# taz.de -- Biopic über Whitney Houston im Kino: Über alle Hautfarben hinweg | |
> Regisseurin Kasi Lemmons erzählt im Film „Whitney Houston: I Wanna Dance | |
> with Somebody“ das Leben des Superstars. | |
Bild: Naomie Ackle als Whitney Houston in weißem Sweatshirt | |
Wo sitzt die Stimme? Im Kopf, im Herzen, und in den Eingeweiden, den | |
„guts“– so lernt es Whitney (Naomie Ackie) von ihrer Mutter Cissy (Tamara | |
Tunie). Sie muss ihre „guts“, die sinnbildlich für Traute stehen, früh | |
beweisen: Als Backgroundsängerin in Cissys Band tritt Whitney in Nachtclubs | |
auf und wird von Cissy regelmäßig und in klassischer | |
Eiskunstlaufmutter-Strenge trainiert. | |
Doch als die Mutter den Musikproduzenten Clive Davis (Stanley Tucci) im | |
Publikum entdeckt, täuscht sie Heiserkeit vor – und überlässt ihrer | |
begabten Tochter die Bühne. Das Match klappt: „Sie ist die größte Stimme | |
ihrer Generation“, konstatiert der kleine, fast kahle Mann angesichts von | |
Whitneys vokalen Kapriolen und bestellt sie ins Büro. Der Rest ist Legende. | |
Und mehr als Legende möchte [1][Kasi Lemmons]’ Biopic über die Popsängerin | |
Whitney Houston keinesfalls sein. „I Wanna Dance with Somebody“, produziert | |
unter anderem von Clive Davis und Whitneys Managerin und Schwägerin Pat | |
Houston, deren Rollen im Film – wenig überraschend – schmeichelhaft | |
angelegt sind, ist eine salbungsvolle, in Musik gegossene Laudatio. | |
## Kratzt kaum an der Oberfläche | |
Nach einem Drehbuch des Biopic-Experten Anthony McCarten kratzt Lemmons | |
trotz vieler authentischer Spannungsfelder rund um Whitneys Drogensucht und | |
ihre versteckte Queerness kaum an der Oberfläche des Stars. | |
Dass die Sängerin lange in einer Beziehung mit ihrer Assistentin Robyn | |
Crawford lebte und dafür von ihrem Vater (Clarke Peters) stets geächtet und | |
unter Druck gesetzt wurde, spielt vor allem am Anfang des Films eine Rolle. | |
Nach Whitneys – aus einer Laune heraus eingegangenen – Liaison mit dem | |
Musiker Bobby Brown (Ashton Sanders) verläuft das Thema jedoch im Sande: | |
Die von Nafessa Williams mit viel Elan gespielte Robyn fügt sich, wie alle | |
Figuren um Whitney, in die Entourage und schaut zu, wie Whitney im | |
Glitzerkleid mit Schulterpolstern zum Himmel singt und dabei die Arme | |
ausbreitet – weil diese Geste ein verlockendes, ikonisches Filmbild | |
verspricht. | |
Die psychologischen Hintergründe von Whitneys Suchtverhalten, das Lemmons | |
zunächst durch den obligatorischen Feier-Champagner und bald darauf durch | |
heimliche Dealer-Übergaben illustriert, streift der Film nur: Es scheint | |
der Druck zu sein, den die Sängerin mit ihrem öffentlich beobachteten und | |
kommentierten Leben und ihrem Arbeitspensum aushalten muss. | |
## Nicht zu Ende gedacht | |
Und auch wenn diese Gründe symptomatisch sind, werden sie von Lemmons nicht | |
zu Ende gedacht: Jede Andeutung eines Problems mündet in einer | |
Videoclip-artigen Gesangsszene, in der Ackie ihre beeindruckenden | |
stimmlichen Fähigkeiten unter Beweis stellen darf. (Jedenfalls zum Teil – | |
auch Whitneys unerreichte Originalstimme ist im Film zu hören.) | |
Lemmons folgt dabei stets einem ähnlichen Muster: Die lang ausgespielten | |
Songs werden meist als Resultat einer „Listening Session“ präsentiert – | |
