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# taz.de -- Kampf gegen Vorurteile: Antisemitismus und Islamophobie
> Juden- und Muslimhass existieren parallel und oft im gleichen Milieu.
> Eine offene Vorurteilsforschung ist Voraussetzung für ihre Bekämpfung.
Mit dem Satz [1][„Was unseren Vätern der Jud ist für uns die Moslembrut“]
dokumentieren Rechtsradikale 2009 am KZ Mauthausen ihren Hass auf Muslime.
Der Eindruck, dass Muslimhass den Judenhass abgelöst habe, ist jedoch
falsch. Beide Ressentiments sind komplementär, beide existieren parallel
und nicht selten im gleichen Ressentimentträger.
Nicht zuletzt der [2][Anschlag in Halle] vor zwei Jahren hat gezeigt, dass
der Hass gegen Juden virulent ist und – was nicht so prominent im Fokus der
Berichterstattung steht – oft einhergeht mit dem [3][Hass auf Muslime].
Nicht zufällig steuerte der Täter nach dem gescheiterten Anschlag auf die
Synagoge einen Dönerimbiss an.
Sein „Manifest“ wie auch die Gerichtsprotokolle bestätigen, dass sein
rechtsradikales Weltbild von antimuslimischem Rassismus ebenso geprägt ist
wie von antisemitischen Weltverschwörungsmythen. Es besteht eine Schieflage
in der Wahrnehmung. Die deutsche Geschichte hatte eine besondere
Sensibilisierung für Antisemitismus zur Folge – und das ist gut so und noch
lange nicht ausreichend.
Aber das Außer-Acht-Lassen der islamophoben Komponente schafft ein
reduziertes Framing, das der Problematik nicht gerecht wird. Zudem ist
wichtig festzuhalten, dass Antisemitismus und Islamophobie nicht auf
Rechtsradikale beschränkt sind. Während der Antisemitismus aufgrund
sozialer Erwartungen in der Öffentlichkeit häufig weniger explizit
vorgetragen wird, verrät er sich in Äußerungen und Meinungsumfragen.
Der Kampf um die Anerkennung von [4][antimuslimischem Rassismus] als
vergleichbares Moment zur Spaltung der Gesellschaft hat noch einen weiten
Weg vor sich. Der verallgemeinernde Verweis auf muslimische Attentäter oder
Antisemiten trägt zur erschwerten Anerkennung der Gefahr bei, die sich
durch Anschläge auf Moscheen und Personen zeigt und die nicht weniger
virulent ist. Es ist deshalb ein Vergleich antisemitischer und
antimuslimischer Diskurse angebracht.
Nicht selten wird mit dem Verweis auf die Problematik des
„Islamophobie“-Begriffs von der Existenz des antimuslimischen Rassismus
abgelenkt. Doch auch der im 19. Jahrhundert geprägte Begriff des
„Antisemitismus“ trifft nicht das Phänomen, das er beschreiben will.
Wilhelm Marr – Journalist und Begründer der Antisemitenliga im Kaiserreich
– suchte mit der Bezeichnung den christlich geprägten Antijudaismus, der
durch die Aufklärung diskreditiert schien, wissenschaftlich zu verbrämen.
Dass er dafür einen Fachterminus der Sprachwissenschaft übernahm und aus
der Sprachfamilie der Semiten nun allein die Juden fokussierte, führt bis
heute zu dem Missverständnis, dass arabische Muslime – ebenfalls Semiten im
linguistischen Sinne – glauben, sie könnten ja qua definitionem keine
Antisemiten sein. Der Begriff ist also schief, aber inzwischen etabliert
und akzeptiert– zumindest, was den Kern der Bedeutung anbelangt:
Vorurteile, Hass und Gewalt gegen Juden als Juden.
Kaum jemand würde versuchen, über die Kritik am Begriff [5][Antisemitismus]
das Phänomen des Judenhasses zu bestreiten. Anders beim
Islamophobie-Begriff, der in der internationalen Öffentlichkeit das
repräsentiert, was die Wissenschaft im Deutschen korrekt als
antimuslimischen Rassismus bezeichnet – davon ausgehend, dass sich langsam
herumgesprochen hat, dass es keine Menschenrassen, aber Rassismus als
ethnisierende Struktur gibt.
