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# taz.de -- Neues Album „All Ein“ Rocko Schamoni: Die Welt voller Neugier b…
> Rocko Schamoni über Musik als Nebenprodukt der Pandemie, sinkende
> Zuschauerzahlen kleiner Clubs und die Aussicht auf Revolution.
Bild: Rocko Schamoni: Album „All Ein“ ist ein Nebenprodukt der Pandemie
taz am wochenende: Herr Schamoni, vor zehn Jahren behaupteten Sie, nie mehr
Musik zu veröffentlichen. 2019 erschien dann das Album „Musik für
Jugendliche“. Lupenreiner Jazz-Soul. Und ein tatsächlicher Abschied, Sie
setzen sich mit dem Tod ihres Vaters auseinander. Nun bringen Sie mit „All
Ein“ wieder ein neues Album heraus?
Rocko Schamoni: Getreu dem Motto „Was schert mich mein Geschwätz von
gestern“ wurde mir bei „Musik für Jugendliche“ klar, dass mein Leben nic…
ohne Musik stattfinden kann. Sie steckt einfach in mir – auch wenn ich vor
ein paar Jahren dachte, keine Alben mehr veröffentlichen zu wollen. In der
Coronazeit saß ich gelangweilt herum und habe vor mich hin gebastelt. Wenn
man so will, ist das Album ein Nebenprodukt der Seuche.
Obwohl viel Abgründiges drinsteckt, wirkt die Themenpalette bunt. Die Musik
klingt zugleich ein bisschen nach Soundtrack. Hatten sie einen konkreten
Film im Kopf?
Tatsächlich will ich seit Jahren einen Soundtrack komponieren: Für einen
Film, den es nicht gibt. Ich höre wahnsinnig gern französische und
italienische Filmmusiken, vor allem aus den 1960er und 1970er Jahren. Wenn
ich die höre, habe ich Kino im Kopf; mal den Originalfilm, mal einen
eigenen. So entstand die Idee, einen Score zu machen – mit einem
Albumcover, das wie das Plakat eines Films aussieht, der aber gar nicht
existiert. Das ist „All Ein“ zwar nicht ganz geworden. Aber die Grundidee
scheint durch.
Ein Film für sich ist der Track „Romy & Rocko“: ein Hörspiel mit
collagierten Romy Schneider-Soundbites. Doch warum dichten Sie ihr Peter
Hahne als Ehemann an? Das hat sie nicht verdient.
Es geht nicht darum, ob sie ihn verdient hat. Bei mir hat sie ihn einfach
gewählt. In meinem Hörspiel ist sie ja nicht tot, sondern verschwunden: Mit
dem TV-Moderator Peter Hahne. Ich habe übrigens nichts gegen ihn. Ich kenne
ihn gar nicht persönlich.
Nun, er ist ein bekennender Evangelikaler, der über angeblichen Genderwahn
und Coronamaßnahmen schwurbelt.
Das wusste ich nicht. Aber mit einem lässigeren Typen wäre es einfach nicht
lustig. Das hätte man von Romy Schneider erwartet. Peter Hahne ist ein
Schock. Er wird das Hörspiel eines Tages hören; dann kann er sich einen
richtig schönen Tag machen. Ja, ich werde es ihm schicken.
Was fasziniert Sie an Romy Schneider?
Das, was wohl viele an ihr fasziniert: Wie sie von einer fremdbestimmten
Kinder-Kitsch-Darstellerin innerhalb von fünf Jahren zur selbstbestimmten
Weltklasse-Schauspielerin wurde. Alles, was sie in Frankreich gemacht hat,
finde ich gut. „Trio Infernal“ halte ich für ein anarchistisches
Meisterwerk. Und Michel Piccoli, mit dem sie sechs Filme gedreht hat, für
den besten Darsteller aller Zeiten. Nur einen Tag dabei zu sein, wie Romy
Schneider gearbeitet hat – dafür würde ich viel geben.
Was bringt mehr Spaß: Musik machen oder Bücher schreiben?
Musik ist für mich weitaus sinnlicher. Wenn man mit anderen Musik macht,
liegt immer amouröse Begegnung in der Luft. Die Fluide unterschiedlicher
Personen vermengen sich, durch die Töne, die sie ausstoßen. Alleine Musik
zu machen, ist eher Auto-Erotik – aber auch ganz okay. Auf jeden Fall
sinnlicher als schreiben. Manchmal ist es Meditation. [1][Bei jedem Buch
schreibe ich 80 Seiten für die Tonne und muss von vorne anfangen.] Manchmal
muss ich mich auch betrinken, um den Kopf freizukriegen. Das ist Quälerei,
klar. Aber es ist auch ein narzisstischer Akt. Man beschäftigt sich mit
seiner Sprache, versucht sie in irgendeine Form zu gießen und ist am Ende
doch irgendwie zufrieden.
