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# taz.de -- Ausstellung zu Brecht und Benjamin: Im Dickicht einer Freundschaft
> Die Schau „Benjamin und Brecht. Denken in Extremen“ beleuchtet die auch
> Widerspruch duldende Beziehung zwischen dem Dichter und Kritiker.
Bild: Eines ihrer liebsten Tätigkeiten im Exil: Brecht und Benjamin spielten i…
Es ist eines der wenigen Fotos, die von dieser Freundschaft zeugen.
Geschossen 1934, im dänischen Svendborg. Der Literaturkritiker und der
Dramatiker sitzen da am Tisch und gehen einer ihrer liebsten Tätigkeiten
während der Exilzeit nach: ausdauerndem Schachspielen.
Bert Brecht, mit kurz geschorenen Haaren und einer Zigarre zwischen den
Fingern, schaut fokussiert, fast ungeduldig. Walter Benjamin scheint durch
seine kleinen Brillengläser das Schachbrett zu überfliegen, als würde er
den nächsten Zug gründlich überdenken.
Ähnlich beschrieben auch WeggefährtInnen die Schachtaktiken:
Angriffslustig, aber fahrlässig der Dramatiker, der auf der Bühne
provozierte und zum Klassiker avancierte. Defensiv und bedacht der
Philosoph, dessen Habilitationsschrift wegen des esoterischen Stils
abgelehnt wurde. Eine widersprüchliche Freundschaft: der Künstler und der
Wissenschaftler, Dichter und Kritiker, Rationalist und Metaphysiker.
Trotzdem war der Austausch zwischen beiden rege und produktiv. Besonders in
jenem Sommer 1934. Während die Faschisten in Deutschland ihre Macht
festigten, reiste Benjamin aus seinem Pariser Exil nach Svendborg. Hier, wo
der Brecht-Kreis verweilte, waren die Schachpartien eine gesellige
Abwechslung. Die Brecht-Vertraute Ruth Berlau erinnerte sich in einem
Interview: „Sie spielten immer zusammen. Ich weiß nicht, worüber sie
sprachen.“
## Bekenntnis zur Linken
In gewisser Weise ist das auch die Ausgangskonstellation der Ausstellung in
der Akademie der Künste: Denn Telefonate, Gespräche und Korrespondenz gab
es immer wieder über die Jahre. Doch nur wenig ist dokumentiert: Briefe,
Skizzen, Exposés oder Bücher – Bruchstücke, durch die sich ein Dialog
zurückverfolgen lässt.
Dieser begann im Sommer 1924 auf der Urlaubsinsel Capri. Benjamin bittet
die kommunistische Regisseurin Asja Lacis, ihn mit Brecht bekannt zu
machen. Der künftige Theater-Star der Weimarer Republik lässt ausrichten,
er habe kein Interesse an einer Begegnung.
Erst im Juni 1929 ist eine engere Bekanntschaft der beiden entstanden. Ende
der 1920er Jahre lässt eine Politisierung die beiden Intellektuellen näher
zusammenrücken. Hitlers NSDAP drängt an die Macht, im Mai 1929 wird eine
ArbeiterInnen-Demonstration von der Polizei niedergemetzelt.
Benjamin wie Brecht bekennen sich zur Linken und mischen sich
gesellschaftskritisch ein: Sie planen die Herausgabe der Zeitschrift Krise
und Kritik. Der Dramatiker entwickelt die Theorie des epischen Theaters,
der Literaturkritiker Benjamin kommentiert sie, macht sie – etwa im
Rundfunk – populär.
## Streitthema Literatur
Das gefällt nicht allen, wie die in der Ausstellung dokumentierte
Kontroverse mit Bernhard Diebold, dem damaligen Theaterkritik-Papst der
Frankfurter Zeitung, zeigt. 1933 dann die Flucht ins Exil. Brecht hat sich
da schon längst zum Marxismus bekannt, auch Benjamin nähert sich ihm an.
