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# taz.de -- Joachim Langs Film „Mackie Messer“: Jenseits der Komfortzone
> Mit „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ liefert Joachim Lang eine
> vielschichtige Reflexion auf seinen Stoff. Eine Oper-im-Film-im-Film.
Bild: Ein skeptischer Blick – und doch sehr entschlossen: Bertolt Brecht käm…
Dies ist ein Film, den es eigentlich nicht geben könnte. Denn damals, noch
während des Triumphzugs der „Dreigroschenoper“, der von ihrer Berliner
Premiere 1928 bis zum Aufführungsverbot durch die Nazis 1933 anhielt,
sollte Bertolt Brecht zwar sein erfolgreichstes Werk für die Leinwand
adaptieren. Sollte die Geschichte vom Gaunerboss Mackie Messer, dessen
Freundin Polly Peachum, ihren Eltern und der Spelunken-Jenny in ein
Drehbuch verwandeln. Damit der unfassbare Erfolg des Stücks und seiner zu
Gassenhauern gewordenen Songs weiter ausgewalzt und der Zauber von Kurt
Weills vielschichtiger, zweifelnder Musik und Brechts Wahrheiten
konserviert werden könnte. Doch Brecht, der aus Leidenschaft für das neue
Medium bereits mehrere Kurzfilmdrehbücher verfasst hatte, überwarf sich
aufs Ungnädigste mit der Produktionsfirma.
„Als der Tonfilm eingeführt wurde, versuchte man, Theater zu verfilmen.
Brecht dagegen wollte davon weg, eine eigene Filmhandlung schreiben.“ Das
erklärt Joachim A. Lang, der Regisseur von „Mackie Messer – Brechts
Dreigroschenfilm“, der es gewagt hat, aus der Oper, dem Original-Filmexposé
„Die Beule“, den Ereignissen rund um die Opernaufführung und den
„Dreigroschenprozess“, in dem der Autor gegen die seiner Ansicht nach
unangemessene Filmproduktion vor Gericht zog, etwas Neues zu erschaffen.
Etwas, das mit der Originaloper, mit dem von Georg Wilhelm Pabst 1931 gegen
Brechts Willen inszenierten Kinofilm, und allen Dramen zum Thema zu tun
hat.
Aber auch etwas anderes ist, etwas Episches, etwas Zitiertes – schließlich
hatte Brecht mit den „3 Groschen“ selbst die viel früher in London
entstandene „Beggar’s Opera“ zitiert, manche sagen „plagiiert“. Etwas…
zwischen den Realitäten hin und herspringt, mitten in der Szene, manchmal
mitten im Song aus der Opern- in die Filmhandlung wechselt, den Streit
zwischen Brecht und dem deutsch-amerikanischen Filmproduzenten Seymour
Nebenzahl (gespielt von Godehard Giese) mitaufnimmt. Etwas eben, das die
vierte Wand, ganz in Brechts Sinne, zum dichterischen Torwandschießen
nutzt.
Heiner Müller hat einst gesagt, Brecht nicht zu verändern, hieße, ihn zu
verraten. Regisseur Lang, der über die „Bühnenstücke Bertolt Brechts in den
audiovisuellen Medien“ promovierte, als jahrelanger Leiter des
„Brecht-Festivals“ in Augsburg oft mit den sensiblen
Brecht-und-Weill-Erbengruppen zu tun hatte und insofern wahrscheinlich der
firmste Mensch für dieses ambitionierte Projekt überhaupt ist, hat sich das
zu Herzen genommen.
## Originalzitate um Brecht näherzukommen
Aber sein flirrender „Mackie Messer“-Mix ist auch Hommage: Lars Eidinger
spielt einen jungen, arroganten Brecht, dessen bittere Oper soeben mit
Karacho in die Weimarer Republik einschlug, dessen künstlerische (und
menschliche) Hybris ihn jegliche Rat- und Vorschläge ignorieren lässt und
der zwar starke Frauenfiguren erschreibt, sich in der Realität jedoch
despektierlich äußert. Und das verbrieft: „Ich versuche, seinem Denken
näherzukommen, indem ich ihn in Zitaten spreche lasse, 100 Prozent Brecht.
Und wie kann man einem Dichter oder seiner Kunst näherkommen als durch
seine Worte, also seine Kunst?“, erklärt der Regisseur. Auch die Zeilen
Weills (Robert Stadlober) sind Originalzitate des Komponisten.
Auf der Textebene des Films entsteht so eine Collage aus ostentativen und
authentischen Aussagen, die die formale Collage aus Opern- und Filmhandlung
und Making-Of widerspiegelt. Und einen den stattlichen Eidinger in der
Rolle des kleinen, unscheinbaren Augsburgers akzeptieren lässt – inklusive
fehlenden Dialekts: „Die großen Worte der deutschen Literatur wirken
einfach nicht auf Augsburgerisch“, gibt Lang zu denken (der aus
Baden-Württemberg stammt).
Zudem wird Brecht, der sagte, dass für die „Wiedergabe der Realität etwas
Künstliches nötig ist“, auf diese Weise selbst zur Kunstfigur – und macht
Langs Intention deutlich, keinen biografischen Historienfilm, sondern eine
Reflexion auf den Stoff machen zu wollen. Die vor ulkigen Choreos nicht
zurückzuckt: Den „Mond über Soho“ schmachten nicht nur Macheath (Tobias
Moretti) und die neue Ehefrau (Hannah Herzsprung als Polly/Carola Neher)
an, sondern gleich eine ganze, biegsame Balletttruppe.
Neben den klassisch Brecht’schen Botschaften – erst das Fressen, dann die
Moral; was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank; aus
den bärtigen Räubern einer versunkenen Epoche werden die kultivierten
Beherrscher des modernen Geldmarkts – sind es ebenjene Songs, die seit 1928
immer wieder reproduziert und in die Repertoires Hunderter von
KünstlerInnen aufgenommen wurden.
Lang erweist diesen Songs den absoluten Respekt: Er lässt seine
SchauspielerInnen in Originaltonhöhe singen, unabhängig von persönlichen
Tonlagen. Die Weill Foundation, erzählt Lang, bestand darauf – und er hatte
es eh vorgesehen. Claudia Michelsen als Frau Peachum verlässt ihre
Komfortzone und singt sich in ungeahnte Höhen, Joachim Król als Peachum und
Moretti als Macheath schmettern voller Elan und Verachtung, und Britta
Hammelstein als Jenny beziehungsweise deren erste Darstellerin Lotte Lenya
liefert ihren ikonischen Piratensong ikonisch ab.
So morpht Lang Brechts Werk mutig zu einer eigenwilligen
Oper-im-Film-im-Film. Die, nach Hinweisen auf Ähnlichkeiten zwischen der
düster brodelnden Stimmung der 20er und den heute wieder erstarkenden
Rechten, mit einer Portion Trumpismus in der Moderne endet: im
Hyperkapitalismus einer klinisch weißen Bank, mit Polly als Bankdirektorin.
Brecht hätte das bestimmt gefallen.
13 Sep 2018
## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
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