# taz.de -- Katja Kipping über Linken-Absturz: „Unser Verhalten war ein Fehl… | |
> Warum ist die Linke bei der Wahl so abgestürzt? Die frühere Vorsitzende | |
> Katja Kipping sieht einen Grund in der jüngsten Enthaltung zum | |
> Afghanistaneinsatz. | |
Bild: Schmerzhaftes Wahlergebnis: Katja Kipping fordert, die Linke müsse sich … | |
taz: Frau Kipping, die Linke liegt bundesweit unter 5 Prozent und Sie | |
konnten das Direktmandat in Dresden nicht gewinnen. Wie tief sitzt der | |
Frust? | |
Katja Kipping: Das ist ein schmerzhaftes Ergebnis. Wir haben in Dresden | |
alles gegeben. Immerhin holte ich doppelt so viele Erststimmen wie die | |
Partei Zweistimmen und wir konnten die AfD auf den dritten Platz verweisen. | |
Aber in einer konservativen Stadt wie Dresden um das Direktmandat zu | |
kämpfen war Arbeit am Wunder, zumal wenn es keinen Rückenwind durch den | |
Bundestrend gibt. | |
In Leipzig hat Sören Pellmann ein Direktmandat für die Linke gewonnen. Was | |
hat er besser gemacht? | |
Er hat einen großartigen Wahlkampf gemacht, und ich bin der Linken in | |
Leipzig sehr dankbar. Leipzig ist als Stadt anders zusammengesetzt. Viele, | |
die in Sachsen links sind, ziehen irgendwann dorthin. | |
Im Bund sind 4,9 Prozent für die Linke ein Desaster. Spitzenkandidat | |
Dietmar Bartsch meinte, die Gründe dafür seien in den vergangenen Jahren zu | |
suchen. Sie haben die Partei bis zum Februar geführt. Welche Verantwortung | |
tragen Sie persönlich für das schlechte Abschneiden der Linken? | |
Bis kurz vor der Coronakrise zum Ende meiner Amtszeit lagen wir immerhin | |
bei 10 bis 11 Prozent. Und dann kamen äußere Umstände, auf die wir zunächst | |
keinen Einfluss hatten: Die Coronakrise und ein Bundestagswahlkampf, der | |
stark auf Trielle fokussiert war. Aber natürlich haben wir auch Fehler | |
gemacht. | |
Welche? | |
Spätestens am Abend der Europawahl im Mai 2019 war mir klar, dass wir an | |
einem Punkt nachsteuern müssen. Die Frage der sozialökologischen | |
Transformation steht dringend im Raum. Um soziale und ökologische Krisen zu | |
entschärfen, braucht es auch die Machtinstrumente der Regierung. Insofern | |
reicht ein rein rhetorisches Bekenntnis zu Regierungsverantwortung nicht. | |
In der Breitenwirkung fehlte es uns da an Ernsthaftigkeit und Klarheit. | |
Über 1,4 Millionen Wähler:innen sind von der Linken zu SPD und Grünen | |
abgewandert. Was zeigt das? | |
Das zeigt ganz klar, dass unsere Wähler:innen nicht einfach mehr Krawall | |
wollen, sondern ernsthaft eine Durchsetzungsperspektive suchten. Die wir | |
nicht bedienen konnten. | |
Horst Kahrs von der Rosa-Luxemburg-Stiftung bemängelt in seiner | |
Wahlanalyse, dass der Linken bereits seit 2012 eine schlüssige Erzählung | |
fehlt, wohin sie will und was sie mit der Gesellschaft vorhat. | |
Die Strategie war da, aber wir sind damit nicht durchgedrungen. Unser | |
Außenbild wurde stark durch Wortmeldungen einiger weniger bestimmt, die für | |
Irritationen sorgten. Zum Beispiel in der Außenpolitik entstand der falsche | |
Eindruck, dass wir eher an der Seite von Despoten Politik machen wollen. | |
Sie meinen Fraktionskolleg:innen wie Sevim Dağ delen, Heike Hänsel | |
