# taz.de -- Luc Bondy verlässt Wiener Festwochen: Demnächst in Paris | |
> Freundliche Nonchalance und Zumutung: Der große Theatermann Luc Bondy | |
> verabschiedet sich nach 16 Jahren von den Wiener Festwochen. | |
Bild: Luc Bondy und Michel Piccoli auf einer Demonstration gegen eine rechte ö… | |
Die Koffer sind gepackt, die Wohnung ist ausgeräumt. Nach vier Jahren als | |
Schauspieldirektor und zwölf Jahren als Intendant verlässt Luc Bondy die | |
Wiener Festwochen. Der langen Zeit muss kein schwerer Abschied folgen. „Ich | |
habe ja nie ganz hier gelebt.“ Bondy sagt das beim Mittagstisch im Café | |
Prückel, einem jener alteingesessenen Kaffeehäuser der Innenstadt, die auch | |
Nichtwiener schnell für sich entdecken, als verlängertes Büro, Wohn- und | |
Besprechungszimmer. | |
Bondy lud hier zu Pressekonferenzen, feierte Premieren. Man darf sogar | |
rauchen im Salon nebenan, auch wenn Bondy das eigentlich gar nicht tut. Am | |
Ende sind es die Nebensachen, die sich beim Weggehen bemerkbar machen. Doch | |
gegen zu viel Pathos helfen innerpsychische Schutzmechanismen: „Ich neige | |
dazu, den Abschied von etwas zu verdrängen.“ | |
Ein klarer Schnitt, keine Übergänge. In Paris leitet Bondy seit dem | |
vergangenen Jahr das Théâtre de l’Odéon. Als Regisseur wird der 1948 | |
geborene Schweizer dem deutschsprachigen Theater dennoch erhalten bleiben. | |
Obwohl er immer wieder zwischen den Sprachen und ihren unterschiedlichen | |
Theatertraditionen pendelt, sind seine wichtigsten Arbeiten seit den 70er | |
Jahren auf deutschsprachigen Bühnen entstanden. | |
Paris bedeutet für Bondy zunächst eine andere Produktionsweise, keine | |
festen Ensembles, das wirtschaftliche Risiko des En-suite-Spielens und | |
unterm Strich schmalere Budgets, trotz des Status eines der französischen | |
Nationaltheater. | |
Die Wiener Festwochen verbinden eine wohlbemessene öffentliche Finanzierung | |
mit dem fast gänzlichen Fehlen von kostenintensiver Infrastruktur: kein | |
Stammhaus, keine Abonnementsysteme, die mit Programm bedient werden müssen, | |
keine Werkstätten. Andernorts stagnieren öffentliche Förderungen und die | |
operativen Budgets werden von den fixen Ausgaben aufgezehrt. | |
Den Festwochen verschafft ihre Kostenstruktur die operativen Mittel, ihre | |
künstlerischen Interessen in der internationalen Theaterzusammenarbeit | |
überzeugend zu vertreten. Dabei agierte das Festival unter Bondy nicht in | |
erster Linie als solventer Einkäufer mit dem Ziel, zuerst zu haben, was | |
dann alle haben. Er machte Wien zu einem Produktionsort, der | |
Ensemblekonstellationen zusammenführte und künstlerische Fantasien | |
ermöglichte, die im Alltag des Repertoiretheaters so nicht mehr zu | |
realisieren sind. | |
## Vom Direktorium zur Intendanz | |
Bondys Start in Wien traf 1998 auf eine unübersichtliche Gemengelage. Die | |
langjährige, die Festwochen besonders prägende sozialdemokratische | |
Kulturstadträtin Ursula Pasterk war gerade einer neu gebildeten großen | |
Koalition in der Stadt zum Opfer gefallen. Das Festival regierte ein | |
Dreier-Direktorium aus dem Schauspieldirektor Bondy, Klaus-Peter Kehr | |
(Musik) und Hortensia Völckers, zuständig für Tanz und Sonderprojekte, wie | |
man das damals nannte. Aus dem Direktorium entwickelte sich recht bald, | |
2002, Bondys alleinige Intendanz. | |
