Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Großes Theater: Fade ist das Räuberlesen
> Am Bremer Goetheplatz-Theater zeigt Felix Rothenhäusler Friedrich
> Schillers wüsten Erstling ohne Enthusiasmus, Furor oder Not.
Bild: Im Diskursknoten Franz laufen Wörter von Vater Moor und seinem Jüngsten…
Vielleicht wäre die Lösung gewesen, Karl komplett zu streichen. Mindestens
hätte das für Aufsehen gesorgt, über die Premiere am vergangenen Samstag
hinaus. Es wäre nicht so ermüdend gewesen. Und es hätte sich im
Inszenierungsansatz für Friedrich Schillers Die Räuber am [1][Theater
Bremen] auch schlüssig machen lassen, wenn Regisseur Felix Rothenhäusler
die Heldenfigur, das maßlose und tragische Subjekt, den in seiner Schuld
großen Menschen einfach gelöscht hätte, oder eben mit Foucault
weggeschwemmt: No Moor Karl.
Höhö.
Macht er aber nicht, und wahrscheinlich ist das auch nur ein doofes
Gedankenspiel, das einem halt so durch den Kopf schießt in der Ödnis eines
fast einstündigen Monologs, der sich bedeutend länger anfühlt. Denn
letztlich ist dieser Theaterabend ähnlich geordnet wie ein Gemälde, das dem
Schweizer Kabarettisten [2][Ursus Wehrli] in die Finger gefallen ist,
allerdings wohl ohne komische Intention: Passendes ist zu Passendem,
Gleiches zu Gleichem verschoben, alles fein säuberlich aufgeräumt.
Und so startet der Abend mit einem eindrucksvollen leicht irren
Selbstgespräch des nackten Franz Moor. Claudius Franz ist als der in
vollendeter Einsamkeit ganz hinten aus der dunklen Tiefe des Großen Hauses
nach vorne an die Rampe geschritten: In dieser Einsamkeit durchlebt er in
innerer Spaltung die Auseinandersetzung mit dem Vater, der ihn verachtet:
Verlassenheit.
Und so bildet den zweiten Teil der Aufführung ein Monolog, in dem
Rothenhäusler und sein Dramaturg Tarun Kade alles gebündelt haben, was im
Urtext unter die Rubrik Räuberleben sortiert werden kann:
Kastratenjahrhundertsprüche, Klosterüberfall, Befreiung von Kamerad Roller,
Freiheitsdrang und Blutbad, Brandschatzung und Mordbrand, die Zärtlichkeit
Karls und seines Spiegelbergs Gewalt – alles. Robin Sondermann muss es
aufsagen, dieses Konvolut.
Eine Weile ist dem gut zuhören, und unschlüssig ist der Ansatz nicht: Dass
Schillers Personen vor allem Konzepte und Gedankenfiguren sind, war ja
Voraussetzung für ihre glänzende Karriere als Deutschaufsatzthemen. Warum
sie also nicht als Knotenpunkte rhizomatischer Diskursnetzwerke
inszenieren?
Ja, warum nicht? Es ist kostengünstig – der Regieansatz spart 11 Rollen –
und Schiller mit Gilles Deleuze zu lesen, das wird an den Universitäten,
und dieses Theater ist extrem universitär und will mit Zirkus nix am Hut
haben, gern genommen. Es wird sich niemand groß über diese Räuber aufregen,
die eher zurück an die Bücher drängen als zur Natur. Toll spielen die
SpielerInnen – Martin Baum: klasse! Nadine Geyersbach: Zu gut! Ein Genuss:
Mathieu Svétchines Luftgeigensolo, sein Silens-Bauch wackelt im Takt des
Tschaikowsky-Konzerts, mit dem Hermann, das uneheliche Kind, sich seinen
Träumen von Aufstieg und Heirat hingibt, den Traum der Gesellschaft träumt,
den Franz ihm in die einzig fühlende Brust gezwickt hat. Allegro, ja, aber
nur moderato. Und allerliebst, sicher, die statt einer Katastrophe
plötzlich über die Dramen-Welt hereinbrechende endlose Parade der
Zeichentrick-Figuren, Biest und Schöne, Lebkuchenmann, Alice im Wunderland,
Disneys Schneewittchen und diverse Zwerge, Goofy, Mary Poppins, Micky Maus
und Cowboy Woody.
Nicht beantworten kann Rothenhäuslers elegante Stilübung aber die
entscheidende Frage: Warum? Also warum es notwendig oder auch nur sinnvoll
sein soll, die Leere des Raums gerade für Schillers wüsten Erstling zu
nutzen, warum es überhaupt schon wieder „Die Räuber“ am Goetheplatz gibt,
zwei Jahre nach Volker Löschs [3][furioser Inszenierung] des gleichen
Stücks an derselben Stelle, bloß diesmal ohne Furor geschweige denn
Anliegen oder denkbare Anlässe außer eventuell dem, dass das Stück
vielleicht mal wieder im Zentral-Abi drankommt. Oder dass Peter Zadeks
Räuber-Inszenierung die berühmteste Aufführung der Ära des seligen Kurt
Hübner war, die vor 51 Jahren begann.
Das Publikum wird zu diesen Räubern kommen, weil das Stück ja ein Klassiker
ist. Am Ende des Abends wird es nicht entsetzt, aber auch nicht euphorisch,
höchstens ein wenig missmutig den Heimweg antreten: Sondermann spielt zu
gut, um gehasst, nicht gut genug, um geliebt zu werden. Der Respekt vor
seiner sportiven Leistung verbietet Buhrufe, die Ermüdung durch den
Marathonmonolog standing ovations. Und so ist es dann.
7 Jun 2013
## LINKS
[1] http://www.theaterbremen.de/de_DE/spielplan/die-raeuber.885551#termine
[2] http://www.ursuswehrli.com/de/die-bucher
[3] /Glaenzendes-Theater/!49028/
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Schiller
Wiener Festwochen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Emotionsverstärker: Die Pathos-Experten
Das Theater Kiel hat die Hamburger Band Kettcar beauftragt, aus Schillers
„Die Räuber“ eine Rockoper zu machen.
Luc Bondy verlässt Wiener Festwochen: Demnächst in Paris
Freundliche Nonchalance und Zumutung: Der große Theatermann Luc Bondy
verabschiedet sich nach 16 Jahren von den Wiener Festwochen.
Moritz Thape über den Rauswurf Kurt Hübners: „Ich bin der Buhmann“
Mit einer eigenen Produktion feiert das Theater Bremen die legendäre Zeit
seines von der Fachwelt umjubelten Intendanten.
Sphären&Szenen: Der Teppich als Geburtskanal
Mit Alexander Giesches berührerendem visual poem „Der perfekte Mensch“
nähern sich im Bremer Schauspielhaus die säuberlich getrennten Sphären von
Freier Szene und Stadttheater einander an
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.