| # taz.de -- Kurt Weil an der Komischen Oper: Auf dem Sofa mit Gisela May | |
| > Gut für die Werbung, schlecht für die Kunst. Die Woche für Kurt Weill an | |
| > der Komischen Oper in Berlin mit „Weltstars“ wie Ute Lemper und | |
| > standbildhaftem Agitprop. | |
| Bild: Drei Engel für Kurt: Dagmar Manzell, Gisela May, Ute Lemper. | |
| BERLIN taz | Das Ende war gespenstisch. Donnerstag Nacht, gegen 21 Uhr, kam | |
| eine Figur auf die Bühne, wie sie eigentlich nur in Filmen von Federico | |
| Fellini zu sehen ist: Knochige Wangen, weiß geschminkt, blutrote Lippen, | |
| tiefschwarze Liedschatten, die blonde Perücke zum Pony frisiert. Es war | |
| Gisela May, die Legende, die Stimme Bertolt Brechts in beiden deutschen | |
| Staaten. | |
| Sie setzt sich auf das Sofa, das ihr eigenes aus ihrem Wohnzimmer ist. Man | |
| hat es für sie auf die Bühne gestellt. Sie erzählt ihre Anekdoten, auch | |
| über die Komische Oper, die allerdings nicht ihr Theater war. Stammhaus der | |
| mehrfachen Staatspreistägerin der DDR war das Berliner Ensemble. Von dort | |
| aus bereiste sie die Bühnen der Welt, aber nicht Berlins, und nicht der | |
| Komischen Oper, wo eine andere intellektuelle Elite des untergegangenen | |
| Staates ihre halblauten Zweifel zu artikulieren gelernt hatte. | |
| Vergessen, nach der Wende betrat Gisela May „in Pantoffeln", sagt sie, auch | |
| die Räume des „großen Intendanten" und fragt, wie er denn hieß? „Walter | |
| Felsenstein" rufen einige aus dem Publikum. Der Name steht auch auf | |
| Bronzetafeln am Eingang. | |
| Dumm nur, dass Barrie Kosky, der gegenwärtige Intendant, noch vor seiner | |
| ersten Saison in Erinnerung rief, dass die Geschichte des Theaters an der | |
| Behrensstraße in Berlins mittigster Mitte älter ist als die Neugründung | |
| nach dem Krieg unter Felsenstein. Unter dem Namen „Metropol-Theater" fanden | |
| hier die weltweit beachteten Premieren der großen Operetten und Revuen von | |
| Franz Lehar, Emrich Kalman oder Paul Abraham statt. | |
| ## Aufs Metropol geschielt | |
| Kosky ist wild entschlossen, daran anzuknüpfen, hat sich zu Weihnachten | |
| eine einmalige, konzertante Aufführung der Operette „Die Bajadere" von | |
| Kalman geschenkt, und danach, vom 18. bis 24. Januar, eine „Kurt Weill | |
| Woche" auf den Spielplan gesetzt. Ein programmatisches Konzept war jedoch | |
| nicht zu erkennen. Zwar feierte auch Kurt Weill seine ersten Erfolge in | |
| jenen goldenen Jahren des Metropol-Theaters, aber er feierte sie nicht | |
| dort. Er schielte mit Brecht zusammen nur dorthin, um eigene Ideen für ein | |
| eines neues, volkstümliches Unterhaltungstheater zu entwickeln - radikal | |
| antiromantisch und antirealistisch bei ihm selbst, politisch revolutionär | |
| bei Brecht. | |
| Aber schon Koskys Amtsvorgänger Andreas Homoki hatte mit einer forciert am | |
| Original orientierten Inszenierung von „Mahagonny" Weill an die | |
| Behrensstraße zurückgeholt, und Kosky selbst hatte hier mit Dagmar Manzell | |
| eine ebenso sparsame wie suggestive Aufführung der „Sieben Todsünden" von | |
| Brecht und Weill aus ihrem Pariser Exil 1933 vorgestellt. In den Medien | |
| mochten sich die Wiederaufnahmen dieser beiden, vom Publikum gut | |
| angenommenen Produktionen als Programmschwerpunkt gut verkaufen lassen. Für | |
