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# taz.de -- Kochen als Kunstperformance: Wenn ich eine Banane wäre
> In Kunstausstellungen geht es derzeit viel um Essen und Kochen. Nahrung
> erzählt davon, wie Menschen, Dinge und Geschmäcker an einen Tisch
> gelangen.
Bild: Bearbeiten von Margarine im Kochvideo „Cooking with the erotic“ von I…
Mit jedem Tropfen Wasser, das sich vom Eis in der Sommerhitze löste und
über das gelbe Rund perlte, drang Schönheit und Unbehagen hervor. Wie ein
Relief hatte Künstler Caique Tizzi tropische Bananen für das Sommerfest im
Berliner Brücke-Museum in Wasser gefroren.
Ein essbares Kunstwerk, dessen gelbe Frucht auch Sinnbild für den globalen
Handel, die Pestizide, die schlechten Bedingungen auf den Plantagen ist.
Caique Tizzi tourt mit seinen Essperformances gerade auf Kunstmessen und
Kulturevents. Tisch, Teller und Gericht, sie sind bei ihm auch ein
wunderschönes, langsam wegkonsumierbares Varnitas-Stillleben.
Essen scheint gerade überall zu sein in der Kunst. In Bregenz startet nun
ein Sommerprogramm mit dem Titel „Das große Fressen“, und Künstlerin Dafna
Maimon baute dafür einen gigantischen Verdauungstrakt auf. Man kann sich
dann hineinbegeben in seine rot-braunen Windungen, sich hindurchwühlen wie
ein zerkautes und zersetztes Stück – sagen wir mal – Banane.
Soeben eröffnete auch die Retrospektive der feministischen
[1][Konzeptkünstlerin Martha Rosler] in der Frankfurter Schirn. Ikonisch
ist darin die Videoarbeit „Semiotics of the Kitchen“ von 1975. Mit Schürze
steht Martha Rosler in einer Küche wie damals die populäre Fernsehköchin
Julia Child. Trocken benennt sie die Kochutensilien – den Topf, den
mechanischen Rührbesen –, um dann über die knapp 7 Minuten des Videos mit
zunehmend anschwellender Aggression der an den Herd gefesselten Hausfrau
ihre Funktion vorzuführen.
Was wir essen, wie wir essen, wer es zubereitet, das ist politisch. Und es
erzählt viel davon, wie die Menschen, Dinge und Geschmäcker überhaupt an
einen Tisch gelangen.
## Die Gabel der Prinzessin
[2][Norbert Elias,] der große Soziologe der Tafelsitten, berichtet 1939 in
„Über den Prozess der Zivilisation“ von der Anektdote einer griechischen
Prinzessin, die im 11. Jahrhundert bei ihrer Vermählung mit einem
venezianischen Dogen wegen einer Gabel einen Skandal verursachte. Sie habe
diese beim Hochzeitsmahl verwandt. Für die Venezianer sei es jedoch
anmaßend gewesen, „Gottes Gaben“ nicht mit bloßen Händen zu sich zu nehm…
Das Ereignis deutet Elias als Initialzündung, die Gabel der aus dem fernen
Byzanz kommenden Prinzessin sollte später unter europäischen Adligen zum
Distinktionsmerkmal bei Tisch werden, war noch im 17. Jahrhundert ein
Luxusartikel, bis sie sich dann in vielen Teilen der Welt als
Alltagsgegenstand ausbreitete.
Dass die Dinge des Essens migrieren können, führte auch der
Performancekünstler Rikrit Tiravanija vor. Er, 1961 in Argentinien geboren,
in Thailand aufgewachsen und heute zwischen Berlin, New York und Bangkok
hin und her reisend, mischte einst mit seinen „food pieces“ den
Kunstbetrieb auf. In der Gallery 303 in New York installierte er 1992 eine
Küche, kochte und servierte dort Thaicurry in zwei Versionen. Scharf war
die thailändische, mild diejenige, wie sie in den New Yorker Restaurants
serviert wurde.
