| # taz.de -- Offener Brief zu Israel und Palästina: Für ein Recht auf Kritik | |
| > Arabische Intellektuelle kritisieren Instrumentalisierung des Kampfes | |
| > gegen Antisemitismus. Ziel sei es, palästinensische Stimmen zu | |
| > unterdrücken. | |
| Bild: Ist Protest gleich Antisemitismus? Nein, sagen die Unterzeichnenden | |
| Berlin taz | Dass sich jüdische und israelische Intellektuelle mit offenen | |
| Briefen kritisch in die heiß geführten Debatten über Israels Besatzung der | |
| palästinensischen Gebiete sowie über Antisemitismus einschalten, gehört zum | |
| publizistischen Alltag des Nahostkonflikts. Nun aber melden sich auch mehr | |
| als 120 palästinensische und arabische Professor*innen, | |
| Schriftsteller*innen und Künstler*innen zu Wort. | |
| In einem [1][gemeinsamen Statement] kritisieren sie, dass die berechtigten | |
| Anliegen von Palästinenser*innen in den letzten Jahren zunehmend | |
| delegitimiert worden seien. Stimmen, die sich für ein | |
| Selbstbestimmungsrecht einsetzen, sollten zum Schweigen gebracht werden. | |
| Unterzeichnet haben den Brief unter anderem die Schriftsteller [2][Elias | |
| Khoury], [3][Tahar Ben Jelloun] und [4][Yassin al-Haj Saleh], die | |
| Wissenschaftler*innen Lila Abu-Lughod und Rashid Khalidi, der ehemalige | |
| UN-Diplomat [5][Lakhdar Brahimi] sowie die palästinensischen | |
| Intellektuellen und Politiker*innen [6][Sari Nusseibeh] und Leila Shahid. | |
| Auch der Jazz-Musiker Anouar Brahem findet sich in der | |
| Unterstützenden-Liste. | |
| In dem Brief heißt es: „In seiner aktuellen Form basiert der Staat Israel | |
| darauf, einen Großteil der autochthonen Bevölkerung entwurzelt zu haben | |
| (...) und jene, die weiterhin auf dem Gebiet des historischen Palästina | |
| leben, entweder als Bürger*innen zweiter Klasse zu behandeln oder der | |
| Besatzung auszuliefern und ihnen so ihr Recht auf Selbstbestimmung zu | |
| verweigern.“ | |
| Die Unterzeichnenden wenden sich gegen einen „expansionistischen Staat“, | |
| womit sie auf Israels Siedlungspolitik im Westjordanland anspielen, [7][die | |
| in den vergangenen vier Jahren von der US-Regierung gefördert wurde]. Der | |
| von der Trump-Administration im Wesentlichen unterstützte Plan von | |
| Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, rund ein Drittel des Westjordanlands | |
| offiziell zu annektieren, liegt derzeit zwar auf Eis, ist aber nicht aus | |
| der Welt. | |
| ## Kritik an Definition von Antisemitismus | |
| Zentral in dem offenen Brief ist die Annahme, der Kampf gegen | |
| Antisemitismus werde zur Delegitimierung palästinensischer Anliegen | |
| instrumentalisiert. „Unter welchen Vorwänden auch immer sich Antisemitismus | |
| versteckt: Hass gegen Juden und Jüdinnen darf nirgendwo auf der Welt | |
| toleriert werden“, heißt es; gleichzeitig müsse er allein im Rahmen des | |
| internationalen Rechts und der Menschenrechte bekämpft werden. | |
| Kritisch sehen die Unterzeichnenden vor allem die mittlerweile weit | |
| verbreitete Definition von Antisemitismus der International Holocaust | |
| Remembrance Alliance (IHRA). Diese hat sich 2016 eine Arbeitsdefinition zu | |
| eigen gemacht, die auch von der Bundesregierung übernommen worden ist. So | |
| arbeitet etwa der Verfassungsschutz mit der IHRA-Definition, um | |
| Antisemitismus klar zu erkennen und von legitimen Meinungsäußerungen | |
| abzugrenzen. | |
| Dafür sei sie jedoch ungenügend, kritisieren die Intellektuellen, ziele sie | |
| doch [8][stark auf israelbezogenen Antisemitismus ab], ohne zu | |
| berücksichtigen, dass Israel laut internationalem Recht Besatzungsmacht | |
| sei. Kritik an der Besatzung werde damit erschwert und generell unter | |
| Antisemitismusverdacht gestellt. | |
| ## Der Holocaust und „andere Genozide“ | |
| Auf Kritik stoßen dürfte die Intervention der arabischen Intellektuellen | |