Um Narzissmus geht es auch in „Ich und mein Schatten“. Das Stück, so
erklärten Sie, handelt davon, „in die eigene Depression narzisstisch
verliebt zu sein und sie nicht loslassen können“ Der Song sei durchaus in
Selbsterkenntnis entstanden. Sie haben öffentlich über Depressionen
geredet, die Sie seit 30 Jahren begleiten. Hilft es in einer akuten
Episode, sich solcher Muster zu vergegenwärtigen?
Ich versuche, meine Depression an den Pranger zu stellen – sie
bloßzustellen, auf dem inneren Marktplatz und in der Öffentlichkeit: als
Schimäre, als Kropf, als Parasit. Dann bin ich Herr und sie ist nicht meine
Herrin. Ich will die Depression verlachen.
Und das funktioniert?
Ich haben schon mit vielen Leuten über Depressionen geredet. Manchmal sind
sie so mächtig, dass sie Herrin über ihre:n Besitzer:in wird. Ich will
niemandes Depression in ihrer Ernsthaftigkeit schmälern. Ich kann nur über
mich reden. Vor vielen Jahren, als das anfing, konnte ich nicht damit
umgehen. Ich lag auf dem Rücken und habe Tabletten eingeschmissen. Das war
nicht die Lösung. Vielleicht kann ich Leute inspirieren, mit ihrer
Depressionen konstruktiv, kollegial, vielleicht auch ironisch oder sonst
wie kreativ umzugehen – und sich zumindest zum Chef im Game zu machen.
Vor einigen Wochen haben Sie im Rolling Stone unter dem Titel „Verschwinden
der Merkwürdigen“ einen Appell veröffentlicht, weil vielerorts nach
Aufheben der Pandemie-Beschränkungen das Publikum den Konzerten fernbleibt.
Vor allem bei kleinen Veranstaltungen sind bis zu drei Viertel der
Besucher:innen weggebrochen. Warum sind die Leute eher bereit, sich auf
einem Großkonzert zu drängen, als mit 50 oder 100 Menschen in einen kleinen
Club zu gehen?
Darauf gibt es nach vielen Gesprächen mit Veranstaltern verschiedene
Antworten. Die über 35-Jährigen bleiben eher weg als die Jüngeren;
Tanzveranstaltungen laufen besser als ruhigere Formate. Außerdem geht es
offenbar um Wertigkeit des Events: Ein Konzert von den Toten Hosen hat eine
vermeintliche Wertigkeit. Wenn ich eine Karte für 60 oder 100 Euro kaufe,
habe ich etwas in der Hand. Wer dagegen auf eine kleine Lesung geht, hat
nichts, wovon er oder sie in zwei Jahren erzählen kann. Der dritte Grund
ist, dass die Leute weniger Geld haben, wegen Corona, Krieg, Inflation.
Aber man könnte sich zehnmal ein kleines Konzert leisten statt einmal
Hosen.
Die Masse scheint das anders zu sehen. [2][Die investieren lieber in etwas
Vernünftiges.]
Ihre anstehende Tour ist hoffentlich nicht gefährdet?
Ehrlich gesagt steht im Raum, einige Termine abzusagen. Vor allem im Süden
läuft der Vorverkauf nicht gut.
Bei der Frage, was Kultur kann, denkt man auch gleich an ihren Song „Only
Beer can stop us now“: Ein lustiger Gassenhauer, aber auch ein bitterer
Abgesang auf das emanzipatorische Potenzial von Subkulturen. Rückblickend
muss man doch feststellen, dass so manche progressive Blase vor allem sich
selbst gefeiert hat – und eher wenig bewirkt hat.
Es war die Aussicht auf eine Revolte, die aber nicht mehr stattfinden wird.
Das Kokettieren damit, dass nur das Bier uns noch aufhalten kann – sonst
wären wir längst losgebrochen –, sagt ja schon, dass dieses Denken
romantische Träumerei ist. Nicht, dass der Aufstand vielleicht doch noch
kommt. Aber nicht aus den Gründen, aus dem heraus wir ihn anzetteln
wollten. Neben dem autokratischen Rechtsdrall auf der ganzen Welt gibt es
jedoch auch ein Wiedererstarken einer Gegenwehr. Was sich da formiert, ist
nicht uninteressant. Ich beobachte die Welt weiterhin voller Neugier.
17 Sep 2022
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## AUTOREN
Stephanie Grimm
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