Phänomene und Vergleichsmomente
Wenn heute über Moscheebau und [6][Muezzinruf] gestritten wird, lohnt der
Vergleich mit den Debatten um den Synagogenbau in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts. Besonders heftige Abwehrreaktionen gegen Indizien der
Gleichstellung der bis dato Unterprivilegierten zeigten sich auch rund um
die sogenannte Emanzipationsdebatte und die Anerkennung der Juden als
Staatsbürger im preußischen Landtag Mitte des 19. Jahrhunderts.
Es wurde darüber diskutiert, ob die langjährig Ausgegrenzten loyale
Staatsbürger sein könnten, gar als Lehrkräfte auf die Kinder einwirken
dürften und ob man nicht das Predigen auf Deutsch vorschreiben sollte, um
die Inhalte besser kontrollieren zu können. Diese Momente des
Misstrauensdiskurses haben tatsächlich einige wiedererkennbare
Vergleichsmomente mit den sarrazinesken Abwehrreaktionen auf erfolgreiche
Integration heute.
Sehr vergleichbar – wenn auch nicht gleichzusetzen – ist die
[7][Grundstruktur eines Misstrauensdiskurses]: Stereotyp ausgewählte Fakten
werden ständig wiederholt und als repräsentativ für eine ganze Gruppe
verstanden, Beispiele für das Behauptete finden sich immer. Es entsteht ein
kohärentes System, das wie ein Filter für die weitere Wahrnehmung wirkt und
damit der Selbstbestätigung zuarbeitet.
So lässt sich die Vorstellung von „Parallelgesellschaften“ konstruieren,
die auch als „Staat im Staate“ – so das Bild aus dem antisemitischen
Diskurs – gelesen werden können. Und wer aus den erwarteten Mustern
ausbricht, etwa jüdische oder muslimische Gebräuche ablegt, die/der kann –
ganz kohärent – mit dem Vorwurf der Verstellung belegt werden.
Rassismusleugnung und Projektionsversuche
Das einmal geschaffene geschlossene System an Vorstellungen kann, auch nach
Phasen der Aufklärung und geglaubter Überwindung, immer wieder belebt
werden unter Rückgriff auf längst widerlegte Falschbehauptungen. An dieser
Stelle zeigt sich aber auch ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen
antisemitischem und antimuslimischem Diskurs:
Während beide ins Verschwörungsmythische abgleiten, bildet der
Antisemitismus bislang das Alleinstellungsmerkmal der omnipotenten
Welterklärungsformel, die hinter allem auf den ersten Blick Unerklärlichen
sofort jüdische Akteure vermutet. Und hierin liegt auch ein weiterer
Unterschied in der Perspektivgebung:
Dem Überlegenheitsgefühl Muslimen gegenüber steht auf der anderen Seite ein
Unterlegenheitsgefühl den als besonders mächtig interpretierten Juden
gegenüber; wofür einige aktuelle Verschwörungsmythen im Covid-19-Kontext
ein weiteres Beispiel für strukturellen Antisemitismus abgeben.
Die Angst vor einer Verharmlosung des Holocaust darf nicht dazu führen,
dass der Maßstab für die Einschätzung von Bedrohungslagen zu hoch angelegt
wird; und nicht dazu, dass man andere Abwertungsdiskurse neben dem
Antisemitismus leugnet, wozu die Islamfeindlichkeit ebenso gehört wie
Sexismus oder Homophobie, Antiziganismus, DDR- und
Obdachlosenfeindlichkeit, wie dies der langjährige Leiter des Zentrums für
Antisemitismusforschung, [8][Wolfgang Benz], in seinem Plädoyer für eine
Nutzbarmachung der Erkenntnisse aus dem gut erforschten antisemitischen
Diskurs für eine offene Vorurteilsforschung – selbstverständlich ohne
Gleichsetzung – anmahnt.
Statt die vielfältigen und vielschichtigen Bedrohungen für den
gesellschaftlichen Zusammenhalt jeweils ernst zu nehmen und anzugehen, ist
immer wieder das Ausspielen einzelner Betroffener gegeneinander sowie der
Verweis der Problematik auf das Internet zu beobachten.
