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# taz.de -- Heinz Strunks Band „Der gelbe Elefant“: Lost in Neandertal
> Unangenehme Männerwelten sind Heinz Strunks Metier. Seine neuen
> Erzählungen lesen sich zum Teil wie Kafka mit Befall von Hamburger Humor.
Bild: Heinz Strunk
Das Werk von [1][Heinz Strunk] führt uns oft in Welten, um die die meisten,
die diesen Text hier lesen, wohl lieber einen großen Bogen machen würden.
In die Welt des schwitzigen Männerwitzes etwa, in die Köpfe jener Typen,
die Frauen als Pick-Up-Material betrachten, auch in den Kosmos der glatten
und durchgecoachten Performer der Digitalära.
Oder aber Strunk schaut, durchaus mit sprachlichem Genuss, allzu
durchschnittlichen Menschen beim Sich-gegenseitig-Anöden zu; das traurige
Figurenkabinett seiner Geschichte „Kroketten“ ist ein Beispiel dafür, die
handelnden Figuren sind: „Björnischmörni und Swantjischwantji und Claudi
und Andi und Olli und Melli und Kati und Matze und Sabi und Fränkie, die
Ahnengalerie der Generation X; Gesichter, die aussehen, als hätten sie
schon tausend Jahre gelebt, gleiche Grammatik von Mimik und Posen,
reduziert aufs Notwendigste, Kollektivgesichter.“
In [2][seinem 2022 erschienenen Roman „Ein Sommer in Niendorf“] hat Heinz
Strunk bereits brillant aufgezeigt, wie viele Überschneidungen es gibt
zwischen den genannten Milieus und den gut situierten und gebildeten
Kreisen, die sich erhaben über den Plebs wähnen. Auch seinen nun
erschienenen Erzählungsband „Der gelbe Elefant“ muss man in Teilen als
Blick in den Spiegel betrachten, will man etwas aus diesen Geschichten
ziehen. Angenehm ist der Anblick natürlich nicht.
## Bis die Knochen versagen
Es gibt zwei Schlüsselerzählungen in diesem Band. „Eisengreis“ heißt die
eine, ihr Protagonist Werner Spremberg ist 75 Jahre alt, macht täglich
Bodybuildung und hält sich für unkaputtbar. Die Osteoporose-Diagnose seines
Arztes beachtet er nicht weiter, er absolviert weiter Laufeinheiten, macht
Klimmzüge, Liegestütze und Dips.
Bis ihm bei den Liegestützen irgendwann die Knochen versagen und sein
Oberarmkopf bricht. Da liegt er dann, der Werner, ähnlich einem kafkaesken
Käfer, nur auf dem Bauch statt auf dem Rücken strampelnd, robbt durch die
Flure und wartet auf den Tag, an dem seine Nachmieter vorbeikommen und ihn
retten werden.
„Bis dahin muss er durchhalten. Und er wird aus dieser Grenzsituation
gestärkt hervorgehen“, macht er sich Mut. Und weiter: „Bis ein Mensch
verhungert, dauert es viel länger, als man gemeinhin annimmt. Seine
Fettreserven sind begrenzt, werden aber ausreichen. […] Der Tank des
Wasserspenders ist fast bis zum Anschlag gefüllt.“
Werner beizuwohnen, wie sein Weltbild mit seinen Knochen zusammenkracht und
wie er sich weigert, die Realität anzuerkennen, das ist große Erzählkunst
und erinnert dann tatsächlich an eine Kafka-Parabel mit einem ordentlichen
Schuss Hamburger Humor.
## „Schwerpunkt Erfolg, Persönlichkeit, Zukunft“
Um Selbstbilder, die nicht mit Fremdbild zusammenpassen und sich auch eher
als Selbsttäuschung erweisen, geht es auch in der Geschichte ‚Mensch vs.
Taler‘. Die handelt eben von so einem selbst ernannten Performer: von
Felgentreu, der umgeschult hat auf „Key Note Speaker, Schwerpunkt Erfolg,
Persönlichkeit, Zukunft“. Dieser Typ, der von seinem eigenen „Powerwording…
und sowieso von sich selbst sehr überzeugt ist, macht auf einer seiner
beruflichen Rundreisen Halt im Neandertal, verläuft sich dort und stößt auf
eine Gruppe von Menschen, die aussehen wie in der Steinzeit.
Von diesen wird er schließlich gefangen genommen, seine Coaching-Worthülsen
helfen ihm nun nicht mehr weiter. Die Geschichte endet auf denkbar
strunkige Art und Weise, es wird fies, lustig und absurd. Je surrealer es
in den Erzählungen zugeht, desto interessanter werden sie.
Es ergibt dabei durchaus einen Sinn und erzeugt einen Mehrwert, sich mit
den hier gezeigten Männerwelten auseinanderzusetzen. Weder ist Strunk
affirmativ (wie auch, bei diesen Figuren!), noch stellt er die Figuren
einfach nur aus.
„Auskunft“ und „Kjell aus Tarp“ etwa handeln von tiefer männlicher
Einsamkeit, auch in der Geschichte über [3][eine Markus-Lanz-Sendung] („Der
erledigte Experte“) geht es um Selbstwert und über die 5 minutes of fame,
die der Protagonist für sich einfordert. So unterhaltsam wie Strunk
Abgründe vermisst und Psychogramme erstellt, gelingt dies den wenigsten
deutschen Autor:innen. Insofern: beste schattenreiche Sommerlektüre.
26 Jun 2023
## LINKS
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[3] /Moderator-Markus-Lanz/!5693746
## AUTOREN
Jens Uthoff
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