| # taz.de -- Graffiti-Festival in Benin: Wo Amazonen und Ufos landen | |
| > Der Kunst des Graffiti gelten in afrikanischen Ländern vermehrt | |
| > Festivals. In Benin laufen die Bilder über 660 Meter einer Hafenmauer. | |
| Bild: Diesmal ist genug Farbe da: Arbeit an der Hafenmauer beim Festival Effet … | |
| Cotonou taz | Das, was typisch für Benin ist, lässt sich auf dem Wandbild | |
| von Drusille Fagnibo schon gut erkennen: eine Ananas, Baumwolle, die Statue | |
| von König Glèlè – er ist einer der bekanntesten Herrscher des einstigen | |
| Königreichs Dahomey gewesen – und ein großes, beladenes Containerschiff. | |
| Weiter ausarbeiten wird die 32-jährige Künstlerin noch die Porträts zweier | |
| junger Menschen. Damit verbindet sie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft | |
| ihres Heimatlandes – ein knapp 13 Millionen Einwohner*innen zählender | |
| Staat in Westafrika. Zu sehen ist die Arbeit künftig mitten in der | |
| Wirtschaftsmetropole Cotonou an der 660 Meter langen Hafenmauer. | |
| Die Malereien rechts und links zeigen Raumschiffe, Ufos, Szenen einer | |
| völlig digitalisierten Gesellschaft, aber auch Porträts, die an die | |
| Amazonen, die Kriegerinnen aus dem Königreich Dahomey, erinnern. Einige | |
| sind längst fertig, von anderen lassen sich bisher nur Teile erkennen. | |
| Sie entstehen seit Mitte April im Rahmen der achten Ausgabe des Festivals | |
| Effet Graff, an dem 26 Streetart-Künstler*innen aus West- und Nordafrika | |
| sowie Europa teilnehmen. „Das neue Benin“ ist sein Motto. Seit 2013 | |
| organisiert es der Verein Assart. | |
| Während das Festival in den Anfangsjahren kaum wahrgenommen wurde und die | |
| damaligen Graffitis längst verblasst sind, erhielt es im vergangenen Jahr | |
| internationale Beachtung. Gearbeitet wurde entlang einer 940 Meter langen | |
| Mauer, hinter der sich das Gelände der Eisenbahn Benins befindet. Sie | |
| erhielt den Namen „Mauer des kulturellen Erbes von Benin“ und gilt als das | |
| längste zusammenhängende Graffiti in Afrika. | |
| ## Zunehmende Anerkennung | |
| In Westafrika ist vor allem Senegals Hauptstadt Dakar für Graffitikunst | |
| bekannt, wo mit Festigraff ebenfalls noch bis Ende Mai ein internationales | |
| Festival veranstaltet wird. Auch Togo verzeichnet eine wachsende Szene an | |
| Graffitikünstler*innen. In Nigerias Megacity Lagos hat die aus | |
| Großbritannien stammende Künstlerin Polly Alakija im Jahr 2017 unterhalb | |
| der Falomo Bridge ein bekanntes Kunstwerk zum 50-jährigen Bestehen des | |
| Bundesstaates Lagos geschaffen. | |
| Tatsächlich werden Graffiti in der Region zunehmend als Kunst und nicht wie | |
| früher oft als Vandalismus wahrgenommen. [1][„Es gibt einen Respekt für | |
| diese Kunstform“,] sagt Jacques-Hermos Gbenahou, Direktor des Festivals. | |
| Grund dafür sei auch, dass beispielsweise aus Ghana und Togo | |
| Künstler*innen stammen, die international bekannt sind und Unterstützung | |
| von Firmen erhalten. | |
| Mit der Hafenmauer arbeiten die Teilnehmer*innen von Effet Graff mitten | |
| in der Stadt an einer überaus prominenten Stelle. Der Hafen erwirtschaftet | |
| rund 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und gilt als „Lunge von Cotonou“. | |
| Schräg gegenüber liegt der Präsidentenpalast. Die Regierung von [2][Patrice | |
| Talon], der seit 2016 Staatschef ist, unterstützt das Festival. Die | |
| Stiftung seiner Frau Claudine finanzierte die Arbeitsmittel. | |
| Bei vorherigen Ausgaben sei die Beschaffung der Farbe die größte | |
| Herausforderung gewesen, sagt Gbenahou. Künstler*innen mussten immer | |
| wieder auf Nachschub warten, und ihre Werke konnten anschließend nicht | |
| ausreichend gegen die Witterung geschützt werden. | |
| ## Was sie fühlen und denken | |
| Gerade Straßenkunst gilt oft als politisch und gesellschaftskritisch. In | |
| Lateinamerika verpackten bereits ab den 1920er Jahren die [3][sogenannten | |
| Muralist*innen ihre Botschaften in Mauerkunst.] Aktuell weltbekannt und | |
| verehrt ist Banksy, der unter anderem den Umgang mit Flüchtlingen | |
| kritisiert. Dass staatliche Unterstützung in Cotonou die Kritikfreudigkeit | |
| nimmt, davon geht Léa Awunou Roufaï, Direktorin der Nationalgalerie, nicht | |
| aus. „Künstler mogeln nicht.“ Stattdessen würden sie ausdrücken, was sie | |
| fühlen und denken. | |
| Zu den Zielen gehört, die Hafenmauer zum Freiluftmuseum zu verwandeln und | |
| Kunst allen zugänglich zu machen. Die Neugierde ist tatsächlich groß, und | |
| immer wieder bleiben Fußgänger*innen stehen. Wer im Hafen arbeitet, | |
| kann seit Wochen beobachten, wie sich die riesige weiße Mauer langsam | |
| verändert. | |
| Die wenigen Museen, die es bisher in Benin gibt, präsentieren vor allem | |