Religionisierung des Nahostkonflikts
Während Muslime auf Juden, Juden auf Muslime, alte Medien auf das Internet
und die Politik auf Clans verweisen, werden zu leicht die Entwicklungen und
Initiativen übersehen, die sich gegen diese pauschalierenden Zuweisungen
stellen und zeigen, dass sich gemeinsam Zeichen setzen lassen – so vor
Jahren, als Rabbiner und Imame gemeinsam eine Erklärung gegen
Gräberschändungen verfassten, oder Initiativen wie Salam-Shalom, die den
Glauben an einen Friedensprozess im Nahen Osten nicht aufgeben wollen.
Sie ernten nicht selten Hass statt Unterstützung. Aber Meinungsfreiheit
umfasst Volksverhetzung nicht, sie endet bei der Verletzung der Würde des
Anderen. Und Hetze betreiben – bewusst oder unbewusst – Akteure aus
Politik, etablierten Medien und neuen Angeboten im Internet. Die
Verantwortung der Justiz wäre es, derlei Grenzüberschreitungen überall
konsequent zu verfolgen und es nicht undurchsichtigen Internetkonzernen zu
übertragen, bei anschlussfähigen Themen Zensurmöglichkeiten für die
Kommunikationskontrolle zu implementieren.
Deshalb braucht es Medien, die das Doppelmaß in der Anerkennung von
Straftatbeständen aufdecken und nicht gar noch bedienen – vermeintlich oder
tatsächlich aus woken Haltungsprinzipien. Dass die hier aufgezeigte
Problematik um Antisemitismus und Islamophobie kein Problem des Internets
ist, wie es gerade angesehene Medien gerne glauben machen wollen, beweist
der Holocaust selbst.
Während natürlich Social Media, Algorithmen, Microtargeting und
Filterblasen ihren Teil zu sich polarisierenden Diskursen beisteuern,
erhalten diese vor allem dann diskursives Gewicht, wenn sie von Trägern
eines gewissen Ansehens kolportiert werden. Hier ist zwischen Idealen und
Ansprüchen und deren Umsetzung zu unterscheiden.
Allein ein Vergleich von [9][Pressefotos] zur Illustration der
Berichterstattung belegt schnell, wie orthodoxe Juden und kopftuchtragende
Musliminnen gerne als Motive für das Visual Framing herangezogen werden,
obwohl sie nur eine Minderheit in ihren meist zu homogen dargestellten
Communitys sind.
Die bildlich-religionisierende Zuweisung im Konflikt um Israel-Palästina
mit religiöser Symbolik – oder auch deren sprachliches Pendant – macht den
Territorialkonflikt nicht lösbar und lenkt erfolgreich von den relevanten
Rechtsgrundlagen ab: dem Völkerrecht. In Deutschland mischt sich in die
auch international erkennbaren Tendenzen auffällig ein Moment der
Schuldabwehr – etwa durch die Projektion von Antisemitismus vornehmlich auf
Muslime.
Sowie es sich hier gebietet, die gleichen Rechtsgrundlagen zum Maßstab für
alle zu machen, so verhält es sich ebenso mit der Bekämpfung klar
definierbarer Hassrede in der Jurisdiktion. Antisemitismus und Islamophobie
sind aber noch auf anderen Ebenen zu bekämpfen. Eine Analyse ihrer
Grundlagen ist eine wichtige Voraussetzung dafür, ebenso wie der Wille zur
Veränderung.
31 Oct 2021
## LINKS
[1] https://www.diepresse.com/4721927/ns-parolen-hitler-und-hakenkreuze-schmier…
[2] /Halle/!t5013586
[3] https://www.migazin.de/2021/10/09/framing-halle-ueber-darstellungen-opfer/
[4] /Antimuslimischer-Rassismus/!5666322
[5] /Antisemitismus/!t5007709
[6] /Muezzinruf-in-Koeln/!5804413
[7] https://heimatkunde.boell.de/de/2010/04/01/antisemitismus-und-islamophobie-…
[8] https://de.qantara.de/inhalt/wolfgang-benz-antisemitismus-und-islamkritik-w…
[9] https://mmm.verdi.de/wp-content/uploads/2017/08/3-Beispiele-Propaganda-Cove…
## AUTOREN
Sabine Schiffer
Constantin Wagner
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