| # taz.de -- Neue Brecht-Verfilmung: Schlimmer geht immer | |
| > In Heinrich Breloers Dokudrama über das Leben Bertolt Brechts fehlt das | |
| > Feuer. Und auch sonst hat die Verfilmung vieles missverstanden. | |
| Bild: Spielt sein Ding runter: Tom Schilling als Bertolt Brecht im ersten Teil … | |
| Um Heinrich Breloers Zweiteiler über Brecht gerecht zu werden, erzählt man | |
| vielleicht erst mal einen Witz: In einer Folge der TV-Serie „Sopranos“ wird | |
| ein unsympathischer Mensch zu Grabe getragen. Die Stimmung ist schlecht, | |
| und Hesh Rabkin, der jüdische Ratgeber der Soprano-Familie, gibt zur | |
| Auflockerung den Schwank vom Rabbi zum Besten, der bei einem ähnlich | |
| unerfreulichen Begräbnis einigermaßen verzweifelt in die Runde fragt, ob | |
| denn nicht irgendwer wenigstens ein gutes Wort über den Verstorbenen sagen | |
| könne. Die Antwort, nach langem peinlichen Schweigen: „Sein Bruder war noch | |
| schlimmer.“ | |
| Fangen wir also mit dem weniger Schlimmen an: dem zweiten Teil über den | |
| alten Brecht, der zugänglicher, weil uns zeitlich näher ist – und der neben | |
| fast allen Defekten des ersten Teils auch Schönheiten aufzuweisen hat. So | |
| die Szene, als Brechts Witwe Helene Weigel, verkörpert von Adele Neuhauser, | |
| in einer Art psychotherapeutischen Sitzung Jahre nach Brechts Tod ihren | |
| tiefen Kummer über dessen manische „Weibergeschichten“ zu Protokoll gibt. | |
| Das sitzt. Da wird zum Erlebnis, zum Ereignis, zur tieferen Erkenntnis, was | |
| aus der überbordenden Brecht-Gedächtnis-Literatur hinlänglich bekannt ist. | |
| Auch die Originalzeugnisse von Martin Pohl, Brechts Meisterschüler am | |
| Berliner Ensemble, der unter falschen Vorwürfen verhaftet und vom | |
| DDR-Regime fertiggemacht wurde, muss man gesehen haben – um zu verstehen, | |
| was eigentlich dieses sprichwörtliche Leben „in finsteren Zeiten“ Brechts | |
| bedeutet. Das Gesicht des alten Pohl (im Hintergrund ist ausgerechnet ein | |
| Gedichtband von Brechts Antipoden Gottfried Benn zu sehen), das Bild dieses | |
| kaputten Menschen – das erklärt das Dilemma des Künstlers, das Brecht mit | |
| Worten seinem Sohn Stefan einmal so nahezubringen versuchte: „die | |
| schwierigkeit bestand darin, dass die gesellschaft, den wunsch in uns | |
| erweckend, unempfindlich zu werden, zugleich die produktivität abhängig | |
| machte von der empfindlichkeit, d. h. der produktive hatte den preis der | |
| verletzlichkeit zu entrichten (sic!).“ | |
| Die Aufnahmen des unheilbar verletzten Pohl werden der nicht unerheblichen | |
| Frage gerecht, wie es der Mensch Bertolt Brecht überhaupt schaffte, | |
| angesichts des Horrors des Ersten und des Zweiten Weltkriegs, von Nazismus, | |
| Exil, Todesangst vor den stalinistischen Häschern, dauerndem ökonomischen | |
| Druck, US-amerikanischer Kommunistenhatz und so weiter, ein reiches Leben | |
| in so grauenhaften Zeitläufen zu führen. Martin Pohl schaffte es nicht. Und | |
| wir Heutigen in der gemütlichen Bundesrepublik ähneln, weil wir so | |
| gesichert sind, sehr viel mehr ihm als dem Vitalitäts- und Kreativmonster | |
| Brecht. | |
| ## Spitzenensemble mit unterdurchschnittlichem Trainer | |
| Diesem Monströsen kommt man mit Szenen, die sich fast durchweg auf „Terra | |
| X“-Niveau bewegen, jedoch nicht nahe. Man versteht angesichts des | |
| einfallslosen Gestopsels von Breloers Inszenierungen einfach nicht, warum | |
| Brechts Durchbruchsdrama „Trommeln in der Nacht“ oder der verkitscht | |
| dargestellte [1][Welterfolg „Dreigroschenoper“] einst das Publikum in den | |
| Wahnsinn getrieben haben. | |
| Woran liegt das? Es kommt einem das Bild eines Spitzenensembles, sagen wir | |
| des FC Barcelona, in den Sinn, das von einem eher unterdurchschnittlichen | |
| Bundesligatrainer, sagen wir Thomas Doll, trainiert wird. Ein schwacher und | |
| gleichzeitig eitler Spielleiter unterschätzt, dass auch Spitzenleuten | |
| Spitzenleistung immer neu und mit maximalem Einsatz abgefordert werden | |
| muss. Tom Schilling als junger Brecht spielt sein Ding aber, abgesehen von | |
| einer sehr schön zynisch-verzogenen Unterlippe, auf der linken Gesäßbacke | |
| runter. Die Frauen werden hübsch hingestellt und abgefilmt. | |
| Steckt dahinter Absicht? Sollte hier Brechts Methode des epischen Theaters | |
| reproduziert werden, die Verhinderung von Einfühlung? Dann wäre ein | |
| Uraltmissverständnis der Epigonen im Umgang mit Brecht zu konstatieren. | |
| Denn dessen Schauspielkunst ist maximal sinnlich – die große Kühle, die er | |
| so schätzte, kann sich nur erlauben, wer brennt. „Feuer und Kühle, | |
| Lockerheit und Exaktheit“, das macht mit seinen Worten Kunst aus. Und davon | |
| gibt es bei Breloer zu wenig. | |
| Ist dieser Brecht-Film also ästhetisch gescheitert, so wird er im | |
| Off-Kommentar – neben Spielszenen und Filmdokumenten die dritte von | |
| Breloers Techniken – auch inhaltlich unappetitlich. Wenn es etwa zur | |
| Revolution 1918/19 heißt, die junge Weimarer „Republik, geführt von den | |
| Sozialdemokraten, ruft das Militär zur Hilfe“ gegen die radikale Linke. | |
| Genau – und ein gutes Jahrzehnt später ruft dann Hindenburg die Nazis gegen | |
| die Kommunisten zur Hilfe, das Ergebnis ist bekannt. | |
| Dass Breloer die deutsche demokratische Revolution ein zweites Mal verrät, | |
| nachdem seine sozialdemokratischen Helden Ebert und Noske die | |
| protofaschistischen Freikorpsschlächter zu Hilfe gerufen haben, ist schon | |
| ein starkes Stück. Man fragt sich nicht nur an dieser Stelle, was eine | |
| immerhin fünfköpfige Redaktion wohl sagt, wenn sie für teuer Geld ein so | |
| fatales Produkt geliefert bekommt. Vielleicht ja so etwas wie: Andere Filme | |
| waren noch schlimmer? | |
| 27 Mar 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ambros Waibel | |
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