Er fokussierte das Festival auf das Theater. Die sich rasant erweiternden | |
Spielformen der Gattung sollten ebenso Platz finden wie der Versuch, | |
traditionelles literarisches Theater an der Zeit zu erneuern. Eine | |
strategische Entscheidung: „Salzburg war das Musikfestival“, so sollte Wien | |
in bewusster Konkurrenz etwa zu Avignon eines der wichtigen europäischen | |
Theaterfestivals sein. | |
Er unterließ zunächst, was regieführende Intendanten eigentlich immer tun: | |
die vertikale Ausrichtung des gesamten Apparats auf die eine, eigene | |
Künstlerpersönlichkeit. Konkurrierende Gestirne wie Peter Zadek fanden | |
Gestaltungsmöglichkeiten, und er selbst bezog Kraft auch aus den | |
Herausforderungen und Zumutungen seiner ästhetischen Antipoden. Viele der | |
schönsten Arbeiten des vergangenen Jahrzehnts von Marthaler und Castorf | |
sind so in Wien entstanden. Bondys Führungsstil ließ seinen | |
MitstreiterInnen große inhaltliche Autonomie, wie die 2007 verstorbene | |
Marie Zimmermann in seinen ersten Jahren und aktuell Stefanie Carp. | |
Das rief in Wien die Beckmesser auf den Plan. Man leiste sich einen | |
Regisseur als Intendanten und die jeweilige Schauspieldirektorin mache | |
dessen Arbeit. Seine künstlerischen Resultate goutiert man in Wien, seinen | |
Führungsstil nicht unbedingt. Bondy spielte oft über Bande, war lieber | |
Diskussionspartner, Anreger, Ermöglicher als nassforscher Macher. | |
Langfristig hat er jedenfalls mehr erreicht als diejenigen, die in der | |
Öffentlichkeit der Stadt den markigen Intendantenton pflegen. | |
## Zum Abschied ein düsterer Komödienstrich | |
Zu seinen Qualitäten gehört, in der Kunst für Dinge einzutreten, die er | |
jenseits des eigenen Geschmacks wichtig findet. Das Engagement von | |
Christoph Schlingensief („Bitte liebt Österreich“) 2000, dem Jahr der | |
europaweit mit Bestürzung aufgenommenen schwarz-blauen Regierungsbildung in | |
Österreich, verschaffte ihm plötzlich eine neue Rolle: die des politisch | |
streitbaren Intendanten. | |
Es sei richtig gewesen, sich zu äußern, als damals Teile der Regierung die | |
Gespenster der Vergangenheit wachriefen, so sieht er es heute noch. | |
Gleichwohl habe sich die rechte FPÖ in der Regierungsbeteiligung entzaubert | |
und der politische Schaden für das Land sei gering geblieben. In Frankreich | |
dagegen hätte eine rechte Regierungsbeteiligung unabsehbare Folgen für das | |
Land und seine politische Tradition als Einwanderungsland und eines, das | |
Verfolgten Schutz bietet. | |
Zum Abschied liefert Bondy im Wiener Akademietheater einen düsteren, gegen | |
jeden Komödienstrich gebürsteten Molièr’schen „Tartuffe“ und vereint d… | |
mit Edith Clever, Gert Voss und Joachim Meyerhoff die Protagonisten gleich | |
dreier wichtiger Theaterepochen auf einer Bühne. Einmal mehr gehört Skepsis | |
gegenüber den jeweils zeitgemäßen Leittheorien zu den Qualitäten des | |
Regisseurs Bondy. | |
Als Theater die Welt verändern sollte, fragte er nach dem, was danach immer | |
noch unglücklich macht, als Individualpsychologie Selbstverwirklichung | |
versprach, zweifelte er an der Heilung, wo postmoderne Ironie die Konflikte | |
des Theaters einebnet, leidet er mit seinen Figuren. | |
14 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Uwe Mattheiss | |
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