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# taz.de -- Inszenierung „Die Neger“ in Wien: Aufklärung gegen sich selbst
> Jean Genets Stück verweist auf ein Problem, das das Theater mit sich
> selbst hat. Johan Simons versucht bei den Wiener Festwochen das Dilemma
> zu lösen.
Bild: Die Frage, ob Weiße überhaupt Schwarze spielen können oder dürfen, wu…
Mitten in den schmutzigen Kriegen, die Frankreich in seinen Kolonien
führte, hat Jean Genet 1958 ein Stück geschrieben, das er ausschließlich
von schwarzen SchauspielerInnen gespielt wissen wollte. „Die Neger“ bietet
ein Sprachrohr zur Selbstermächtigung, einem weißen Publikum zu sagen, was
von ihm zu halten sei. Gerade den kultivierten, verständnisvollen,
liberalen oder fortschrittlichen Weißen, denen, die immerfort sagen: „Ich
bin doch kein Rassist!“ – andere finden sich ohnehin selten im Theater.
Von derben Scherzen bis zum hohen Stil der französischen Tragödienliteratur
steht die gesamte Bandbreite der Theatertradition zur Verfügung, aber wie
die SpielerInnen die Worte auch wägen, fühlen und gestalten, schnell wird
klar, dass mit all der holden Menschendarstellungskunst sie nie gemeint
waren. Die Gattungsbezeichnung, die der Autor wählte, lautet mehr oder
minder zwangsläufig „Clownerie“.
Als Johan Simons und das Ensemble der Münchner Kammerspiele mit ihren
Partnern bei den Wiener Festwochen und am Hamburger Schauspielhaus die
Arbeit an diesem Text begannen, ähnelte ihre Perspektive wohl der des
Engels der Geschichte, den Walter Benjamin im ungebremsten Flug in die
Zukunft mit schreckgeweiteten Augen auf das Grauen der Vergangenheit
zurückblicken ließ: die in den meisten europäischen Ländern nur mangelhaft
aufgearbeiteten Verbrechen der Kolonialzeit, die Ausbeutung von Mensch und
Natur in den unterworfenen Weltgegenden, Rassismus, Eurozentrismus und
Wirkung dieser Gifte bis in die heutige Gesellschaft.
Aber unversehens landete das Theater in der Gegenwart und erkannte nicht
die Welt, sondern sich selbst als sein größtes Problem. An Genets
„Clownerie“ sieht auch das Theater, wie wir es bis heute kennen, nicht gut
aus. Die Frage, ob Weiße überhaupt Schwarze spielen können oder dürfen,
wurde auch in Wien im Vorfeld heftig diskutiert. Sie ist keine politisch
korrekte Überspanntheit, sondern rührt an den Darstellungsformen des
Theaters selbst. Genet erzwingt den Blick hinter den Spiegel und provoziert
die Erkenntnis, dass die Sichtweisen des Theaters immer nur aus der
Gesellschaft stammen, die es seit der Aufklärung sorgfältig kritisiert, und
damit – wenn auch wohl ungewollt – ebenso rassistisch sein können. Theater
müsste dann die Unschuldsvermutung gegen sich selbst fallen lassen und sich
für ebenso aufklärungsbedürftig erachten wie die Gesellschaft, in der es
agiert.
## Kein schwarzes Ensemble
Wie geht man mit „Die Neger“ um? Einem ausschließlich schwarzen Ensemble,
wie es Genet ursprünglich gefordert hat, würde das differenzierte
Ausdrucksvermögen der Kammerspiele-Schauspieler wohl abgehen. Nicht weil es
keine guten schwarzen SchauspielerInnen gäbe, sondern weil das
deutschsprachige Theater als halbamtliches Selbstvergewisserungsorgan einer
weißen Mittelschicht sie in entscheidender Position nicht hervorbringt.
Also doch mit dem vorhandenen Ensemble arbeiten. Johan Simons und die
SchauspielerInnen der Münchner Kammerspiele finden schließlich einen Weg,
mit „Die Neger“ umzugehen. Sie bringen dafür ein Opfer, das zuerst
erschütternd hart erscheint, sich aber im Lauf des Spiels rechtfertigt. Sie
agieren hinter gesichtslosen Masken in Schwarz und Weiß, an denen nur
Attribute wie Kreuz, Krone oder Gesetzbuch cartoonhaft auf ihre Rollen –
Missionar, Königin, Gouverneur – hinweisen. Der Kopfschmuck der schwarzen
Masken erinnert ein wenig an die Tracht der Hererofrauen, an denen
Kolonialtruppen in Deutsch-Südwest den Genozid probten.
Die besten Schauspieler verzichten auf einen entscheidenden Teil ihres
persönlichen Künstlerkapitals – die ausdrucksmäßige Verwendung ihrer
Gesichtsmuskulatur – und ihre individuelle Wiedererkennbarkeit. Nur Felix
Burleson, der einzige nicht aus Europa stammende Schauspieler, verbleibt
mit individuellen Zügen auf der Bühne. Die anderen dienen namenlos einem
Spiel, das durch die Maske hindurch Genets irisierende Sprachbilder
beschwört, auch wenn sie in der Übersetzung von Peter Stein einen leicht
holzigen Nachgeschmack haben.
Irgendwo zwischen Schau-, Schatten- und Maskenspiel eröffnet Johan Simons
dem Theater einen unverhofft neuen Weg, der neugierig macht, weil er den
Bildern, die der Rassismus hervorbringt, den Köper und die Natur
verweigert. Eine Art von protestantischem Bilderverbot im barocken Wien.
Das bringt ihm nicht nur Freunde. Wem’s nicht kulinarisch genug war, kann
hinterher immer noch ins Restaurant gehen. Der Autor empfiehlt ein
klassisches Dessert der Wiener Küche: warmen Schokoladenkuchen mit
Schokosoße und einem Tupfer Schlagobers. Man nennt es hier ganz ohne
Blackface-Protest: „Mohr im Hemd“.
6 Jun 2014
## AUTOREN
Uwe Mattheis
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Wiener Festwochen
Schwerpunkt Rassismus
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