# taz.de -- Erinnerungen an Künstler Heino Jaeger: Das merkwürdige Genie | |
> 25 Jahre nach seinem Tod erinnern Ausstellungen an den Künstler Heino | |
> Jaeger. Nachfahren wie Rocko Schamoni helfen bei der Wiederentdeckung | |
> mit. | |
Bild: Heino Jaeger in Lübberstedt, ca. 1970 | |
Ziemlich genau 25 Jahre ist es her, dass Heino Jaeger gestorben ist, am 7. | |
Juli 1997 an einem Schlaganfall im schleswig-holsteinischen Bad Oldesloe. | |
Hier, im „Haus Ingrid“, einem sozialpsychiatrischen Pflegeheim, hatte | |
Jaeger annähernd die letzten zehn Jahre seines Lebens verbracht. Hier | |
entstanden seine letzten Zeichnungen – und er gestaltete Titelblätter der | |
Heimzeitung Eine Handvoll Blätter. Gelernt hatte Jaeger das | |
Grafikerhandwerk, studiert – und abgeschlossen – beim Hamburger | |
Kunstprofessor Alfred Mahlau. | |
Dass er also etwas konnte, wenn er nur wollte: davon kündet [1][eine große | |
Ausstellung im Kunsthaus Stade], mehr als 300 Grafiken und Gemälde, | |
entstanden im Lauf von 40 Jahren. Von „Visionen eines beschädigten, | |
menschenbesetzten und gleichsam entmenschlichten Miteinanders“ schreiben | |
die Kurator*innen Sebastian Möllers und Regina Wetjen. | |
„In einer nicht immer leicht zu entwirrenden Mischung aus Mimikry und | |
Übertreibung“, so Thomas Röske in dem enorm materialreichen Begleitband, | |
„schlüpfte er in die Rolle eines Künstlers, der im Habitus eines Nazis | |
stecken geblieben war“: Wie viel bewusstes Spiel das war, absichtsvoller | |
Tabubruch – und wie viel schlicht Überbleibsel einer Kindheit zwischen | |
Trümmerbergen? | |
## Nein zum guten Geschmack | |
„Ein Maler des Deutschen Reiches stellt in der ehemaligen Reichshauptstadt | |
aus!“, so war eine Galerie-Schau Jaegers in Berlin überschrieben, und das | |
schon 1972, also ein paar Jahre vor Punk. Dessen Umgang gerade auch mit den | |
bösesten Zeichen ist Jaegers Schaffen aber durchaus verwandt, seinem | |
Nichteinstimmen in die allgemeine Verdrängung, zugleich auch seinem hart am | |
Zynischen kratzenden Nein zum (allzu) guten Geschmack. | |
Dass Jaeger und einige Künstlerfreunde sich betont nicht gegenwärtig | |
fühlten, gerne behaupteten, alles relevante Kulturschaffen sei mit dem | |
Ersten Weltkrieg beendet gewesen, stellt weniger einen Widerspruch dar als | |
eine Facette. | |
Kurz vor dem Durchbruch zu einer richtigen Karriere stand Jaeger in den | |
1970ern auf einem anderen Feld: pointenfreie, absurde Radiostücke, auf | |
deren Einfluss sich heute das Telefonstreich-Trio Studio Braun genauso | |
beruft wie etwa Olli Dittrich. | |
## „Mozart der Komik“ | |
Als Jaeger starb, beschränkte sich sein Ruf als wichtiger Humorist indes | |
auf einen überschaubaren, dafür brennend begeisterten Kreis von teils sehr | |
einflussreichen Eingeweihten: Eckhard Henscheid nannte ihn den „Mozart der | |
Komik“, Loriot mutmaßte angesichts des Jaeger’schen Geheimtippstatus: „W… | |
haben ihn wohl nicht verdient.“ | |
Radioauftritte und Ausstellungen sind teils Jahrzehnte her, 1988 etwa waren | |
Bilder und Zeichnungen zum letzten Mal zu sehen, in einer Galerie in der | |
Hamburger Innenstadt, aber auch im Helms-Museum im Stadtteil Harburg. Dass | |
er somit in einem wesentlich der Archäologie gewidmeten Haus landete, | |
erklärt sich über Jaegers berufliche Biografie: Ab 1967 verdingte er sich | |
dort als Zeichner von Fundstücken, ein kunstsinniger Museumsdirektor | |
erkannte dann aber auch seine anderen Talente. | |
Überhaupt Harburg: Dort, südlich der Elbe, ist Jaeger zur Welt gekommen am | |
Neujahrstag 1938, dort hat er nicht immer, aber doch sehr lange gelebt, und | |
dort sollen Anfang Juli eine (kleinere) Ausstellung und die erstmals | |
abgehaltenen [2][„Heino Jaeger Festspiele“] erinnern an den irgendwie | |
großen, aber halt auch lange so gut wie vergessenen Sohn. | |
Ob dieser Harburger Hintergrund Zufall oder vielmehr ursächlich sei für das | |
merkwürdige Genie: darüber mutmaßte dieser Tage, bei der Vorstellung dieser | |
Jubiläumsaktivitäten, Rocko Schamoni. Dort ist ja auch Heinz Strunk geboren | |
