# taz.de -- Haushaltsdebatte in Berlin: Lebensgefährdende Einsparungen | |
> Die Sparmaßnahmen in Berlin gefährden auch die Gewaltprävention. | |
> Beratungsstellen sind angesichts wachsender geschlechtsspezifischer | |
> Gewalt alarmiert. | |
Bild: Am Tag gegen Gewalt an Frauen wird am Tiergarten mit „Zapatos Rojos“ … | |
Berlin taz | Frauenleben müssen wichtiger sein als ein Haushaltsloch. Schon | |
lange fordern Verbände und Initiativen vom schwarz-roten Senat, die | |
Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt zur höchsten Priorität zu machen | |
und die finanziellen Mittel für den Ausbau der Infrastruktur und des | |
Hilfesystems zu erhöhen. | |
Bei CDU und SPD scheint das nicht angekommen zu sein. [1][Deren | |
Sparmaßnahmen] betreffen auch den Opfer- und Gewaltschutz massiv. | |
Zuwendungsprojekte der Gewaltprävention und Opferhilfe werden um 4,5 | |
Millionen Euro, also um fast 40 Prozent gekürzt. Dazu droht den Projekten | |
der Anti-Gewalt-Arbeit eine pauschale Kürzung. Zusätzlich wurden 50 | |
Millionen Euro Tarifmittel für die Tariferhöhungen der | |
Mitarbeiter*innen gestrichen. | |
Die Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG) mit der Hotline gegen | |
häusliche Gewalt schlägt daher Alarm. Die Haushaltspolitik von CDU und SPD | |
verhindere die drängende Nachbesetzung vakant gewordener Stellen. Zudem | |
werde die BIG durch die permanente Finanzierungsunsicherheit als | |
Arbeitsplatz immer unattraktiver, kritisiert Geschäftsführerin Doris | |
Felbinger. | |
Dabei ist die Nachfrage groß: Im Juli meldete die Hotline die höchsten | |
Anrufzahlen seit der Zeit vor Beginn der Corona-Pandemie. „Eigentlich | |
sollten wir über eine Erweiterung unseres Angebots diskutieren“, sagt | |
Felbinger. | |
Doch selbst das bestehende Programm sei ständig von Kürzungen bedroht – | |
darunter auch das Präventionsprojekt der BIG, bei dem Grundschulkindern | |
beigebracht wird, dass Menschen keine Besitzansprüche aneinander und ein | |
Recht auf ein gewaltfreies Leben haben. Die Warteliste reicht inzwischen | |
bis 2026. | |
## Kürzungen treffen viele Beratungsstellen und Frauenhäuser | |
Die Einsparungen betreffen nicht nur die BIG, sondern auch andere | |
Beratungsstellen, Frauenhäuser und Zufluchtswohnungen. Die Volkssolidarität | |
hatte bereits in der vergangenen Woche eindringlich gewarnt, dass ihre | |
Täterarbeitseinrichtung „Beratung für Männer – gegen Gewalt“, die in d… | |
Jahr 25 Jahre alt wird, den Kürzungen zum Opfer fallen könnte. | |
In diesem Jahr sei es ihnen durch die Ausweitung auf vier Standorte | |
„erstmals ansatzweise gelungen, alle Täter zu erreichen, die die Kriterien | |
erfüllen, um in unsere Beratung zu kommen“, so die Vorstandsvorsitzende der | |
Volkssolidarität Berlin, Susanne Buss. | |
Bei der Täterarbeit übernehmen Täter Verantwortung für ihr Handeln. Das | |
biete aktuellen und kommenden Partnerinnen und Familien Schutz vor | |
häuslicher Gewalt. „Solche Projekte via Kürzung zu streichen, ist ein | |
Zunichtemachen gerade aufgebauter weiterer Angebote“, sagt Buss. | |
Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) gab am Mittwoch im Abgeordnetenhaus | |
Entwarnung: Das Projekt der Volkssolidarität sowie das Projekt „Kind im | |
Blick“ des Sozialdiensts Katholischer Frauen und die „Einzel- und | |
Gruppentherapie von Tätern mit Weisung“ des Evangelisches Jugend- und | |
Fürsorgewerk sollen von den Einsparungen ausgenommen werden. | |
Bei anderen Projekten werde es jedoch „maßvolle Anpassungen“ geben. In | |
einem „sehr, sehr kleinen, vertretbaren Rahmen“ sollen bei den Projekten | |
„Childhood Haus“, dem ambulanten, sozialen Gewaltpräventionsprogramm und | |
Beratungsangebot zum Schutz vor Gewalt im öffentlichen Raum sowie beim | |
Projekt „Wegweiser“ Kürzungen vorgenommen werden, so die Justizsenatorin. | |
## Geschlechtsspezifische Gewalt nimmt zu | |
Susanne Buss von der Volkssolidarität kritisiert das: „Diese Arbeit ist | |
enorm wichtig, gerade in Zeiten, in denen sich Femizide mehren.“ [2][Allein | |
in diesem Jahr gab es in Berlin bereits 29 Femizide.] | |
Dass geschlechtsspezifische Gewalt bundesweit in allen Bereichen zunimmt, | |
zeigte das Ende November vorgestellte erste Lagebild „Geschlechtsspezifisch | |
gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023“. Demnach stieg die Zahl weiblicher | |
Opfer häuslicher Gewalt 2023 um 6,5 Prozent auf 180.715 (2022: 171.076). | |
Bei Sexualstraftaten wurden 52.330 weibliche Opfer erfasst, eine Zunahme um | |
6,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. | |
Kürzungen in diesem Bereich bewertet daher auch die BIG-Geschäftsführerin | |
Doris Felbinger als „fatales Zeichen an gewaltbetroffene Frauen und ihre | |
Unterstützer*innen“. Neben einer gesicherten Finanzierung fordern die | |
Beratungsstellen und Frauenhäuser die Umsetzung der Istanbul-Konvention. | |
[3][Diese scheitert bislang an der mangelnden Umsetzung des | |
Landesaktionsplans], den der Senat im Oktober vergangenen Jahres zur | |
Umsetzung der Istanbul-Konvention beschlossen hat. Laut | |
Konventionsschlüssel müsste Berlin 963 Plätze in Frauenhäusern zur | |
Verfügung stellen. Es gibt jedoch nur 462, knapp die Hälfte. | |
Selbst der von der Justizverwaltung ernannte Opferbeauftragte des Landes | |
Berlin, Roland Weber, moniert, dass die seit Jahren in Aussicht gestellten | |
zusätzlichen Frauenhausplätze in Berlin endlich geschaffen werden müssten. | |
Anlässlich seines jüngst veröffentlichten „Berichts zur Situation der Opfer | |
von Straftaten im Land Berlin 2023“ blickt auch Weber auf die | |
Einsparmaßnahmen. [4][Dem RBB sagte er], er hoffe doch, dass deshalb die | |
Täterarbeit nicht unter die Räder komme. | |
6 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Berliner-Sparliste/!6048322 | |
[2] /Berliner-Opfer-von-Femiziden/!6021843 | |
[3] /Geschlechtsspezifische-Gewalt/!6034451 | |
[4] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2024/12/taetigkeitsbericht-opferbeauft… | |
## AUTOREN | |
Lilly Schröder | |
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