# taz.de -- Politikwissenschaftler über Islamophobie: „Es gibt hier einen Cl… | |
> Farid Hafez hat eine Studie zu Hass auf Muslime veröffentlicht. Im | |
> Interview erklärt er, warum nicht nur Rechte Rassisten sein können. | |
Bild: Kopftuchverbot? Islamophob, sagt Farid Hafez. Diese Demonstrantin in Pari… | |
taz: Herr Hafez, was bedeutet es eigentlich, islamophob zu sein? | |
Farid Hafez: Grob gesagt gibt es drei Zugänge, um das Problem zu fassen. | |
Zum einen über die Vorurteilsforschung. Wir fragen: „Wie sind die | |
Einstellungen der Menschen zum Thema Islam und Muslime?“ Dann gibt es die | |
Perspektive, Islamophobie als Rassismus und damit als Machtfrage zu | |
verstehen. Außerdem gibt es die post- und dekoloniale Perspektive. Da | |
versucht man, das Problem in eine globale Geschichte eines rassistischen | |
Verhältnisses zu bringen. Dieser Zugang ist im deutschsprachigen Raum eher | |
weniger verbreitet. | |
Gibt es noch andere deutsche Besonderheiten? | |
Wir haben mit dem Holocaust [1][eine ganz besondere Geschichte des | |
Antisemitismus durchlebt.] Das bringt uns dazu, Antisemitismus sehr | |
provinziell zu sehen, statt ihn als ein globales Phänomen zu betrachten. | |
Oft wird versucht, Antisemitismus als überwunden darzustellen, oder man | |
will ihn als Ausdruck völkischen rechten Denkens ausmerzen. Was man nicht | |
tut – und das ist problematisch –, ist, Antisemitismus als Teil eines | |
globalen rassistischen Verhältnisses zu verstehen. Das Gleiche gilt auch | |
für Islamophobie. Deshalb tun wir uns sehr schwer, die tieferen Ursachen | |
von antimuslimischem Rassismus anzuschauen. | |
Ihr gerade veröffentlichter „European Islamophobia Report“ erscheint unter | |
dem Dach des türkischen Thinktanks Seta, der enge Verbindungen zum | |
türkischen Establishment pflegt. Kritiker werfen Ihnen deshalb fehlende | |
Unabhängigkeit vor. Wie stehen Sie dazu? | |
Wie so oft werden Dinge als große Verschwörung betrachtet. Am Ende des | |
Tages kann ich eine ganz einfache Geschichte erzählen, wie das zustande | |
kam: Ich habe einen ehemaligen Studienkollegen. Der hat zehn Jahre lang | |
Politikwissenschaft mit mir in Wien studiert und ist dann in die Türkei | |
gegangen. Später haben wir uns wieder getroffen und gemeinsam die Idee für | |
den Report erarbeitet. Der Mitherausgeber arbeitet bei Seta und die haben | |
es angenommen. | |
Das beantwortet nicht die Frage nach möglicher Einflussnahme. | |
Ich finde es sehr problematisch, 39 Akademikern, die über 34 Länder | |
schreiben, zu unterstellen, sie würden eine Agenda verfolgen, die von außen | |
aufoktroyiert ist. Ich hab für viele Thinktanks gearbeitet, zum Beispiel | |
für Brookings, einen der wichtigsten US-amerikanischen Thinktanks. Da wird | |
mir auch nicht unterstellt, ich würde das US-amerikanische Imperium | |
verteidigen, auch wenn Brookings nahe am Establishment ist. Man kann ruhig | |
kritisch gegenüber Seta sein, das stört mich überhaupt nicht. Aber die | |
Kritik geht häufig vorbei an der eigentlichen Sache. Es gibt keine | |
Beeinflussung von niemandem. Ich habe volle Autorität darüber, was da | |
drinsteht. | |
Nun ist nicht jede Kritik „verschwörerisch“. Auch die Stiftung Wissenschaft | |
und Politik schreibt, Seta stehe der türkischen Regierung nahe. Haben Sie | |
sich damit auseinandergesetzt, bevor Sie auf Ihre Kommilitonen zugegangen | |
sind? | |
Als ich 2014 mit meinem ehemaligen Studienkollegen ins Gespräch gekommen | |
bin, war die Welt der Türkei-EU-Beziehungen noch eitle Wonne. All die | |
Probleme, die später aufgekommen sind, sind noch nicht dagewesen. Außerdem: | |
Bei Seta waren Personen, die heute hohe Positionen im türkischen | |
Establishment haben, wie auch Personen, die heute die AKP aus Protest | |
verlassen haben. Es spricht eher für den Thinktank, dass dort gute Leute | |
waren. | |
Aktuelle Texte auf der Seta-Website behandeln die Frage, warum die PKK eine | |
Terrororganisation, [2][der türkische Einmarsch in Syrien] | |
völkerrechtskonform und die türkische Militärindustrie so mächtig ist. Man | |
kann zu diesen Ergebnissen sicherlich auch als unabhängige Institution | |
kommen, aber die Dichte an Beiträgen, die voll auf Regierungslinie liegen, | |
ist schon auffällig groß. | |
Nehmen wir das PKK-Beispiel. Diese Position wird über das ganze politische | |
Spektrum geteilt und zudem von der EU. Es gibt hier eher einen Clash of | |
Ideas zwischen dem angestammten türkischen Establishment insgesamt und dem, | |