| Artefakte aus der Vergangenheit des Landes, etwa Masken oder Figuren aus | |
| Stein und Lehm, die mit der alten Religion Voodoo in Verbindung stehen. Die | |
| Nationalgalerie befindet sich noch im Aufbau. Zeitgenössische Kunst wird | |
| bisher fast ausschließlich in privat organisierten Ausstellungen gezeigt. | |
| Besucht werden diese häufig von Europäer*innen, die im Land leben, und | |
| einer kleinen Gruppe von Kunstinteressierten. Obwohl der Eintritt meist | |
| kostenlos ist, finden sich keine neuen Zielgruppen. | |
| ## Kunst als Möglichkeit | |
| „Das Festival macht sichtbar, dass beninische Künstler Talent haben“, sagt | |
| Drusille Fagnibo. Gespräche mit Passant*innen seien sehr motivierend. | |
| Daraus können spätere Kooperationen entstehen, etwa mit Unternehmen, die | |
| eine Wandmalerei oder ein Graffito für ihr Betriebsgelände möchten. Eltern | |
| würde das wiederum zeigen, dass sich Kunst zu einem Berufszweig entwickelt. | |
| Mittlerweile gibt es mehrere Schulen, die eine Ausbildung anbieten. Von | |
| einigen Studierenden erhält Fagnibo abends Unterstützung. Sie nehmen als | |
| Helfer*innen teil und führen kleine Malarbeiten aus. | |
| Trotzdem ist der Einstieg in die Kunstszene lange schwierig gewesen, gerade | |
| für Frauen. Auch Effet Graff habe nur drei Teilnehmerinnen, kritisiert | |
| Drusille Fagnibo und hofft, dass sich das in den nächsten Jahren ändert. | |
| Generell hätten es Frauen in Benin bisher schwerer, in die recht | |
| verschlossenen und männerdominierten Kunstzirkel zu kommen. Mit Romuald | |
| Hazoumè, Tchif und Julien Sinzogan sind auch vor allem Männer international | |
| bekannt. | |
| Am Anfang ihrer Karriere – Drusille Fagnibo besuchte die weiterführende | |
| Schule für Kunst in der Stadt Calavi und machte in Brasilien eine | |
| Ausbildung zur Industriedesignerin – hat sich Fagnibo nicht bereit gefühlt, | |
| in diesen Wettbewerb zu treten. Auch hat sie oft mitbekommen, dass Frauen | |
| ihre Ausbildung abbrechen. „Das ändert sich nun“, sagt Fagnibo und hofft | |
| auf eine neue Generation beninischer Künstlerinnen. | |
| 19 May 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Berliner-Graffiti-Aktivist-ueber-Freiraum/!5769670 | |
| [2] /Koloniale-Raubkunst/!5810737 | |
| [3] /Murals-und-moderne-Kunst/!5668997 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Gänsler | |
| ## TAGS | |
| Bildende Kunst | |
| Benin | |
| Graffiti | |
| Festival | |
| Geschichte | |
| Öffentlicher Raum | |
| Benin | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| zeitgenössische Kunst | |
| Schwerpunkt Kunst und Kolonialismus | |
| Graffiti | |
| Kunst | |
| Schwerpunkt Frankreich | |
| Restitution | |
| Seenotrettung | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Religion in Benin: Tourismus statt Glaube | |
| Bei den Voodoo-Tagen geht es vor allem um volle Hotels und Restaurants. | |
| Über die Götterwelt der indigenen Religion erfahren Gäste hingegen wenig. | |
| Voodoo im westafrikanischen Benin: Unter Göttern | |
| Zangbeto, der Wächter der Nacht, erscheint. Für Pockengott Sakpata stehen | |
| schwarze Tupfen. Voodoo erlebt in Benin eine Renaissance. | |
| JR in der Kunsthalle München: Mensch, schaut uns in die Augen | |
| JR ist ein Bote seiner Zeit und mehr Banksy als Basquiat. Der | |
| Street-Art-Künstler schafft es sogar in die großen Kunsthallen wie jetzt in | |
| München. | |
| Debatte um Sammlung Beier in Bayreuth: Die Schätze afrikanischer Patienten | |
| Die Bayreuther Uni verfügt über Kunstwerke, die unter Anleitung des | |
| Reformers Ulli Beier in einer Psychiatrie in Nigeria entstanden. Wem | |
| gehören sie? | |
| Graffiti-Buch „Eine Stadt wird bunt“: Spurensuche in Schuhkartons | |
| Seit Jahrzehnten prägen Graffiti das Stadtbild Hamburgs. Ein neuer Bildband | |
| widmet sich der historischen Beziehung von Hansestadt und Subkultur. | |
| Biennale Dak’art im Senegal: Am westlichsten Punkt Afrikas | |
| Die Dak’art probt den postkolonialen Spagat zwischen Tradition und Moderne. | |
| Doch auch hier ist der Einfluss Chinas inzwischen unübersehbar. | |
| Wandbilder für die Revolution: Viva la Commune! | |
| Paris ist die Hauptstadt des Protests. Viele Bewegungen beziehen sich mit | |
| Graffiti noch heute auf die Commune von 1871. | |
| Restitution kolonialer Objekte an Benin: Europa hat sich bewegt | |
| Benin feiert die Rückkehr von Objekten, die einst französische Soldaten | |
| geraubt hatten. Sie sollen künftig auch Tourist*innen ins Land locken. | |
| Seenotrettungsschiff „Louise Michel“: „Sea-Watch 4“ kommt zu Hilfe | |
| Die von Banksy gestiftete „Louise Michel“ liegt mit 219 Geretteten an Bord | |
| manövrierunfähig im Meer. Italien und Malta haben bisher nicht auf ihren | |
| Notruf reagiert. |