# taz.de -- Biennale Dak’art im Senegal: Am westlichsten Punkt Afrikas | |
> Die Dak’art probt den postkolonialen Spagat zwischen Tradition und | |
> Moderne. Doch auch hier ist der Einfluss Chinas inzwischen unübersehbar. | |
Bild: Im chinesischen Pavillon auf der Dak'Art, Mai 2022 | |
Sie ist mittlerweile zu der wichtigsten Kunstschau auf dem afrikanischen | |
Kontinent avanciert, die Biennale Dak’art in der senegalesischen Hauptstadt | |
Dakar. Ihre offizielle Ausstellung mit dem Titel „ī Ndaffa“ und ihre | |
unzähligen Nebenschauplätze erstrecken sich nun bis 21. Juni über das | |
kolonialarchitektonische Stadtzentrum Dakars hinaus bis auf die | |
eingemeindeten Küstendörfer am Atlantik. | |
Dakar ist mit seinen kommerziellen Galerien und freien Kunstinitiativen | |
schon lange ein Zentrum für afrikanische Gegenwartskunst. 1966, als gerade | |
viele afrikanische Staaten ihre Unabhängigkeit erlangten, rückte die Stadt | |
mit dem ersten Festival des Arts Nègres in den Fokus der Öffentlichkeit. | |
Auch heute will man wissen, was am westlichsten Zipfel Afrikas künstlerisch | |
passiert. Gerade in einer zunehmend vernetzten Welt. | |
Die Eröffnung der Biennale am 19. Mai war ein Staatsereignis. Der | |
senegalesische Präsident Macky Sall war zugegen, hochrangige Minister, eine | |
chinesische Gesandtschaft ebenfalls. China ist ohnehin sehr präsent auf | |
dieser 14. Ausgabe der Dakar-Biennale. Eine der drei großen Spielstätten, | |
das Musée des Civilisations Noires, wird von China finanziert und wurde von | |
dem chinesischem Architekturbüro Beijing Institute entworfen. | |
In dem mächtigen Rundbau präsentiert sich das expansive Weltreich also in | |
einem eigenen nationalen Pavillon. Ein seltsames Setting inmitten einer | |
Kunstschau, die sonst vor allem die Frage nach afrikanischen Identitäten | |
stellt. Chinas Künstler:innen wie Tan Xun oder Liu Shangying machen mit | |
kitschig-düsteren Malereien von Kaninchen oder Mustern aus gestretchter | |
Kuhhaut einen ungelenk wirkenden Brückenschlag zu den sonstigen Themen von | |
Handwerklichkeit und Materialtraditionen der übrigen Schau. | |
## Panafrikanisches Projekt | |
Die Dak’art gibt sich zumeist eher doch als ein panafrikanisches Projekt. | |
Von „afrikanischen Ressourcen“ spricht der künstlerische Leiter, El Hadj | |
Malick Ndiaye. 59 Künstler:innen aus überwiegend afrikanischen Staaten | |
und deren Diaspora hat El Hadj Malick Ndiaye eingeladen. | |
In Kleinarchitekturen aus Lehm und Stroh, in Installationen aus Stoff, | |
Elfenbein oder Leder und in den vielen Malereien beschreiben sie häufig | |
traditionelle Lebensformen, [1][wollen tradiertes Wissen und mythische | |
Denkweisen wachrufen]. Diese scheinen sich oft spielerisch und reizvoll mit | |
universellen Kunstformen zu verbinden. | |
So meint man einen Kubismus der klassischen Moderne in den Figurengruppen | |
der senegalesischen Malerin Kiné Aw zu sehen, würden auf ihren | |
großformatigen Bildern nicht die Gadgets unseres Alltags auftauchen, die | |
Handys und Laptops, und damit auch als Störfaktor in einen europäischen | |
Kunstkanon treten, der sich auch aus afrikanischen Darstellungsformen | |
speist und speiste. | |
Der Senegalese Ibou Ibrahima Ndoye führt mit der traditionellen Technik der | |
Glasmalereien fort, was er andernorts auf öffentliche Mauern bringt: | |
kantige, Basquiat-artige Figuren mit breiten Schultern und großen Augen, | |
extreme Ausformungen eines überzogenen afrikanischen Stereotyps, denen er | |
aber eine fröhliche Dekorhaftigkeit gibt. | |
Die architektonische Kulisse spiegelt dabei selbst die politische | |
Geschichte und Gegenwart Dakars wider. Das Hotel de Ville ist aus der | |
Hochphase der französischen Kolonialzeit, der Palais de Justice entstand | |
noch kurz vor der Unabhängigkeit 1960. Und da ist da noch jenes neue, im | |
Zuge von Chinas expansionistischer Afrikapolitik entstandene Musée des | |
Civilisations Noires. Die drei Gebäude sind jetzt die großen Spielstätten | |
der offiziellen Dak’art. | |
## Senghors Philosophie | |
Die Philosophie der Dak’art knüpft in ihrem nationalen Sendungsbewusstsein | |
