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# taz.de -- Graffiti-Buch „Eine Stadt wird bunt“: Spurensuche in Schuhkarto…
> Seit Jahrzehnten prägen Graffiti das Stadtbild Hamburgs. Ein neuer
> Bildband widmet sich der historischen Beziehung von Hansestadt und
> Subkultur.
Bild: Die „Crime Partner“ (CCCP), CanTwo und Jase, posieren 1988 vor ihren …
Als ich Anfang der 90er-Jahre als junger Writer begann, mich mit Graffiti
auch außerhalb meiner unmittelbaren Umgebung – dem Südwesten Deutschlands �…
zu beschäftigen, stieß ich recht schnell auf Akteure aus Hamburg. Zuerst
sah ich nur die Bilder in den Fanzines, damals noch größtenteils in
Schwarz-Weiß.
Namen wie RTA, Jase, Skena, Resh, Daim, Keats, Shore prägten sich ein und
formten die Vorstellung von Hamburg als besonders facettenreiche
Graffiti-Stadt. 1994 sah ich dann das erste Mal live auf einem Event in
Würzburg ein Piece von dem Hamburger Hip-Hop-Urgestein Jase, das mich
nachhaltig inspirierte. Da wurde mir klar, du musst unbedingt mal selbst
nach Hamburg und schauen, was da geht. Es sollte allerdings noch ein paar
Jahre dauern, erst im Jahr 2000 hatte ich die Möglichkeit, die Hansestadt
zu besuchen.
Ich wurde nicht enttäuscht: Die Fülle und die verschiedenen Flavours an
Graffiti flashten mich sofort und es folgten unzählige weitere
Graffiti-related Besuche in der Stadt. Auch Freundschaften entstanden. Eine
davon eben mit Jase, der damals wie heute nicht nur malt, sondern auch
tanzt und als B-Boy unter dem Namen Sonny Tee bekannt ist.
Jase prägte mich nicht nur durch seine Kunst, er erzählte mir auch viel
über die Anfänge und Entwicklung der Graffiti- und Hip-Hop-Kultur in
Deutschland, und im Speziellen über Hamburg, nach dem im Hip-Hop fest
verankerten Gedanken: Each one teach one. Es war also kaum überraschend für
mich, als ich den kürzlich erschienenen Bildband „Eine Stadt wird bunt“
über die Geschichte der Graffiti-Szene in Hamburg aufschlug und mir alle
paar Seiten Pieces, Posen oder das Gesicht von Jase entgegenblickte.
## Standardwerk für Graffiti
Überhaupt ist „Eine Stadt wird bunt“ weit mehr als nur ein weiteres
Graffiti-Buch. Den Machern ist mit dem knapp vier Kilo schweren Band etwas
gelungen, was es so noch nicht gegeben hat: Ein Standardwerk, dass die
Entstehung und Entwicklung von Graffiti, konkret in Hamburg, aufarbeitet
und nachzeichnet. Die Phase, die das Buch in den Blick nimmt, ist eine
vordigitale und dementsprechend nur spärlich dokumentierte: 1980 bis 1999.
Das Material wurde aus unzähligen Privatarchiven zusammengetragen. Wie
sollte es anders sein bei einer so vergänglichen Kunstform, die teilweise
nur ein paar Tage überlebt, bevor sie übermalt oder überstrichen wird und
meist nur noch als Schnappschuss auf Festplatten oder Schuhkartons von
Machern und Fans fortbesteht.
Warum es eine vergleichbare Publikation bislang nicht gegeben hat?
Vielleicht weil es in der Vergangenheit häufig Leute waren, die von
außerhalb auf die Szene geschaut und deshalb nur abstraktes, projiziertes
und teilweise oberflächliches Wissen haben und vermitteln konnten.
Zudem gibt es wie in jeder Subkultur auch in der Graffiti-Szene Konflikte,
die dazu führen können, dass Akteure jeweils nur das eigene Umfeld fördern
und dazu neigen, andere Sichtweisen und Stile auszuklammern. Die Szene zu
dokumentieren, bedeutet aber aus der Szene heraus zu arbeiten und die Szene
trotz aller Konflikte mit einzubinden. Und genau das ist dem Team um die
vier Hamburger Herausgeber und Sprüher Oliver Nebel, Andreas Timm, Frank
Petering und Mirko Reisser gelungen.
