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# taz.de -- Junge Akteure: Leerlauf im Tohuwabohu
> Das Bremer Theater überlässt seiner Theaterschule die Spielplanposition
> zu Rechtsextremismus: In vier langen Stunden deckt die Produktion „Larger
> than life“ die Ursachen rechter Gewalt eher zu als auf
Bild: Junge moderne Nazis beim Saufen: Wirtshaus-Szene aus dem Stück "Larger t…
BREMEN taz | Schon zur dritten Aufführung erscheint die Polizei. „Nazis
sollen hier Propagandamaterial verteilen, so haben uns Anwohner gemeldet“,
erklärt ein Polizist den Einsatz. Und richtig: Mädchen im BDM-Design
marschieren am Sebaldsbrücker Bahnhof auf, mit Bierflaschen im Anschlag
lungern andere Jugendliche aggressiv herum, düster dröhnt
pseudofaschistische DAF-Musik.
Verteilt werden Programmzettel für die Dokufiction „Larger than life“ der
Jungen Akteure des Theaters Bremen. Das Stück findet nicht im Theater
statt, sondern an verschiedenen Orten in Bremen-Sebaldsbrück. Dabei wird
ganz bewusst nie „larger than life“ agiert: Es gelingt – wie die Präsenz
echter Polizei beweist – die Illusion, das Spiel fugenlos in unser aller
Realität zu implantieren.
„Antihuman Antichrist“ steht auf der Lederjacke des Regisseurs Mirko
Borscht. Und total anti-korrekt spektakelt der Abend dahin. Der
NS-Völkermord wird mal geleugnet, mal gefeiert: Am lodernden Party-Grill
prangt der Schriftzug „Happy Holocaust“. Auch wird das Hakenkreuz
ausgestellt, „Juden raus aus Deutschland“ gebrüllt, Adolf Hitler besungen
und der nach ihm benannte Gruß entboten. Bestenfalls geschmacklos?
Jedenfalls ist es die Spielplanposition des Bremer Theaters zum NSU-Terror.
Vom Eingangsszenario am Bahnhof geht das Publikum zur Hemelinger
Probebühne. In allen Räumen und auf den Freiflächen werden schlaglichtartig
Erinnerungen eines Rechtsradikalen lebendig – inspiriert von der Biografie
des Neonaziterroristen Odfried Hepp. Hier heißt er Herbert Schlageter, was
wiederum an Albert Leo Schlageter erinnern soll. Der sprengte in den
1920er-Jahren Eisenbahnstrecken im Ruhrgebiet, um den Abtransport von Kohle
durch die Besatzer zu verhindern.
In der Aufführung ist er der dreifache Schlageter: Als Kind (Hannah Aulepp)
verschlägt ihn die Liebe zum Nazivater in rechte Jugendbünde, als Jungmann
(Nicolai Gonther) ist er ein Wehrsportgruppengründer, der sich in einem
PLO-Camp ausbilden lässt, schließlich als BND-Mann (Michael Janssen) endet
und als Moderator durchs Stationendrama seines Lebens führt.
„Ausländerschlampe“ werden nicht arisch aussehende Jugendliche beschimpft
sowie Pläne geschmiedet, wie die Abschiebung von „Kanackenfamilien“ zu
befördern sei. Im Zentrum steht die Erlebnisgastronomie dumpfen
Deutschtums: ein mit Hirschgeweihen und SS-Totenkopf-Plakat zum „Ratzinger
Hof“ hergerichteter Wirtshaus-Saal.
In Gängen, Nischen, auf Emporen flimmern Fernsehbilder, zucken
Stroboskoplichter, wabert Nebel, knattern Schusswaffen. Ein Narr rezitiert
Literarisches. Fast vier sehr lange Stunden dauert diese Performance
paralleler Aktionen. Zwischen Zeitebenen und Spielorten hin und her bummeln
sollen die Besucher. Mit welchem Ziel?
Wie rechte Gewalt entsteht, in welchem sozialen Klima sie gedeiht – das
deckt der Aktionismus eher zu als auf. Die schmale Grenze zwischen national
und rechtsextrem bleibt im Dunkeln. Zusammenhänge zu verstehen, dem
exemplarischen Psychogramm eines politisierten Gewalttäters zu folgen:
alles kaum möglich. Man zappt so herum und erlebt viel Leerlauf im
Tohuwabohu der theatralen Ereignisse. Zudem sind Szeneninhalte und
Ausformulierungen in den improvisierten Dialogen arg klischeehaft.
Was allerdings zu Borschts Konzept gehört. Er will keine
sozialpsychologischen Studien bebildern, sondern das jugendliche Publikum
präventiv mit Wohlfühl- und Sinnangeboten der Neonazis konfrontieren. Man
kann diesen Abend daher durchaus „falsch“ verstehen. Wie die Anwohner, die
die Polizei alarmieren. Auch die Aufführung zeigt provokant naiv: Nazi sein
ist anstrengend, schmerzhaft, aber cool, immer was los, Abenteuer ohne
Ende, man kommt viel rum und nach dem offiziellen Ausstieg aus der Szene
gibt’s immer gute Jobangebote.
Sie zeigt aber auch: Jugendliche könnten mit der gleichen Motivation auch
in eine komplett andere politische Richtung aktiv werden – wie das Treiben
im linksliberal-frauenbewegten WG-Zimmer der älteren Schlageter-Geschwister
nahelegt.
Die drei Dutzend Laiendarsteller, 13 bis 78 Jahre alt, stürzen sich
exzessiv, mit teilweise erschreckender Überzeugungskraft in ihre Rollen.
Kommen am Ende aber alle irgendwie punkig-bockig drauf. Denn sie können so
radikal, so viel „larger than life“ sein wie sie wollen, stets bleiben sie
doch Marionetten im Spiel politischer und wirtschaftlicher Interessen.
Meinen sie jedenfalls erkannt zu haben.
11 Jun 2013
## AUTOREN
Jens Fischer
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