Nicht nur dies ein Thema, über das sie während des Exils diskutieren,
korrespondieren und streiten. Die ausgestellten Exponate illustrieren,
worum es unter anderem ging: Etwa ein im Juni 1931 gemeinsam angefertigtes
Schema zum Wohnen, in der die Marx-Leser dialektische Entdeckungen über das
möblierte Dasein notieren.
Auch heftigster Streit um Literatur und Kunst verband sie: Benjamins
Kafka-Interpretation war Brecht viel zu mystisch, bei Baudelaire waren sie
sich sowieso nie einig. Und den Aura-Begriff, den Benjamin in seinem
berühmten Kunstwerk-Aufsatz ins Spiel brachte, konnte Brecht gar nicht
nachvollziehen. „Alles Mystik bei einer Haltung gegen Mystik“, lästerte der
Marxist.
Ein anderes Buch schenkte Benjamin ihm wohl aus Dank für die stete
Gastfreundschaft, das von ihm sehr geschätzte „Handorakel“ von Baltasar
Gracián. In seiner Widmung zitiert er einen Vers Brechts aus dem Lied von
der „Unzulänglichkeit menschlichen Strebens“: „Denn für dieses Leben ist
der Mensch nicht schlau genug.“
## Adorno sah Brechts Einfluss negativ
Eine Geste, die ein Motiv anklingen lässt, das sich wie ein roter Faden
durch die Freundschaft zieht: die Rolle des Denkenden, die etwa in der
Figur des Herrn Keuner auftaucht und auf die Brecht wie Benjamin selbst
immer wieder zurückgeworfen waren.
Denn wie Europa in der Barbarei versinkt, erfahren beide nur durch das
Radio, Zeitungsberichte oder Briefe. Was sie diesem Schrecken
entgegensetzen, sind Interventionen aus dem „Geist der Kritik“ (Alexander
Kluge). Ein humanistisches wie emanzipatorisches Projekt in einem Zeitalter
der Extreme, das brennend aktuell erscheint: Wie auf eine gesellschaftliche
Krise reagieren? Und was kann die Kunst dagegen tun?
Dass Brecht und Benjamin auch kritische Zeitgenossen sind, kommentieren
KünstlerInnen wie Edmund de Waal, Zoe Beloff oder Kluge in einem weiteren
Teil der Ausstellung. In Collagen, Installationen und Filmen wird ein
Denkraum eröffnet, der die unbequemen Intellektuellen in die Gegenwart
holt.
Die Künstler Adam Broomberg und Oliver Chanarin rekonstruierten mit einem
Schachautomaten die einstigen Duelle im Svendborger Exil. Das erinnert
nicht nur an jenen Schachautomaten, mit dem Benjamin kurz vor seinem Tod
seine Thesen über den Begriff der Geschichte allegorisch einleitet.
Bekanntlich griff auch Brecht das Brettspiel in einer Szene des „Galilei“
auf, um wissenschaftlichen Fortschritt zu versinnbildlichen. Das spricht
für eine gegenseitige, produktive Beeinflussung in diesem Dickicht der
Freundschaft.
Freunde Benjamins wähnten ihn immer wieder unter der Kontrolle des
Dichters. Adorno schrieb: „Unter Brechts Einfluss trieb Benjamin nur dumme
Dinge.“ Doch in Brechts Augen war er der „Vieles Wissende“. Als er von
seinem Selbstmord auf der Flucht vor den Nazis erfuhr, schrieb Brecht in
einem Gedicht: „Ermattungstaktik war’s, was dir behagte / Am Schachtisch
sitzend in des Birnbaums Schatten / Der Feind, der dich von deinen Büchern
jagte / Lässt sich von unsereinem nicht ermatten.“
1 Nov 2017
## AUTOREN
Benjamin Trilling
## TAGS
Bertolt Brecht
Walter Benjamin
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