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# taz.de -- Kommentar Merkels Flüchtlingspolitik: Kanzlerin der Abschottung
> Wie gerecht kann Abweisung sein? In der ARD-Sendung „Farbe bekennen“
> zeigt die Kanzlerin, wie gründlich sie nach rechts gedriftet ist.
Bild: „Wir müssen schauen wie wir gerechte Mechanismen finden“, sagt Merke…
Was denn dieser brutale Asylstreit, was die letzten Tage mit ihr gemacht
hätten, fragen die beiden Moderatoren Angela Merkel am Ende. Merkel
antwortet glatt: Sie habe oft darüber nachgedacht, wie sie eine Lösung
finde. Doch tatsächlich zeigen die 15 Minuten am Mittwochabend in der
Sendung [1][„Farbe bekennen“] wie gründlich und unwiederbringlich die
Kanzlerin und mit ihr die gesamte Bundesregierung in diesen Tagen des
Asylstreits nach rechts gedriftet sind.
Angela Merkel hat so gar nichts mehr gemein mit der Frau, die vor fast drei
Jahren spontan bekannte: „Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen
zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht
zeigen, dann ist das nicht mein Land.“ Ein freundliches Gesicht für
Menschen in Notsituationen, das ist klar, wird sie künftig nicht mehr
zeigen.
Merkel spricht über die Transitzentren, in denen Menschen, die in
Deutschland Asyl beantragen wollen und bereits in einem anderen EU-Land
registriert wurden, unter polizeilicher Aufsicht festgehalten werden
sollen. Insgesamt waren das in den ersten vier Monaten diesen Jahres 18.000
Menschen, die einen entsprechenden Eintrag in der europäischen Datenbank
Eurodac hatten. Merkel sagt, dass die Verfahren maximal 48 Stunden dauern
sollen, danach müsse die Überstellung in ein anderes Land erfolgt sein.
Denn länger als 48 Stunden dürfe niemanden die Freiheit entzogen werden.
Diese Begründung ist so hanebüchen wie falsch. Das Grundgesetz fordert zwar
die Entscheidung über eine Freiheitsentziehung bis zum Ende des nächsten
Tages (Art. 104 Grundgesetz). Die Freiheitsentziehung selbst kann dann
natürlich länger dauern. Dementsprechend muss auch die Entscheidung über
eine Rücküberstellung nicht zwingend binnen 48 Stunden getroffen werden.
Interessant ist jedoch der Vergleich zum Flughafenverfahren, dort muss eine
Entscheidung binnen 19 Tagen getroffen sein (inklusive
Gerichtsentscheidung). Wenn dies nicht gelingt, kann der Antragsteller nach
Deutschland einreisen und das Verfahren normal weiterführen. Eine
richterliche Entscheidung über den Aufenthalt in der Flughafen-Transferzone
ist erst nach 30 Tagen erforderlich. Das zeigt: der Aufenthalt in einer
Transferzone mit Ausreisemöglichkeit ist keine Freiheitsentziehung, sonst
müsste darüber binnen 48 Stunden entschieden werden. Wenn Merkel von
Freiheitsentziehung spricht, dann zeigt das also, was die Regierung mit
Transitzentren wirklich meint: Massengefängnisse für zigtausende, die im
Eilverfahren abgeschoben werden sollen.
## Türkei-Abkommen
Interessant ist auch ihr Verweis auf besseren Außengrenzenschutz und dazu
erforderliche Absprachen mit Drittländern ähnlich dem Türkei-Abkommen. In
der Türkei leben über 3 Millionen syrische Flüchtlinge, viele unter
erbärmlichen Umständen. Die Türkei nimmt jene zurück, deren Asylantrag in
Griechenland abgelehnt wurde, im Gegenzug darf ein Asylbewerber aus der
Türkei direkt in die EU einreisen. Im Dezember vergangenen Jahres erklärte
die Bundesregierung noch: „Seitens der Bundesregierung gibt es gegenwärtig
keine Vorbereitungen oder Vorüberlegungen zu einer Übertragung der
EU-Türkei-Erklärung auf andere Länder. Dies gilt insbesondere für Libyen,
da die politischen und rechtlichen Voraussetzungen für eine [2][derartige
Vereinbarung dort nicht gegeben] sind.“ Und nun macht die Kanzlerin das
Türkei-Abkommen plötzlich zum Prototyp für weitere solcher Deals.
Und nicht nur das: nunmehr sind all jene, die nicht im Rahmen eines solchen
Abkommens einreisen, per se illegal und ihre Abweisung stilisiert die
Kanzlerin zu einer Frage der Gerechtigkeit. „Wir müssen schauen wie wir
gerechte Mechanismen finden“, sagt Merkel in der ARD. „Wie wir legal
Flüchtlinge aufnehmen, aber nicht diejenigen, die illegal auf den ägäischen
Inseln ankommen, den Vorteil haben, weil sie mehr Geld hatten, stärker sind
oder bessere Beziehungen.“
Noch im März verteidigte Merkel in ihrer Regierungserklärung das Abkommen,
„weil es allemal besser ist, als dem Sterben in der Ägäis und den Taten der
Schlepper und Schleuser tatenlos zuzusehen.“ Doch nun sind nicht mehr die
Schlepper die Bösen, sondern die Menschen die sich dank „besserer
Beziehungen“ auf Schlauchbooten einschiffen. Ob sie nun endgültig zur
Abschottungskanzlerin geworden sei, wollen die Journalisten auch wissen.
„Klares Nein“, sagt Merkel. Lügnerin!
5 Jul 2018
## LINKS
[1] https://www.tagesschau.de/inland/merkel-farbe-bekennen-105.html
[2] http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/003/1900349.pdf
## AUTOREN
Anna Lehmann
Christian Rath
## TAGS
Lesestück Meinung und Analyse
Transitzentren
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Asylpolitik
Flüchtlinge
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