| die Kunst jedoch gelten andere Regeln. Gisela May konnte auf ihrem Sofa | |
| jedenfalls nicht erklären, was Kurt Weill mit der Komischen Oper zu tun | |
| hat, und vor allem nicht, welche Rolle er dort in Zukunft spielen könnte. | |
| Ihr Auftritt war Nostalgie, umrahmt vom Orchester des Hauses, das drei | |
| extrem unterschiedliche Werke des Komponisten spielte: Das „Berliner | |
| Requiem“ für drei Männerstimmen und Bläser von 1928 zu einem Text von | |
| Brecht, das Konzert für Violine, Bläser, Schlagzeug und Kontrabässe von | |
| 1925 und die Suite aus der Dreigroschenoper für Bläser, Klavier und | |
| Schlagzeug von 1928. Ein Blick in die Werkstatt eines universalen Musikers. | |
| Statuarischer Agitprop beim „Requiem“, kammermusikalisch aufgefächerte | |
| Virtuosität im Violinkonzert und perfekt instrumentierte Songs, die längst | |
| Klassiker der Popmusik sind. | |
| Um die Woche voll zu kriegen, hatte Kosky auch noch Ute Lemper geholt. | |
| Letzten Sonntag hat sie in der selbst zugeschriebenen Rolle des Weltstars | |
| versucht, diese populäre Seite des Kurt Weill zu beleuchten. Das gelang ihr | |
| vor allem deswegen nicht, weil ihr Tonmeister der Ansicht war, wenn Frau | |
| Lemper in Berlin singe, könne es nur das Olympiastadion sein. Den | |
| Lautsprechern war daher nicht zu entnehmen, ob sie die wenigen Weill-Songs | |
| ihres Standard-Programms gut oder schlecht gesungen hat. | |
| ## Peinlicher Flirt | |
| Es war einfach nur Lärm und peinlicher Flirt mit dem Publikum, das sich | |
| tatsächlich dazu verleiten ließ, „Mackie Messer“ mit zu pfeifen. Die Lemp… | |
| war entzückt „Oh, in Berlin kennen alle dieses Lied.“ Wieder falsch, die | |
| ganze Welt kennt diesen Hit, aber die beste Version stammt nun mal weder | |
| von Gisela May noch von Ute Lemper, sondern von Ella Fitzgerald und Duke | |
| Ellington. | |
| Es ist daher nicht zu befürchten, dass Kurt Weill jemals vergessen wird. | |
| Was also bleibt von der Weill-Woche in Berlin? Der Anfang. 1994 ist in | |
| Bautzen zum ersten mal eine Operette aufgeführt worden, die Weill 1934 zu | |
| komponieren begann, aber nie fertiggestellt hat. Sie heißt „Der Kuhhandel“. | |
| Die Komische Oper hat eine Rekonstruktion der hinterlassenen Teile der | |
| Partitur einstudiert und zum Auftakt in der Weill-Woche vorgestellt - aber | |
| nicht inszeniert. Max Hopp, dem Schauspieler aus der Ostberliner | |
| Ernst-Busch-Schule, gelang es dennoch glänzend, Schauplätze und Handlung so | |
| zu erzählen, dass ein ganz neues Bild des Musikers entstand. | |
| Man muss Kurt Weill endlich von dem Schrägstrich befreien, mit dem er | |
| hinter den Namen „Brecht“ angehängt wird. Sein „Kuhhandel“ nach dem Te… | |
| eines ungarischen Emigranten ist ein Anti-Kriegsstück, dessen politische | |
| Aktualität weit über Brechts Ästhetik der Propaganda hinausgeht. Auch | |
| musikalisch scheint Weill hier weit mehr seinen eigenen, offenbar noch | |
| immer nicht wirklich verstandenen Vorstellungen gefolgt zu sein als ihm das | |
| im Dienste Brechts geboten schien. Vorhang zu, alle Fragen offen wie immer. | |
| Wer war Kurt Weill wirklich? | |
| 25 Jan 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Niklaus Hablützel | |
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