Tiravanija machte das Kunstpublikum zum direkten Konsumenten, paarte
Happening mit Institutionskritik. Der prominente Kunstkritiker Jerry Saltz
machte dazu noch eine weitere Beobachtung: „Americans had to eat with
strangers“. Sinnlich, durch den Gaumen schuf Tiravanija einen sozialen
Raum, Bekanntes konnte darin geschmeidig auf Unbekanntes stoßen.
## Biesenbach und das Thaicurry
Der Museumsdirektor [3][Klaus Biesenbach] sähe gern Tiravanijas
Thaicurry-Küche als Street-Food-Stand am zukünftigen Museum der Moderne in
Berlin, wie er im Frühjahr einmal bei einer Pressekonferenz am Rande
bemerkte. Wenn es denn gelänge, um den gerade entstehenden Neubau von Büro
Herzog & de Meuron herum einen Park anzulegen.
Das Kochen ist ohnehin längst raus aus den Kunstinstitutionen und auf die
Straße gelangt. Davon berichtet gerade die Ausstellung „Cooking as
Performance“ in Köln. Von ihr aus ziehen etwa Künstlerin Paula Erstmann und
Kuratorin Lisa Klosterkötter mit einer mobilen Küche durch die Straßen,
spüren an einer klassischen Konditorei oder einer srilankische Garküche
ihre kulinarische Historie auf.
Aber was tun, wenn die Straßen leer sind, wie während der Pandemie? Dann
werden die sozialen Medien zum öffentlichen Raum, dann kocht man über
Videos gemeinsam. Die Kölner Schau in dem Kunstverein „Temporary Gallery“
hat zahlreiche solcher Filme aus dem Netz zusammengestellt. Wie der
rätselhafte Hollywood-Regisseur David Lynch Quinoa in zähen 20 Minuten auf
körnigen Schwarz-Weiß-Aufnahmen zum Blähen bringt.
Atemberaubend sind die 43 Tiktok-Sekunden aus einem US-amerikanischen
Gefängnis, in denen ein Insasse eine Pringles-Dose mit Aludeckel über ein
simples Elektrokabel erhitzt, unter die Metallfläche seines Zellenbetts
schiebt und sie kurzerhand zur Herdplatte umwandelt. Seine Burritos brät er
so goldig braun. Performance, Kunst, Öffentlichkeit und Privatheit, soziale
Realität – sie überschneiden sich alle hier.
## Griff in die Gemüseschüssel
Rezepte teilen, heißt auch, seine persönliche Geschichte teilen, seine
Identität öffentlich zu verhandeln. Eine heutige Identität, die so hybrid
zwischen verschiedenen Ländern und Social-Media-Profilen wandeln kann. Das
führt in Köln auch das Video von einer der vielen Kochsessions vor, die
Künstler Hiwa K. vor einigen Jahren mit Studierenden an der Kunsthochschule
Mainz veranstaltete.
Hiwa K. kommt aus dem Irak, war zu dem Zeitpunkt schon lang in Deutschland.
Per Skype schaltete er seine Mutter aus dem irakischen Sulaimaniyya für
die Sessions dazu. Sie wies das Kochteam auf Kurdisch an. Hiwa K.
übersetzte, wenn sie um noch ein halbes Glas Olivenöl und um einen weiteren
kräftigen Griff in die Gemüseschüssel bat. Und je mehr Form das Gericht
annahm, umso aufgelöster wirkte der Künstler zwischen den Realitäten seines
Lebens, zwischen der Mainzer Küchengesellschaft und der von der schlechten
Internetverbindung verrauschten Mutter aus der Heimat.
„Die Distanz zu ihr war so groß, dass ich trotz meiner Sehnsucht, sie zu
sehen, ziemlich unsicher war, wie es mit dieser digitalen Mama weitergehen
sollte, ist sie es oder nicht?“, schrieb Hiwa K dazu.
14 Jul 2023
## LINKS
[1] /Ausstellung-feministischer-Pop-Art/!5810054
[2] /Ein-Museum-fuer-Wolfram-von-Eschenbach/!5606741
[3] /Neuer-Direktor-der-Neuen-Nationalgalerie/!5800121
## AUTOREN
Sophie Jung
## TAGS
Kunst
Nahrung
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Köln
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