| # taz.de -- Regierungskrise in Israel: Zeichen stehen auf Neu-Neu-Neuwahl | |
| > Die Regierungskoalition von Premier Netanjahus ist erst sieben Monate | |
| > alt. Nun droht ihr das Aus. In Israel rückt die vierte Wahl in zwei | |
| > Jahren nahe. | |
| Bild: Demonstranten mit Masken von Netanjahu und Gantz Mittwoch in Tel Aviv | |
| Tel Aviv taz | Israel kommt nicht zur Ruhe. Das Parlament in Jerusalem hat | |
| am Mittwoch einem von der Opposition eingebrachten Gesetzentwurf zur | |
| Auflösung der Knesset und zur Einberufung einer vorgezogenen Neuwahl | |
| zugestimmt. Es wäre die vierte Parlamentswahl in nur zwei Jahren. | |
| Ein sofortiges Ende der Regierung unter Benjamin Netanjahu bedeutet das | |
| allerdings nicht. Nach der Zustimmung eines Parlamentsausschusses muss der | |
| Gesetzentwurf noch in weiteren Lesungen bestätigt werden. Erst dann wird | |
| die Knesset aufgelöst und die Abgeordneten müssen sich auf ein Datum für | |
| eine Neuwahl einigen. Diese könnte zwischen März und Juni 2021 stattfinden. | |
| Auch Benny Gantz’ Blau-Weiß-Bündnis, Netanjahus Koalitionspartner, stimmte | |
| für die Auflösung. Die erst im vergangenen Mai geschlossene Koalition aus | |
| Netanjahus rechtsreligiösem Lager, Blau-Weiß und Teilen der Arbeitspartei | |
| Avoda war [1][von Anfang an auf Misstrauen gegründet]. In den letzten | |
| Wochen hat sich die Krise zugespitzt. | |
| Zentraler Streitpunkt ist die Verabschiedung des Staatshaushalts für 2021. | |
| Netanjahu weigert sich bislang, ein Budget zu verabschieden. Viele Israelis | |
| vermuten, er wolle so sein einziges Schlupfloch in der | |
| Regierungsvereinbarung nutzen, um den Posten des Regierungschefs im | |
| November 2021 nicht wie vereinbart an Gantz übergeben zu müssen. Wenn bis | |
| zum 23. Dezember kein Haushalt verabschiedet wird, sehen die israelischen | |
| Gesetze eine automatische Auflösung des Parlaments und eine Neuwahl vor. | |
| Netanjahu würde dann übergangsweise Regierungschef bleiben. | |
| Als weiterer Streitpunkt gilt die Untersuchungskommission im sogenannten | |
| U-Boot-Skandal, die Gantz im November angeordnet hat. In der Affäre geht es | |
| um den Kauf von drei U-Booten aus dem Hause ThyssenKrupp, bei dem | |
| Schmiergelder geflossen sein sollen. Mehrere Netanjahu nahestehende | |
| Personen wurden bereits angeklagt. Gegen Netanjahu selbst, der in drei | |
| anderen Korruptionsfällen vor Gericht steht, wird bislang nicht ermittelt, | |
| doch sind viele Israelis überzeugt, dass er auch bei den U-Booten seine | |
| Hände im Spiel hatte. | |
| ## Schlechte Karten für Linke | |
| Gantz hat einer Auflösung der Knesset zugestimmt, obwohl die Aussichten für | |
| Blau-Weiß im Falle einer Neuwahl nicht rosig sind. Seine Partei dürfte | |
| Schwierigkeiten haben, auf über zehn Sitze zu kommen. Doch Gantz will | |
| offenbar zumindest verhindern, dass Netanjahu auch noch den Zeitpunkt einer | |
| Neuwahl bestimmt. Der, so heißt es, zieht es vor, dass die Wahl erst im | |
| Juni stattfindet, wenn die Coronakrise möglicherweise überstanden ist. | |
| Netanjahu wäre für eine erneute Regierungsbildung wohl von der Gnade des | |
| Rechtskonservativen Naftali Bennett abhängig. Dessen Umfragewerte sind seit | |
| der zweiten Coronawelle und den immer größer werdenden Protesten gegen | |
| Netanjahu steil angestiegen und liegen derzeit bei über zwanzig Sitzen. | |
| Für eine solche Koalition könnte Netanjahu Hilfe von unerwarteter Seite | |
| erhalten: Die Ra’am-Partei, Fraktion der arabisch geprägten Vereinigten | |
| Liste, ist in den letzten Monaten dem Regierungschef, der für seine Hetze | |
| gegen arabische Israelis bekannt ist, nahegekommen. Die Ra’am-Abgeordneten | |
| blieben der Abstimmung am Mittwoch denn auch fern. Die anderen drei | |
| Fraktionen lehnen jegliche Zusammenarbeit mit Netanjahu vehement ab. Ob | |
| sich die Vereinigte Liste ob dieses Zerwürfnisses noch einmal berappelt, | |
| ist ungewiss. | |
| Auch sonst wird sich das linke Lager einiges einfallen lassen müssen, um im | |
| Falle einer Neuwahl eine Katastrophe zu vermeiden. Zwar könnte die Partei | |
| Meretz Wähler*innen gewinnen. Israels einst größte Partei, Avoda, aber | |
| könnte an der 3,25-Prozent-Hürde scheitern. | |
| 2 Dec 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Judith Poppe | |
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| Kolumne Die Mendel'schen Regeln | |
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