an die Unabhängigkeitsjahre unter dem ersten Präsidenten Léopold Sédar | |
Senghor (1960–1980) an. [2][Senghor propagierte die Négritude,] um nach der | |
Kolonialzeit ein schwarzafrikanisches Selbstbewusstsein zu stärken. | |
Insbesondere die Kunsthochschule von Dakar (École de Dakar) verpflichtete | |
Senghor zur Verbreitung panafrikanischer Motive und nationaler | |
Programmatik. Senghors Projekt, häufig kritisiert, scheint bis heute | |
wirkmächtig. | |
Sichtbar etwa auch bei den zwischen Abstraktion und Täuschung | |
oszillierenden Malereien des 1985 geborenen Senegalesen Alioune Diagne. | |
Seine einerseits an arabische Schriftzüge und andererseits an den | |
europäischen Pointillismus erinnernden Kringelformen fügen sich erst aus | |
der Distanz zu großflächigen Genrebildern zusammen. Diagne malt Szenen des | |
traditionellen Familienlebens. In diesem nämlich manifestiere sich für ihn | |
eine kulturelle Zugehörigkeit am konkretesten. | |
Nostalgisch wirken Diagnes Bilder dennoch nicht. Trotzdem kommt man auf der | |
Dak’art nicht umhin, die begrifflichen Kolosse „Tradition“ und „Moderne… | |
heranzuziehen. | |
## Ambivalente Metropole | |
Deren Aufeinandertreffen kann man auch in der Millionenmetropole selber | |
schlecht ausweichen. Den Stadtkern dominiert das 1903 von den Franzosen | |
angelegte Plateau mit seinem geometrisch Straßennetz und dem Hafen – mit | |
einem heute nie enden wollenden Verkehr vor einer spiegelverglasten | |
Investorenarchitektur. | |
[3][Dakar gibt das Bild jener ambivalenten Weltstädte ab,] wo | |
internationales Kapital auf ambulante Straßenhändler trifft, der | |
kosmopolitische Jetset auf mittellose Migrant:innen. | |
Wir sind am westlichsten Punkt Afrikas, auf einer Halbinsel, umrundet vom | |
Meer, dessen noch zu erschließenden Gasfelder gerade in die Energieagenda | |
der deutschen Bundesregierung aufgenommen wurden. Die am meisten | |
praktizierte Religion ist hier eine spirituelle Bewegung des Islam, der | |
Muridismus. | |
Das Konterfei ihres Begründer Cheikh Ahmadou Bamba dekoriert Busse und | |
Fassaden. Dakar ist lokal, global, transkulturell. Die UNO-Resolution zur | |
Verurteilung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hat man jedoch | |
nicht unterzeichnet. | |
## Kunst in der Stadt | |
Man scheint sich [4][hier vor einem steten Aushandlungsprozess zu | |
befinden], vor dem Hintergrund der häufig zitierten postkolonialen | |
Situation. Das wird gerade auch auf der sogenannten Off-Biennale deutlich, | |
die sich auf Hunderte Geschäfte, Ateliers und Straßen um die offizielle | |
Schau verteilt hat. | |
Ein Denkmal des Künstlers Modboye im Stadtteil Medina ist Teil dieses | |
Off-Programms. In Medina liegt der Port de Pêche de Soumbédioune. Der Hafen | |
ist Anlegestelle für die Kleinfischer von Dakar. Ihre Lebensgrundlage ist | |
jedoch aufgrund der Überfischung durch große internationale Fangflotten | |
bedroht. Die senegalesische Regierung verkauft dafür immer noch großzügig | |
Konzessionen. | |
Doch von diesem Hafen aus treten auf Fischerbooten auch viele Migranten | |
ihre riskante Überfahrt nach Europa an. Die hölzernen Überreste einer | |
solchen Piroge stellt Modboye als stummes Zeugnis für die Tragödien oftmals | |
gescheiterter Überquerungen aus. Die Namen von fünf gestorbenen Personen | |
sowie Abschriften von Zeitungsartikeln zeichnete Modboye in das Innere des | |
sonst so kommentarlos daliegenden Schifftorsos. | |
Nicht weit davon thematisiert eine Installation an einer Hausfassade | |
fiktive und reale Identitäten von Bewohner:innen der Medina. Die | |
Fotografin Audrey Cavelius collagierte die Portraitierten in die mondäne | |
Kulisse von Städten wie Paris. Sie inszenierte sie als Berühmtheiten, um | |
sie dann wieder in ihrer alltäglichen Umgebung abzulichten, beim Waschen in | |
der Wohnung oder beim Arbeiten in einem kleinen Lebensmittelladen in Dakar. | |
28 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Anna Helfer | |
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