## Stadtentwicklung der Nachkriegszeit
Über fünf Jahre lang wurden 425.000 Fotos, Negative, Dias, Zeitungsartikel
und Skizzen akquiriert und gesichtet. Über 1.300 Abbildungen sind nun in
dem Buch – viele davon bis dato unveröffentlicht. Die schiere Menge an
Daten zu bändigen, das sicherlich sehr unterschiedliche Bildmaterial in
Einklang mit Farbkorrektur und Layout zu bringen, muss sehr herausfordernd
gewesen sein, und das gelungene Ergebnis zeigt, wie viel Detailarbeit und
Mühe in dem Band stecken.
Doch auch den Texten in „Eine Stadt wird bunt“, die jeweils auf Deutsch mit
englischer Übersetzung abgedruckt sind, gelingt es, neue Perspektiven auf
Historisches zu eröffnen. Es geht um Spurensuche und Geschichten, in denen
Akteure und Zeitzeugen selbst zu Wort kommen, aber auch um das Erschließen
von Zusammenhängen.
Autorin Sylvia Neckar etwa betrachtet Graffiti im Kontext der
Stadtentwicklung von Hamburg in der Nachkriegszeit. Der Beitrag zeigt auf,
wie Fläche und Nutzung die Stadt veränderten und damit eben auch die Kunst
im öffentlichen Raum beeinflussten. Historische Abbildungen begleiten das
Kapitel, auch Fotografien vom Häuserkampf an der Hafenstraße in den 80er-
und 90er-Jahren von Marily Stroux, die zu jener Zeit auch für die taz tätig
war.
Der Umgang mit gewollter und nicht gewollter Intervention im öffentlichen
Raum wird natürlich Thema, oder kurz gesagt: „legal – illegal“. Es geht …
die Kriminalisierung der Szene und die Kommunikation zwischen
Öffentlichkeit, Medien und Institutionen, aber glücklicherweise nimmt das
Thema nicht überhand, wie es häufig in öffentlichen Diskussionen über
Graffiti der Fall ist, sondern bleibt nur eines unter vielen Themen.
## Von OZ bis zum „Bomber der Stadt“
Auch „OZ“ bekommt ein eigenes Kapitel, der jedem Hamburg-Reisenden bis in
die späten Nullerjahre ein Begriff sein sollte. Es handelt sich um das
Pseudonym des 2014 verstorbenen Walter Josef Fischer, eines der
schillerndsten Vertreter der „Make your mark on society“-Zunft. Der Slogan
ist ein Reclaiming der Anti-Graffiti-Kampagne von New York City aus dem
Jahr 1982, mit der Bürgermeister Ed Koch die Allgegenwärtigkeit von Tags
und Pieces aus dem Stadtbild zu verbannen versuchte – und damit grandios
scheiterte.
An anderer Stelle des Bildbands widmet sich Autor Dennis Kraus dem „Bomber
der Stadt“: Amadeus, einer der prägendsten Sprüher aus Hamburg, der unter
zig Namen wie Shore, Enro, Who und Vola bekannt wurde. Er war Mitglied der
legendären Graffiti-Crew RTA, der Real Transit Artists, die nicht nur in
Hamburg mit ihren großflächig bemalten Zügen Aufsehen erregten. Im Gespräch
mit Kraus erinnert er sich zurück an damalige Aktionen, begleitet wird das
Kapitel durch großformatige Fotos von bemalten Zügen und Flächen.
Neben den etlichen Graffiti-Abbildungen finden sich auch Fotos, die den
urbanen Raum Hamburgs in der Zeitachse des Bildbandes dokumentieren.
Zusammenspiel und Wechselwirkung zwischen Stadtentwicklung und Graffiti
werden immer wieder Gegenstand, gerade weil Orte wie S-Bahn-Stationen,
Jugendeinrichtungen und sogenannte Corners für die Graffiti-Szene seit
jeher eine immense Rolle gespielt haben. In Zeiten vor Social Media waren
es eben vor allem Fanzines und Treffpunkte, die für Vernetzung, Austausch
und Organisation innerhalb der Szene sorgten.
Somit ist „Eine Stadt wird bunt“ nicht nur ein Geschichtsbuch, das die
Entwicklung der international vernetzten Graffiti-Szene in einem bestimmten
Zeitraum, an einem bestimmten Ort dokumentiert. Es ist auch ein
Hamburg-Buch, das die Geschichte der Stadt aus einer bestimmten Perspektive
in den Blick nimmt und ihre Bedeutung für eine ganze Subkultur
herausarbeitet.
7 Aug 2022
## AUTOREN
Baske ToBeTrue
## TAGS
Graffiti
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Hamburg
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Graffiti
Schule
Graffiti
Bildende Kunst
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