wie wir hier in westeuropäischen Ländern denken. Hinzu kommt: Wenn Sie sich | |
die Website anschauen, dann sehen Sie das Seta von heute. Und Seta heute | |
ist sicherlich nicht Seta von vor einigen Jahren. | |
Was bleibt, ist, dass das eigentlich lobenswerte Anliegen Ihres Reports | |
häufig in ein problematisches Licht gerückt wird. Wozu braucht es die | |
Zusammenarbeit überhaupt? | |
In Europa haben wir nicht so viele Institutionen, die uns erlauben, einen | |
solchen Blick auf Islamophobie zu werfen, um auch das Revolutionäre daran | |
herauszuarbeiten. Oftmals ist die Debatte im Wesentlichen eine über | |
Islamophobie in Westeuropa. Wir waren der erste Report, der ganz Europa in | |
den Blick genommen hat. Mit einem Vergleich von 34 Ländern und über vier | |
Jahre. Das ist eine riesengroße Leistung. Hinzu kommt: Bei vielen | |
Thinktanks habe ich mehr Einflussnahme erlebt als bei Seta. | |
Widmen wir uns dem Inhalt des Reports. Neben Rechtsextremisten tauchen dort | |
auch Islamkritiker wie Ahmad Mansour und Seyran Ateş auf. Kann man die | |
wirklich in eine Reihe stellen? | |
Hier muss ich noch mal klarmachen: Der Islamophobie-Begriff, der hier | |
verwendet wird, ist der des antimuslimischen Rassismus. Es geht also um die | |
Reproduktion von Rassismus, Rassismus als Einstellung, Rassismus als | |
Struktur. Oftmals denken Leute, wenn ich jemanden islamophob oder | |
rassistisch nenne, würde ich alle in einen Topf werfen und gleichsetzen mit | |
den Rechten. Daran sieht man das verkürzte Rassismusverständnis, das wir im | |
deutschsprachigen Raum haben: Rassismus ist gleich die böse völkische | |
Ideologe. Mir geht es aber um die Reproduktion von Denkweisen und | |
Handlungen. Selbst wenn sich der heiligste Mufti für ein Kopftuchverbot | |
einsetzen würde, wäre das islamophob. | |
Einige Kritiker werfen Ihnen vor, Ihr eigentliches Ziel sei es, Kritiker | |
des politischen Islam mundtot machen zu wollen. | |
Also, die AfD ist nicht Seyran Ateş oder Ahmad Mansour. Das ist natürlich | |
richtig. Aber dieser Vorwurf beschreibt eigentlich genau das, was die | |
beiden machen: Beide betreiben die Ausgrenzung von muslimischen Akteuren | |
auf dem politischen Feld. Ahmad Mansour ist Mitglied in der European | |
Foundation for Democracy, die versucht, muslimische zivilgesellschaftliche | |
Akteure auszugrenzen, indem sie sie als islamistisch markiert. Der Vorwurf, | |
der hier hervorgebracht wird, ist in Wirklichkeit eine Projektion des | |
eigenen Handelns auf andere Akteure, sonst gar nichts. | |
Und was haben Sie gegen Seyran Ateş? | |
Seyran Ateş hat eine europäische Bürgerinitiative ins Leben gerufen, in der | |
sie, ähnlich wie im McCarthyismus, eine Liste von autorisierten religiösen | |
muslimischen Einrichtungen haben will. Davon soll abhängen, welche | |
Einrichtungen Fördergelder bekommen. Ich halte das für eine enorm | |
autoritäre Maßnahme, die darauf abzielt, dass bestimmte Islamausformungen | |
akzeptiert und andere kriminalisiert werden. Nicht zuletzt vertritt Seyran | |
Ateş die Stadt Berlin beim Kopftuchverbot. Das ist für mich islamophob. | |
Dass andere Akteure das nicht als islamophob betrachten, da kann ich nichts | |
dafür. | |
Was ist daran islamophob? | |
Ein säkularer Staat darf überhaupt nicht zu dem Punkt kommen, zu | |
definieren, was Islam ist und was ein guter Islam ist. Insbesondere in | |
einem Staat wie Deutschland, wo anerkannte Religionsgemeinschaften eine | |
innere Autonomie darüber haben, zu definieren, was ihre Religion ist. Aber | |
dieses Spiel erlaubt sich der Staat, indem er einfach keine muslimische | |
Religionsgemeinschaft anerkennt. Oder man macht es wie in Österreich, wo | |
der Staat einfach sagt, dass er Muslime ungleich behandelt. | |
Zu Beginn haben wir einen Blick zurückgeworfen, werfen wir einen nach vorn: | |
Gerade erschien Ihr zehntes „Jahrbuch für Islamophobieforschung“. Was | |
glauben Sie, worum es im zwanzigsten gehen wird? | |
Ich bin kein großer Optimist, muss ich ehrlich gestehen. Wir leben in einer | |
Zeit, wo wir noch ganz anderen Herausforderungen entgegensehen werden: der | |
Frage der Ökologie, der Schere von Reich und Arm, den Migrationsströmen | |
aufgrund von politischen und ökologischen Veränderungen. All das wird einen | |
Einfluss darauf haben, wie Rassismus im Zusammenspiel mit Klasse und Gender | |
strukturiert sein wird. | |
15 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Goldmann | |
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