und aufgewachsen, der „genau die gleiche Arbeit“ leiste wie vor ihm Jaeger. | |
„Diese Leute kommen von hier“, so also Schamoni jetzt: Leute, auf der Jagd | |
„nach diesen merkwürdigen Geschwulsten in der Sprache“. | |
Schamoni ist künstlerischer Leiter und sozusagen einer von zwei Vätern der | |
Festspiele, er hat auch durch seinen jüngsten Roman mitgearbeitet an der | |
kleinen Jaeger-Renaissance: „Der Jaeger und sein Meister“, 2021 erschienen, | |
erzählt „teils fiktiv“ von der Freundschaft Jaegers zum Volkskundler Joska | |
Pintschovius, in den letzten Lebensjahren auch sein rechtlicher Vormund. | |
„Je mehr ich mich auf die Welt Heino Jaegers einließ“, heißt es im Vorwor… | |
„als desto weiter und tiefer empfand ich sie, es gab nicht nur | |
Schallplatten, sondern auch Zeichnungen, Malerei und Texte, die mir | |
allesamt fast noch interessanter erschienen als die Tonaufnahmen.“ | |
## Bizarre Hörspiele | |
Stattgefunden hat dieses erste Kennenlernen 1991. „Ich habe mich gleich in | |
Jaeger verliebt“, hat Schamoni [3][2008 der taz erzählt], „so bizarre | |
Hörspiele hatte ich nie zuvor gehört.“ Seither scheint Jaeger ihn nie | |
wieder ganz verlassen zu haben, wurde der bildende Künstler vielleicht noch | |
wichtiger als der Wortschöpfer Jaeger. Um 2008 war dann auch zu vernehmen, | |
Schamoni – und Regisseur Lars Jessen – arbeiteten an einem Spielfilm über | |
den schrägen Vogel, der aber bis jetzt nicht realisiert wurde. | |
Verdient gemacht hat sich Schamoni gleichwohl ums Ausleuchten dessen, was | |
er 2008 die „goldene und bislang noch unerzählte Ära deutscher Pop- und | |
Kulturgeschichte“ nannte: Er begriff Jaeger als Satelliten eines | |
spezifischen Hamburger Biotops der 1970er-Jahre, „Menschen wie Norbert | |
‚Boxprinz‘ Grupe, Wolfgang ‚Wolli‘ Köhler, Hubert Fichte“ – der | |
Jaeger-Roman ist denn auch der zweite Band einer Trilogie, die Schamoni | |
[4][diesem Milieu zwischen Kunst und Rotlicht, Halbwelt und Revolte] widmen | |
will. | |
Mit dieser Einordnung Jaegers ist Schamoni nicht alleine, auch beim | |
Dokumentarfilmer Gerd Kroske folgte 2012 das [5][Jaeger-Biopic „Look before | |
you kuck“,] nachdem er zuvor Filme über den Boxer Norbert Grupe („Der | |
Boxprinz“) und den Bordellbesitzer Wolfgang Köhler („Wollis Paradies“) | |
gedreht hatte; Kroskes Film eröffnet nun die Harburger Festspiele, der | |
Regisseur ist anwesend. | |
## Festspielprogramm | |
Was steht noch auf dem Programm? Schamoni kommt mit seinem Roman, Heinz | |
Strunk liest, und mit seinem Jazz-Trio spielt Jacques Palminger, der dritte | |
Mann bei Studio Braun. Frau Kraushaar, Ferdinand Führer und Roland van | |
Oystern, Fritz Ernst sowie eine vorerst noch geheim gehaltene Band | |
vervollständigen das Line-up. | |
„Das sind Leute, von denen wir gedacht haben, dass sie im Geiste Heino | |
Jaegers arbeiten“, sagte Schamoni jetzt bei der Vorstellung des | |
Festspielprogramms. „Von einigen weiß ich, dass sie durch und durch Fans | |
sind, von anderen weiß ich es nicht genau. Vielleicht werden sie es noch | |
werden, aber sie gehören für uns irgendwo im weitesten Sinne in den | |
Figurenkosmos Jaegers.“ | |
Geht es nach den Initiatoren – neben Schamoni Rainer-Maria Weiss, Direktor | |
des Archäologischen Museums Hamburg und Stadtmuseums Harburg sowie Jens | |
Brauer, Leiter der Abteilung „Harburger Stadtgeschichte“ – sollen diese | |
Festspiele regelmäßig stattfinden. | |
„Wir wissen natürlich nicht, ob das ankommt“, so Schamoni. „Aber viellei… | |
wäre das ja für das Museum und auch für Harburg eine schöne Tradition, an | |
Heino erinnern und eben gleichzeitig diesen, sag ich mal, widerborstigen, | |
unberechenbaren Geist im Zentrum behalten, und das für die nächsten Jahre | |
oder Jahrzehnte. Mal sehen.“ | |
26 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Heino-Jaeger-Ausstellung-in-Stade/!5848851 | |
[2] https://amh.de/heino-jaeger/ | |
[3] /!862744/ | |
[4] /Roman-von-Rocko-Schamoni/!5595074 | |
[5] /Film-ueber-Heino-Jaeger/!5080554 | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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