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# taz.de -- Holocaustgedenkstätte Yad Vashem: Effi aus Israel
> Ob Jana aus Kassel oder der ultrarechte Effi Eitam, der Leiter der
> Holocaustgedenkstätte Yad Vashem werden soll: Erinnerungspolitik kann
> jeder machen.
Bild: Effi Eitam im blauen Hemd als Infrastrukturminister in der illegalen Sied…
Erinnerungspolitik ist eigentlich ganz einfach, könnte man meinen. Folgt
man Theodor W. Adorno, ist ihre einfachste Definition, Erziehung so
einzurichten, dass sich Auschwitz nicht wiederhole, nichts Ähnliches mehr
geschehe. Eine Forderung, die so offenkundig ist, dass der Philosoph schon
die Frage nach ihrer Begründung als Fortsetzung des Unheils empfand.
Erinnerungspolitik ist gleichzeitig sehr kompliziert – sofern sie eben das
ist: Politik. Die vor Kurzem gestorbene Auschwitz-Überlebende Ruth Klüger
prägte den Begriff „KZ-Kitsch“, als sie inhaltsleere Erinnerungsrituale
und Instrumentalisierungsversuche der Schoah kritisierte. Ein Glück, dass
sie nicht erleben musste, wie sich aktuell eine Jana aus Kassel als Sophie
Scholl inszeniert und ein Mädchen aus Karlsruhe glaubt, wie Anne Frank zu
leben, weil ihr Geburtstag im kleinen Kreis gefeiert werden musste.
Die Erinnerungspolitik ist ein Meer, in dem Fische aller Sorten schwimmen,
linke, rechte, Querdenker und Veganer gleichermaßen. So wurde der AfD-nahe
Siegfried Reiprich zum Vorsitzenden der Stiftung Sächsischer Gedenkstätten,
der #BlackLivesMatter-Proteste in Stuttgart mit der „Kristallnacht“
verglich. Man denke auch an die Nichtjüdin Lea Rosh, die Initiatorin des
Berliner Holocaustmahnmals, die eine Einmischung jüdischer Organisationen
empört zurückwies, als sie mit der geschmacklosen Idee aufwartete, im
Stelenfeld einen Backenzahn zu beerdigen. „KZ-Kitsch“ produzierte auch ein
linkes Künstlerkollektiv, das angebliche Asche von Holocaustopfern vor dem
Bundestag zur Schau stellte.
Die Instrumentalisierung der Holocausterinnerung ist aber keinesfalls eine
deutsche Erfindung. In Israel erleben wir seit Jahrzehnten, wie die „Lehre“
aus der Schoah als Begründung für nationalistische und rassistische
Ideologie verwendet wird. Der aktuelle Plan des israelischen Premiers
Netanjahu, den ultrarechten Effi Eitam zum Vorsitzenden von Yad Vashem zu
ernennen, ist eine Sternstunde dieser Ideologie.
Was Eitam für diese Stelle qualifiziert? Er hat sich noch nie mit
Holocaustforschung oder Erinnerungskultur beschäftigt. Ihm gebührt nur ein
über Jahrzehnte erarbeiteter Ruf als Araberhasser. Unter Befehl des
Kommandanten Eitam wurde während der ersten Intifada ein palästinensischer
Zivilist zu Tode geprügelt. Arabische Israelis seien „eine tickende Bombe
innerhalb der Grünen Linie“ und eine „tückische Bedrohung wie Krebs“, s…
er. Mehrfach forderte er ihre Vertreibung aus Israel und aus „Judäa und
Samaria“ (wie er die besetzten Gebiete nennt).
Die Vorstellung, dass die wichtigste Holocaustgedenkstätte der Welt, Yad
Vashem, künftig von einem Rechtsextremen geleitet werden könnte, ist so
aberwitzig, dass auch der Protest dagegen eigentlich keiner Begründung
bedürfte. Und das ist nicht nur eine innerisraelische Angelegenheit: Yad
Vashem definiert sich als internationale Holocaustgedenkstätte und
beansprucht für das „jüdische Volk“ zu sprechen, also auch im Namen aller
Jüdinnen und Juden in Deutschland, auch in meinem.
Zahlreiche jüdische Organisationen haben gegen diese Ernennung protestiert,
darunter die Anti-Defamation League und der Dachverband israelischer
Holocaustüberlebender. Auch ich habe mich einem entsprechenden Aufruf
angeschlossen. Für mich als Israeli fühlt sich die Berufung Eitams ungefähr
so an, als würde die Gedenkstätte Buchenwald künftig von Björn Höcke
geleitet.
Als ich mit meiner Familie in Israel über die Personalie Eitam gesprochen
habe, war die Resonanz erstaunlich leise. Auch in der israelischen
Öffentlichkeit wird wenig darüber gesprochen. Man hat sich schon so sehr an
die populistischen Eskapaden Netanjahus gewöhnt, dass selbst in linken
Kreisen abgewunken wird. Das ist der Trump-Effekt: Ständige Provokationen
ermüden – und senken die Widerstandskräfte.
Erinnerungspolitik ist kompliziert, in Israel wie in Deutschland. Sie ist
gleichzeitig einfach: Alle finden darin etwas wieder. Sie hat Platz für
eine Jana aus Kassel, die sich für Sophie Scholl hält, und für einen Effi
Eitam, der mit Nazijargon gegen israelische Bürger wettert. Allerdings: Ob
eine Erinnerungskultur, aus der wirklich jede Weltanschauung etwas
Positives für sich beziehen kann, Adornos Forderung noch Genüge tut, das
weiß ich wirklich nicht.
1 Dec 2020
## AUTOREN
Meron Mendel
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Geschichtspolitik
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