# taz.de -- 125. Geburtstag von Brecht: „Ich hasse Sie!“ | |
> Am 10. Februar vor 125 Jahren wurde Bertolt Brecht geboren. Als | |
> schlitzohrigen Provokateur zeigt ihn ein Band mit Interviews aus drei | |
> Jahrzehnten. | |
Bild: Der Dramatiker und Lyriker Bertolt Brecht in einer undatierten Aufnahme | |
„Solche Leute würde ich nicht dulden. Wenn nötig, würde ich töten – ja,… | |
würde ihn töten.“ Das sagt Brecht über George Orwell in einem Interview vom | |
11. März 1955 und es wundert kaum, dass dieses Gespräch mit Emanuel | |
Livinoff für das konservative britische Magazin The Spectator für Aufsehen | |
sorgte. Orwell war damals freilich schon fünf Jahre tot. Brechts Wut galt | |
denn wohl weniger dem Schriftstellerkollegen, sondern dem Westberliner | |
Magazin Monat. Das hatte Orwells Romane in Serienform veröffentlicht und | |
streng antikommunistisch Bertolt Brecht auf dem Kieker. | |
Dass diese rhetorische Mordlust jetzt zu [1][Brechts 125. Geburtstag] am | |
10. Februar der Öffentlichkeit wieder in Erinnerung gerufen wird, ist dem | |
Interviewband „Unsere Hoffnung heute ist die Krise“ zu verdanken. Darin | |
sind 91 Interviews mit dem Autor zwischen 1926 und 1956 versammelt. Sie | |
erweitern den Blick auf den Künstler und geben Einblick in die | |
tagespolitischen Untiefen des Schriftstellerlebens. Diesen Schatz hat Noah | |
Willumsen aus den verschiedensten Archiven gehoben und dann zum Suhrkamp | |
Verlag getragen. | |
Viele der Interviews erscheinen erstmals auf Deutsch, obwohl Brecht sie | |
meist in deutscher Sprache geführt hat. [2][Seit 1933 lebte Brecht im | |
Exil], zuerst in Skandinavien, dann in den USA, und Gespräche mit | |
Journalisten aus dem Ausland sind in der Mehrheit. Brecht nutzte die | |
Interviews auch, um Lobbyarbeit gegen Hitler zu machen, doch dominieren die | |
großen Theaterthemen, die mal besprochen, mal vom Theaterautor verordnet | |
werden. Er möchte seine inszenatorischen Ideen direkt in den Kulturdiskurs | |
der Exilländer einspeisen und natürlich auch Werbung machen für sein | |
Theater, das aber spätestens seit den Gastspieltouren von „Mutter Courage | |
und ihre Kinder“ ohnehin weltberühmt ist. | |
## Die Interviews sind eine Bühne | |
Sein schlitzohrig-ironisches Wesen legt er dabei nie ab. Diese Interviews | |
sind eine Bühne, er hat Spaß an der Provokation, dem kalkulierten | |
Vor-den-Kopf-Stoßen. „Ich hasse Sie!“, ruft er den Journalisten zur | |
Begrüßung zu, wie Henry Magnan von Le Monde berichtet. Den lässt er dem | |
Gespräch einen Definitionstext zum Verfremdungseffekt voranstellen, weil | |
so viel Unfug darüber geschrieben worden sei. Zugleich aber gibt er sich | |
als belesener Intellektueller zu erkennen, der Chaplin liebt und sich in | |
der Tradition von Goethe, Kleist und Büchner verortet. | |
Brecht bereitet die Interviews akribisch vor, übt anfangs sogar mit | |
Elisabeth Hauptmann Antworten auf fiktive Fragen ein. Besonders fasziniert | |
ihn – da ist er auf einer Linie mit seinem Freund Walter Benjamin – das | |
Radio als neues Medium, um seine Ideen an die breite Masse zu bringen. Das | |
allerdings ist ein komplizierter Prozess, denn in der Weimarer Republik | |
herrscht Zensur. Das Gespräch wird transkribiert, der Zensur vorgelegt und | |
schließlich vom freigegebenen Manuskript erneut abgelesen, um gesendet zu | |
werden. | |
Herausgeber Willumsen schenkt all diesen Details große Aufmerksamkeit. | |
Jedem der 91 Gespräche ist eine ausführliche Einleitung vorangestellt, | |
welche die Interviewenden vorstellt und den geschichtlichen Kontext | |
beleuchtet. Hinzu kommen ausführliche Fußnoten: Der kritische Apparat ist | |
mitunter länger als der Text der Gespräche selbst. | |
## Liebe zu Bonmots | |
Das gilt besonders für das Interview von Vladimir Pozner, das dieser 1955 | |
anlässlich eines Gastspiels des „Puntila“ auf dem Internationalen Festival | |
der dramatischen Kunst in Paris führte und das tatsächlich nur aus einer | |
Frage besteht: „Wie gefällt Ihnen das Festival?“ Selbst hier bringt Brecht | |
noch ein Bonmot unter. Er sagt, man habe wohl einige Schwierigkeiten mit | |
den Vorhängen gehabt, allerdings nicht mit dem Eisernen. | |
Solche Schmankerl liegen Brecht offenbar. Der exilierten Wienerin Lydia | |
Infeld, die später für die UN in Afrika arbeiten wird, gibt er in New York | |
zu Protokoll: „Ein guter Kriminalroman ist mir lieber als mittelmäßige | |
Lyrik.“ Über seine mag er allerdings nicht reden. Und dem Italiener | |
Salvatore Quasimodo diktiert er in Mailand in den Block: „Anders als Diebe | |
wissen Schriftsteller nicht immer, wo sie ihr Zeug herhaben.“ | |
Wer jetzt allerdings mit Interviews rechnet, wie sie heute die | |
Medienlandschaft prägen, der muss sich auf Enttäuschungen gefasst machen. | |
Die meisten Texte sind kleine oder größere Artikel, in denen ausführlich | |
die Räume, in denen Brecht arbeitet, und Brechts Auftreten beschrieben | |
wird. Eher Reportagen mit umfangreichen Zitaten, die Brecht übrigens nie | |
freigegeben hat. Das wollte er explizit nicht, ebenso wenig wie seine Werke | |
erklären. | |
Dabei spricht er gerne über Details der Inszenierungen oder seine Ideen vom | |
Theater gestern, heute und morgen. Neben Größen wie Marcel Reich-Ranicki, | |
Alfred Kerr, Herbert Ihering und Klaus Bunge ist ein Großteil der | |
Interviewpartner heute relativ unbekannt oder gar vergessen. | |
Der Band liefert so auch einen Querschnitt durch die Welt der | |
Intellektuellen, in welcher der Weltbürger Brecht sich bewegt hat. „Ich | |
setze Leute vor die Tür, die mir solche Fragen stellen“, sagt er an einer | |
Stelle. Diese 91 aber hat er freundlich empfangen. | |
10 Feb 2023 | |
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[1] /Brecht-Tage-in-Berlin/!5912285 | |
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## AUTOREN | |
Torben Ibs | |
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