| vor allem hinsichtlich zweier Punkte: Die Unterzeichnenden nennen den | |
| Holocaust in einem Atemzug mit „anderen Genoziden der Moderne“, [9][was | |
| KritikerInnen als Verharmlosung verurteilen]. Der Kampf gegen | |
| Antisemitismus, heißt es, solle Teil des Kampfes „gegen alle Formen von | |
| Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sein“. Dazu gehörten auch „Islamophobie | |
| und Rassismus gegen Araber*innen und Palästinenser*innen“. | |
| Zudem verteidigen die Unterzeichnenden das Recht auf Rückkehr vertriebener | |
| Palästinenser*innen. Das Thema ist höchst umstritten, weil eine Umsiedlung | |
| aller von den UN anerkannten Palästina-Flüchtlinge nach Israel (die in der | |
| Praxis allerdings als ausgeschlossen gilt), den jüdischen Charakter des | |
| Landes infrage stellen würde. Für manche gilt daher bereits die | |
| Verteidigung des Rechts auf Rückkehr als antisemitisch. | |
| Im Wortlaut finden Sie eine deutsche Übersetzung des offenen Briefs | |
| [10][hier], das englische Original [11][hier]. | |
| 29 Nov 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Antisemitismus-und-die-Palaestina-Frage/!5732013 | |
| [2] /Archiv-Suche/!691030&s=elias+khoury&SuchRahmen=Print/ | |
| [3] /Tahar-Ben-Jelloun-ueber-Charlie-Hebdo/!5023724 | |
| [4] /Archiv/!s=&Autor=Yassin+al-Haj+Saleh/ | |
| [5] /Lakhdar-Brahimi/!t5037989 | |
| [6] /Philosoph-ueber-den-Nahostkonflikt/!5098161 | |
| [7] /USA-zu-Israels-Siedlungspolitik/!5638866 | |
| [8] /Experte-ueber-Antisemitismusdefinitionen/!5635028 | |
| [9] /Postkoloniale-Theoretiker/!5678482 | |
| [10] /Antisemitismus-und-die-Palaestina-Frage/!5732013 | |
| [11] https://www.theguardian.com/news/2020/nov/29/palestinian-rights-and-the-ih… | |
| ## AUTOREN | |
| Jannis Hagmann | |
| ## TAGS | |
| Israel | |
| Antisemitismus | |
| Palästina | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Antisemitismus | |
| Lesestück Interview | |
| Antisemitismus | |
| Israel | |
| BDS-Movement | |
| BDS-Movement | |
| Antisemitismus | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kampf gegen Vorurteile: Antisemitismus und Islamophobie | |
| Juden- und Muslimhass existieren parallel und oft im gleichen Milieu. Eine | |
| offene Vorurteilsforschung ist Voraussetzung für ihre Bekämpfung. | |
| Rasha Nahas über Berlin und ihr Album: „Ich wollte nur ich sein“ | |
| Seit 2017 lebt die Musikerin Rasha Nahas in Berlin – für die | |
| Palästinenserin mit israelischem Pass ist das auch eine Identitätssuche. | |
| Experte über Jusos und Fatah-Jugend: „Die Kooperation ist ja nicht neu“ | |
| Die Palästinensische Fatah-Jugend als Schwesterorganisation der Jusos: | |
| Islamwissenschaftler Christoph Dinkelaker erklärt, ob das problematisch | |
| ist. | |
| Regierungskrise in Israel: Zeichen stehen auf Neu-Neu-Neuwahl | |
| Die Regierungskoalition von Premier Netanjahus ist erst sieben Monate alt. | |
| Nun droht ihr das Aus. In Israel rückt die vierte Wahl in zwei Jahren nahe. | |
| Münchner Urteil zum Israel-Boykott: Meinungsfreiheit für alle | |
| Ein Gericht hat festgestellt: In städtischen Räumen darf über | |
| Israel-Boykott debattiert werden. Man muss BDS nicht mögen, um das gut zu | |
| finden. | |
| Urteil des VGH München zu BDS: Gegen Boykott des Israel-Boykotts | |
| Veranstaltungen zu BDS in städtischen Räumen verbieten? Damit hat der | |
| Stadtrat München die Meinungsfreiheit verletzt, so der | |
| Verwaltungsgerichtshof. | |
| 9. November und Antisemitismus: „Deutschland wird dir gefallen“ | |
| Als Kind zog Rafael Seligmann mit den Eltern von Israel in die | |
| Bundesrepublik. Und erlebte Antisemitismus: den alten und den der Neuen | |
| Linken. | |
| Evangelikale Christen werben für Israel: Armageddon für Trump | |
| Evangelikale lieben Israels Regierung – und sie gelten zugleich als | |
| wichtige Unterstützer der Wiederwahl des US-Präsidenten. |