-Politiker auf die privaten und Laien-Theater, die keine | |
Subventionen erhalten. Für Intendant Christian von Treskow hinkt der | |
Vergleich: „Wir bekommen die Zuschüsse nicht dafür, dass wir kommerzielles | |
Theater machen. Wir haben einen Bildungsauftrag, und den kann man nicht an | |
der Quote messen.“ Das dürfe auch mal anstrengend werden. Und dann wieder | |
unterhaltend. „Es geht beides.“ | |
Aber die in der einstigen SPD-Hochburg und Geburtsstadt Johannes Raus | |
inzwischen fest verankerten Konservativen setzen auf Bewährtes. Tenor der | |
CDU-Kritik: Das Theater habe es nicht geschafft, anzukommen. Grund sei das | |
zu moderne Angebot, Intendant Treskow vernachlässige das | |
Unterhaltungstheater. 2014 soll er ersetzt werden, durch einen, der „die | |
noch große Zuschauergemeinde der Älteren“ ansprechen soll, wie es in der | |
Beschlussvorlage für die Abstimmung am Montag steht. | |
Die Lust der CDU auf allzu Klassisches macht auch vor der Oper nicht halt. | |
Künftiger Opernchef und Generalmusikdirektor wird Toshiyuki Kamioka, bisher | |
schon Chefdirigent der städtischen Sinfoniker. Er setzt vor allem auf | |
Musik, die sein Publikum nicht verstört. Sonntags ist der Konzertsaal in | |
der Stadthalle voll, überall schimmert silbriges Haar. | |
## Kulturkampf der Generationen | |
Von Treskow nickt. Klassiker und Komödien standen auch auf seinem | |
Spielplan, „aber eben nicht nur“. „Man will uns in den Kulturkampf der | |
Generationen zwingen“, sagt er. Seit gut zehn Jahren werde auf der | |
Wuppertaler Bühne nur auf Tradiertes zurückgegriffen. Das Publikum brauche | |
„Zeit, eine neue Form anzunehmen“. | |
Pina Bausch habe auch lange gebraucht, um in Wuppertal anzukommen, die | |
damalige Intendanz setzte sich trotz erbittertem Widerstand der Zuschauer | |
durch. Von Treskow: „Ohne diesen langen Atem gäbe es das Tanztheater heute | |
nicht.“ | |
Der Stadtkämmerer spricht von einer Bestandsgarantie der Schauspielsparte | |
bis 2021. Das Schauspiel solle Ort der Begegnung bleiben. Es ist schwer | |
vorstellbar, wie das bewerkstelligt werden soll. | |
Für die Ensemblemitglieder, die gerade angefangen haben zu arbeiten, | |
bedeutet Wuppertal ein kurzes Gastspiel. Sollte von Treskow gehen, gehen | |
auch sie. „Ein Intendantenwechsel bedeutet immer eine Neuausrichtung“, sagt | |
in der Kneipe Hayat einer, der erst seit dieser Saison mit dabei ist. Bei | |
seinem ersten Vorsprechen war er noch überzeugt, von dem Haus und der | |
Stadt, sagt er. „Aber wie soll ich mich in dieser Stadt niederlassen. Warum | |
sollte ich wissen wollen, was die Leute brauchen, wenn ich und meine Arbeit | |
hier nicht erwünscht sind?“ | |
11 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Barbara Opitz | |
## TAGS | |
Wuppertal | |
Theater | |
Schließung | |
Oper | |
Zürich | |
Theater | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Opernglück in Berlin: Die Weisheit eines alten Paares | |
Neuer Blick auf Mozart: Zwei unterschiedliche Inszenierungen in Berlin an | |
der Komischen Oper und der Staatsoper schaffen neue | |
Interpretationsmöglichkeiten. | |
Musiktheater in Zürich „Sale“: Teppichmuster all over | |
Ausverkauf in der Shoppingmall und in der Oper: Christoph Marthaler kehrt | |
nach Zürich zurück. Er fragt, was ist der Warencharakter der Kunst? | |
Deutsche Erstaufführung im Schauspielhaus: Absturz mit Wiedererkennungswert | |
Das Hamburger Schauspielhaus bringt die Konversationskomödie "Der Vorname | |
oder zu Gast bei guten Freunden" auf den Punkt | |
Betreuungs-Kultur: Weniger Weisungsbefugte | |
Die Bremer Werkgemeinschaft existiert seit 37 Jahren - und schenkt sich zum | |
Abschied der Gründerriege die komplette Abschaffung einer Hierarchie-Ebene. | |
Neue Intendantin am HAU Berlin: Sie kommt in Frieden | |
Jetzt bitte schön freundlich: Das Berliner HAU eröffnet die Saison mit der | |
neuen Intendantin Annemie Vanackere. |