während die Musikerin auf der Couch liegt, spielt ihr der Produzent Songs | |
von anonymen Songschreiber:innen vor. Whitney sucht aus, erforscht, | |
welchen Song sie am besten „fühlt“, und entscheidet sich dann für | |
80er-Jahre-Megahits wie „I Wanna Dance with Somebody“ oder „Didn’t We | |
Almost Have It All“ – all das Entscheidungen, die ihr Kritik von Teilen der | |
Schwarzen US-Bevölkerung einbrachte. | |
Dass sie als „Whiteney“ verballhornt wurde, erzählt der Film zwar und | |
illustriert so das Dilemma, in dem sie sich befand: Als Schwarze Sängerin | |
über alle Hautfarben hinweg erfolgreich zu sein, ist ein politisches | |
Statement. Doch ist es Selbstermächtigung, cheesy Lovesongs zu | |
interpretieren, oder ist es Anpassung an einen (damals) weiß dominierten | |
Markt? | |
## Simplifizierung der Songs | |
Ihr als Profisängerin gewiss vielschichtiges Verhältnis zur Musik stellt | |
der Film somit simpel dar. Genau wie den anscheinend selbstverständlichen | |
Patriotismus, den Lemmons als Kulminationspunkt inszeniert: Zu Whitneys | |
(übrigens vorab aufgezeichneter) [2][Interpretation des „Star Spangled | |
Banner“ beim Superbowl 1991], während des Zweiten Golfkriegs, schneidet sie | |
stolz mitsingende US-Amerikaner:innen. | |
Und dass Whitney diesen renommierten Termin im Trainingsanzug absolvierte, | |
um „sie selbst“ zu sein, wirkt angesichts der über das Stadion | |
hinwegdonnernden Jets mit ihren blauen, weißen und roten Kondensstreifen | |
nicht mehr sonderlich subversiv. Schade auch, dass ihre Arbeit als | |
Schauspielerin, unter anderem mit Kevin Costner in „Bodyguard“ mit seinem | |
ewig angehaltenen „I Will Always Love You“ eine kurze Anekdote bleibt: Man | |
hätte gern erfahren, wie Schauspielprofis mit der emotionalen Sängerin | |
umgingen. | |
Bei Biopics steht das Ende fest und ist bekannt – trotz eines | |
Interventionsversuchs des freundlichen und fürsorglichen Produzenten | |
[3][verliert sich Whitney, gebeutelt von Stress und Stimmproblemen, in | |
ihrer Drogensucht]. Der Film, der angetreten ist, um eine große, lesbische, | |
musikalische Schwarze Geschichte zu erzählen, macht seine talentierte | |
Protagonistin dennoch dabei nicht wirklich interessant. | |
23 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Biopic-Talk-to-Me/!5187107 | |
[2] /Super-Bowl-LV-in-Florida/!5747696 | |
[3] /Nachruf-auf-Whitney-Houston/!5100844 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
## TAGS | |
USA | |
Hollywood | |
Miniserie | |
Popgeschichte | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Serie über Band Sex Pistols bei Disney+: Trau dem, was du siehst | |
Die Disney-Miniserie „Pistol“ erzählt die Geschichte der revolutionären | |
Punk-Band Sex Pistols. Sie basiert auf der Autobiografie des Gründers Steve | |
Jones. | |
Erinnerungen an Künstler Heino Jaeger: Das merkwürdige Genie | |
25 Jahre nach seinem Tod erinnern Ausstellungen an den Künstler Heino | |
Jaeger. Nachfahren wie Rocko Schamoni helfen bei der Wiederentdeckung mit. | |
Nachruf auf Whitney Houston: Ein Auf und Ab über drei Oktaven | |
Mit ihren schier endlosen Tremoli sang sich Whitney Houston an die Spitzen | |
der Charts. Ihre softer Soul traf den Geschmack der 80er und frühen 90er | |
Jahre. |