# taz.de -- Israel vor möglicher Neuwahl: Neue Partei bringt Bums in die Bude | |
> Bis vor kurzem galt eine baldige Neuwahl als ausgemacht. Nun mischt eine | |
> Likud-Abspaltung die Karten neu – und bringt Netanjahu in Bedrängnis. | |
Bild: Gideon Saar im Dezember 2019: Netanjahus ehemaliger Parteikollege will ei… | |
Tel Aviv taz | Umfragen dreier israelischer Fernsehsender dürften | |
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu den Schweiß auf die Stirn treiben. | |
Nachdem Netanjahus ehemaliger Parteikollege Gideon Saar angekündigt hat, | |
eine neue Partei zu gründen, um Netanjahu abzulösen, geben Umfragen dieser | |
neuen rechten Anti-Netanjahu-Partei 15 bis 18 Sitze. Im Falle einer | |
Neuwahl, auf die das Land zusteuert, würden Netanjahu damit mindestens drei | |
Sitze für eine Regierungsmehrheit fehlen – und zwar selbst, wenn er seinen | |
früheren Koalitionspartner Naftali Bennett von Jamina zurückgewinnen würde. | |
Saars Ankündigung vom Dienstagabend, mit dem regierenden Likud zu brechen | |
und eine neue Partei zu gründen, kam wenige Tage, nachdem die Knesset in | |
einer ersten Lesung einem Gesetzesentwurf zugestimmt hatte, der eine | |
Auflösung des Parlaments vorsieht. Auch die an der Regierung beteiligte | |
Partei Blau-Weiß von Benny Gantz hatte dem Entwurf zugestimmt. Sollte es zu | |
einer Neuwahl kommen, wäre dies das vierte Mal in nur zwei Jahren, dass die | |
Israelis an die Wahlurnen gebeten werden. | |
Zentrale Streitpunkte der Regierungskoalition waren die Verabschiedung des | |
Haushalts für 2020 und 2021 und eine von Gantz eingeleitete | |
Untersuchungskommission in einer U-Boot-Korruptionsaffäre, in die Netanjahu | |
verwickelt sein könnte. | |
Noch ist aber nicht ausgemacht, dass die vielleicht dysfunktionalste | |
Regierungskoalition in der Geschichte Israels wirklich platzt. Das Gesetz | |
zur Auflösung der Knesset muss noch in drei Lesungen vom Parlament | |
bestätigt werden, bevor es in Kraft tritt. Sollte dies nicht geschehen, | |
könnte es aber auch zu einer automatischen Auflösung kommen, wenn am 23. | |
Dezember noch kein Haushalt für 2020 verabschiedet ist. | |
## Gantz im Abseits | |
Noch vor wenigen Tagen [1][galt eine Neuwahl als nahezu sicher]: Netanjahu | |
wollte einen vorgezogenen Urnengang, denn die Umfragen sagten ihm eine | |
eigene Mehrheit voraus. Gantz wusste zwar, dass er in einer Neuwahl schwere | |
Verluste einfahren würde, doch war eine Fortsetzung der Koalition für ihn | |
nicht mehr haltbar. | |
Netanjahu hatte mehrfach gegen die Regierungsvereinbarung verstoßen, hatte | |
Gantz aus wichtigen Regierungsgeschäften herausgehalten und auch nicht | |
hinter dem Berg damit gehalten, dass er nicht beabsichtigt, den Posten des | |
Ministerpräsidenten im November 2021 an Gantz abzutreten. In der | |
Regierungsvereinbarung war ein Rotationsprinzip festgehalten. Zuletzt hatte | |
Netanjahu argumentiert, dass Gantz im Amt des Regierungschefs ein | |
Sicherheitsrisiko für Israel darstellen würde. | |
Die neuen Ereignisse stellen die sicher geglaubte Neuwahl nun in Frage. | |
Nicht nur hat Netanjahu laut derzeitiger Umfragewerte keine eigene Mehrheit | |
in der Knesset; auch seine Hoffnung auf ein Gesetz, das ihm Immunität in | |
drei Korruptionsfällen verschaffen soll, wegen derer er aktuell vor Gericht | |
steht, löst sich damit in Luft auf. | |
## Regierung ohne Netanjahu möglich | |
Eine Regierungsbildung ohne Netanjahus Likud war bis vor Kurzem noch | |
undenkbar, doch mit Saars neuer Partei scheint nun eine | |
Mitte-rechts-Regierung möglich, die auch nicht die Unterstützung der | |
arabischen Parteien oder der Linken benötigt, um Netanjahu vom Thron zu | |
stürzen. Eine Koalition aus den rechten Parteien Jamina, Jisra’el Beitenu | |
und Saars angekündigter Partei sowie den Mitteparteien Blau-Weiß und Yesh | |
Atid erhält in zwei der drei Umfragen eine Mehrheit. | |
Regierungschef Netanjahu wird nun abwägen müssen: Will er eine Neuwahl, die | |
zum Ausgang haben könnten, dass er nicht mehr regieren wird? Oder knickt er | |
gegenüber Benny Gantz ein, stimmt einem Haushalt für die Jahre 2020 und | |
2021 bis zum 23. Dezember zu, überlässt seinem Noch-Koalitionspartner wie | |
in der Regierungsvereinbarung abgemacht den Posten des Ministerpräsidenten | |
und wendet damit einen vorgezogenen Urnengang ab? Es gibt derzeit in Israel | |
keine politische*n Kommentator*in, der oder die es wagt, Prognosen | |
abzugeben. | |
10 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Judith Poppe | |
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