# taz.de -- Roman „Zauberberg 2“ von Heinz Strunk: Er bleibt und bleibt und… | |
> Heinz Strunk nennt seinen neuen Roman „Zauberberg 2“ und schickt darin | |
> einen Start-up-Unternehmer in ein Sanatorium. Wie lange kann das | |
> gutgehen? | |
Bild: Musiktherapie, Fototherapie, Bibliotherapie. 1952 therapiert man Tuberkul… | |
Jonas Heidbrink ist geradezu der Prototypus einer Figur, wie man sie so | |
wohl nur im [1][Heinz-Strunk-Kosmos] antrifft. Heidbrink, 36 Jahre alt, hat | |
schon in jungen Jahren als Start-up-Unternehmer Karriere gemacht. Als er | |
seine Firma an ein größeres Tech-Unternehmen verkauft, kommt er zu viel | |
Geld, wird „Privatier“. | |
Doch dieses Dasein bekommt ihm nicht, er stürzt in eine schwere Sinnkrise, | |
verfällt in einen „dauerhaften Zustand aus Angst, Panik, quälender | |
Langeweile, Aussichtslosigkeit, Hoffnungslosigkeit und alle anderen | |
Losigkeiten“. Der Roman setzt ein, als Heidbrink zu einem Sanatorium nahe | |
der polnischen Grenze fährt und dort eine Therapie beginnt. Einen Monat | |
will er bleiben. | |
Heidbrink ist als [2][Wiedergänger Hans Castorps] angelegt, jenes jungen | |
Mannes, den Thomas Mann vor hundert Jahren ins Sanatorium nach Davos | |
schickte und der dort blieb und blieb und blieb. „Zauberberg 2“ hat Heinz | |
Strunk seinen Roman ganz bescheiden genannt, Passagen aus Manns Werk | |
zitiert er wörtlich, man kann sie im Anhang nachlesen. Der Titel ist | |
natürlich genial, holt er doch Thomas Mann nonchalant vom Sockel und mutet | |
zudem – in Kombination mit dem Science-Fiction-mäßigen Prägedruck auf dem | |
Buchcover – blockbustermäßig an. | |
Dieser Blockbuster erweist sich dann als typisch Strunk’sche Tragikomödie, | |
auch wenn der Protagonist das Klinikgeschehen eher als öde Daily Soap | |
erlebt: „Echte Patienten sind viel deprimierender als Film- oder | |
TV-Patienten. Im Unterschied zum turbulenten TV-Krankenhaus-Alltag passiert | |
im wirklichen Krankenhaus nie etwas, keine geilen Ärzte, keine verrückten | |
Besucher, keine Liebesabenteuer, keine Überraschungen, nichts, nur | |
Vitalwerte, Suppe und Langeweile.“ | |
Wie um dies zu unterstreichen, nennt Strunk zwischendurch immer wieder die | |
bei Heidbrink gemessenen Werte („Sauerstoff 95 / Temperatur 36,7 / | |
Blutdruck 126: 80 / Puls 64“). Man begleitet ihn und seine | |
Mitpatient:innen beim vollen Klinikprogramm: Musiktherapie, | |
Fototherapie, Bibliotherapie, Bewegungstherapie, progressive | |
Muskelrelaxation und so weiter. | |
## Die Heilanstalt als Spielwiese | |
Figuren zu kreieren, die alle ihren ganz eigenen Hau haben, ist Strunks | |
Spezialgebiet. Seine in der [3][Nähe von Stettin] angesiedelte Heilanstalt | |
dient ihm da als Spielwiese. Auf der tummeln sich Figuren wie | |
Heinz-Christian („erfolgreicher Unternehmer in der Krise“ und „sportlicher | |
Mann in den besten Jahren, der sich auf Datingportalen wahrscheinlich als | |
ansehnlicher, erfolgreicher Mittfünfziger vermarkten würde“), wie der „se… | |
dreiunddreißig Jahren […] bei Opel im Einkauf tätige“ Uwe, den seine Firma | |
nun loswerden will, wie das Odd-Outsider-Couple Pia und Eddy, das in der | |
Klinik zueinander findet, wie Marcel Rinkhaus, den Heidbrink als erstes im | |
Sanatorium antrifft, als Platzhirsch ausmacht und der Objekt seiner | |
Projektionen und Paranoia wird. | |
Oder wie Zeissner, der Heidbrink mit seinen nihilistischen Tiraden | |
behelligt. Strunk gelingt die Figurenzeichnung ähnlich gut wie in vielen | |
seiner Erzählungen und Romane (zuletzt etwa „Sommer in Niendorf“, „Der | |
gelbe Elefant“). Auch die Story ist insgesamt stimmig: Pia und Eddy | |
verschwinden irgendwann, es passiert also doch mal was hinter den | |
Klinikmauern, ehe der stetig fortschreitende Verfall von eigentlich allem | |
einsetzt. Die Jahreszeiten ziehen derweil an Heidbrink vorbei, und er | |
bleibt und bleibt und bleibt im Sanatorium. | |
„Zauberberg 2“ ist angelegt als Gesellschaftsdiagnose, sonst hätte Strunk | |
keinen ehemaligen Startupper in der existenziellen Krise als Hauptfigur | |
gewählt, nicht die Therapiemethoden oder die sozialen Mechanismen in der | |
geschlossenen Gesellschaft Heilanstalt seziert. Manche Passagen | |
funktionieren auch als solche, brillant ist etwa beschrieben, wie Heidbrink | |
in der Klinik ankommt und das Soziotop gleich in Ranghöhere und Rangniedere | |
einteilt, wie sozialdarwinistisch Gruppen im Buch funktionieren. | |
## Achtsamkeit an Gruppenabenden | |
Auch bildet der Roman das Mäandern durch den Klinikalltag, das | |
Nebeneinander von Achtsamkeitsübungen, zähen Therapiegesprächen und | |
Gruppenabenden stilistisch gut ab; es ist, als sähe man Heidbrink knapp 300 | |
Seiten beim Auf-der-Stelle-Treten zu. Das unterhaltsam zu gestalten, ist | |
große Kunst. | |
Und doch ist „Zauberberg 2“ ein Gesellschaftsroman, der auf halber Strecke | |
stehen bleibt. Er tippt die großen Themen eher an, dekliniert das heutige | |
Zeitalter des Coachings und der Therapie nicht vollständig durch, schreibt | |
kein Psychogramm des Typus Start-up-Unternehmer, auch verfolgt er nicht | |
alle Figuren konsequent. | |
Strunk-Fans dürfte diese bitterböse Zauberberg-Adaption dennoch Spaß machen | |
– sofern angesichts der geballten Ladung Pessimismus und Weltverachtung, | |
die viele Figuren vor sich hertragen, von „Spaß“ die Rede sein kann. | |
3 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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