und Andrej Hunko, die auch gegen die Afghanistanevakuierung durch die | |
Bundeswehr stimmten? | |
Ich will keine Namen nennen. Aber was ich am Infotisch, egal ob in der | |
Plattenbausiedlung in Dresden oder im tiefsten Erzgebirge oft gehört habe: | |
Euer Verhalten bei der Abstimmung zum Evakuierungseinsatz in Afghanistan | |
war ein Fehler. Wir waren vorher argumentativ mit unserer Kritik an | |
Militärinterventionen und dem Versagen des Westens in Afghanistan in der | |
Offensive. Mit der Abstimmung gerieten wir in die Defensive. Unser | |
Verhalten war ein großer Fehler. | |
Welche Verantwortung trägt die Fraktion, die von Bartsch und Amira Mohamed | |
Ali geleitet wird? | |
Schuldzuweisungen bringen uns nicht weiter. Wir müssen gemeinsam die | |
richtigen Lehren für die Zukunft ziehen. | |
Manche Genoss:innen geben Sahra Wagenknecht die Schuld für das miese | |
Wahlergebnis. Sie habe mit ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ polarisiert und | |
verschiedene Anliegen – Klimapolitik, Identitätspolitik und Sozialpolitik – | |
gegeneinander gestellt. Haben sie recht? | |
Ich bleibe dabei, dass uns persönliche Schuldzuweisungen nicht | |
weiterbringen. Ich kann nur sagen, dass sowohl Sören Pellmann als auch ich | |
auf eine verbindende Politik gesetzt haben, eine, die sowohl Streikende | |
unterstützt als auch in Plattenbau- wie Univierteln präsent ist. Die | |
Gesellschaft ist eh schon gespalten und die vielen, die keine Lobby haben, | |
stärkt man nicht, indem man anfängt, sie gegeneinander auszuspielen. Wir | |
müssen die Klimakatastrophe abwenden und soziale Krisen entschärfen. Hier | |
hätten wir als Linke eine wichtige Rolle spielen können. | |
Hätte. Nun reicht es nur noch dank dreier Direktmandate zum Einzug in den | |
Bundestag. Die Fraktion hat sich fast halbiert. Welche Rolle wird die Linke | |
noch spielen? | |
Wir werden unsere Arbeitsweise umstellen müssen. Müssen effizienter werden | |
und stärker prüfen, womit wir nach außen strahlen können. Wir müssen uns | |
neu erfinden. Es kann jetzt nicht so weitergehen wie bisher. | |
Das bisherige Machtbündnis aus Reformern und Ultra-Linken, welches die | |
Linke inhaltlich gelähmt hat, ist passé? | |
Ich hoffe auf die kollektive Weisheit, dass wir jetzt nur gemeinsam einen | |
Neuaufbruch schaffen. Alle wären doch mit dem Klammerbeutel gepudert, jetzt | |
eine Politik zu fahren, die einen beachtlichen Teil der Fraktion | |
ausschließt. | |
Muss die Linke jetzt eine Debatte darüber führen, wen sie ansprechen und | |
vertreten will, und braucht sie ein neues Grundsatzprogramm? Das Erfurter | |
Programm ist immerhin schon 10 Jahre alt. | |
Als erfahrene Straßenwahlkämpferin weiß ich, dass es Unsinn ist, | |
verschiedene Milieus gegeneinander auszuspielen. Aber wir müssen auf jeden | |
Fall ein paar Punkte klären. Wir müssen zum Beispiel noch einmal deutlich | |
machen, wie eine Friedenspolitik aussieht, die Abrüstung und Abkehr von | |
Interventionspolitik wirklich durchsetzt. Den falschen Eindruck, wir seien | |
für Isolationismus, müssen wir richtigstellen. | |
28 Sep 2021 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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