# taz.de -- Deutsches Massaker in Griechenland: „Das geht einfach nicht weg“ | |
> Über 1.100 Einwohner von Kalavryta auf dem Peloponnes wurden im Dezember | |
> 1943 von der Wehrmacht ermordet. Dimopoulos war damals 13 Jahre alt. | |
Bild: Gedenken am Ort des Massakers: Rose auf einem Holzkreuz in Kalavryta. | |
KALAVRYTA taz | „Ich werde nie vergessen können, was damals im Dezember | |
1943 in meinem Dorf geschehen ist“, sagt Giorgos Dimopoulos. Er steht auf | |
den Stufen zum Haupteingang des Holocaustmuseums in Kalavryta – einem | |
Bergdorf mit 2.500 Einwohner im Nordpeloponnes. Der heute 85-jährige Mann | |
zeigt auf eine der Stufen. „Hier hat mich der Wehrmachtssoldat | |
hingeschmissen“, erzählt Dimopoulos weiter. Damals, als die deutschen | |
Soldaten die Männer von den Frauen trennten. | |
Dimopoulos war gerade 13 Jahre alt und der Soldat konnte sich nicht | |
entscheiden, ob er ihn zu den Männern oder zu den Frauen mit den Kindern | |
einteilen sollte. Letztendlich schmiss er den Jungen auf die Stufen und er | |
fiel – zu seinem Glück – in Richtung seiner Mutter. Die Männer wurden auf | |
den nahe gelegenen Kapi-Hügel gebracht und erschossen. Frauen und Kinder | |
wurden in der Dorfschule zusammengepfercht. Über 1.100 Einwohner kamen an | |
diesem graukalten 13. Dezember im Jahr 1943 ums Leben. Es war eines der | |
grausamsten Massaker der Nazis in Griechenland. | |
Am Montag trifft Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras auf | |
Einladung von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum ersten offiziellen Besuch | |
in Berlin ein. Die Beziehungen sind stark strapaziert. So fordert Tsipras | |
von Deutschland Entschädigung für die Verbrechen der Nazis – ein Dorn im | |
Auge der deutschen Regierung. | |
Tsipras beharrt auf der Rückzahlung eines Zwangskredits, der 1942 von den | |
deutschen Besatzungsbehörden erhoben wurde. Die Bundesregierung will nicht | |
darüber verhandeln und erklärt beide Forderungen für erledigt. Für die | |
Opfer der Nazi-Verbrechen ist das ein erneuter Schlag ins Gesicht. | |
## Blutbefleckte Geldscheine als Andenken | |
Der alte Mann stockt nicht, wenn er spricht. Seine Worte sind klar. „Meine | |
Geschwister und ich schauten in der Schule fragend und voller Angst unsere | |
Mutter an. Doch diese senkte den Kopf. Sie war genauso hilflos wie wir“, so | |
Dimopoulos. Vor der Schule standen die deutschen Soldaten, tranken Wein und | |
lachten. Die Schule ist heute ein Museum, in dem Erinnerungsstücke gezeigt | |
werden und die Geschichte einzelner Opfer erzählt wird. | |
Dimopoulos zeigt auf zwei Geldscheine, die in einer Glasvitrine verwahrt | |
sind. Seine Finger malen auf der Trennscheibe die Umrandung der Scheine | |
nach. „Die braunen Flecken dort an den Seiten, das ist das Blut meines | |
Vaters“, sagt Dimopoulos. Er habe bei sich zu Hause noch mehr blutbefleckte | |
Scheine, die er als Andenken an ihn hüte. | |
Auch sein Onkel wurde damals hingerichtet. Dimopoulos geht einen Raum | |
weiter und zeigt auf die Fotografien von Onkel und Vater, die kollagenartig | |
mit den Fotos weiterer Opfer auf einer Wand zusammengefasst sind. Beim Wort | |
Deutschland zuckt der Mann zusammen, scheint sich dann wieder zu fangen. | |
Wenn er Deutsche sprechen höre, sei das für ihn auch heute noch mit | |
Schrecken verbunden. „Das geht einfach nicht weg“, sagt er leise. Er höre | |
in dem Klang der Sprache immer noch die Worte „raus“, „Papiere“, „los… | |
– und „kaputt“. Letzteres hörte er oft. Das Wort sagten die | |
Wehrmachtssoldaten, wenn sie zerstörten, Häuser niederbrannten und Menschen | |
erschossen. | |
Die Soldaten brannten fast ganz Kalavryta nieder. Auch die Schule, in der | |
er mit seiner Mutter saß, fing damals Feuer. Doch die Frauen und Kinder | |
stürmten hinaus. Die Soldaten hinderten sie nicht. „Wir fanden dann meinen | |
Vater. Seine Augen und sein Gehirn quollen aus seinem Kopf“ – Bilder, die | |
ihn immer noch aus dem Schlaf reißen. | |
Das Leben zuvor in Kalavryta sei wunderschön gewesen. Theater, Tanzschulen, | |
viele Bildungsstätten habe es hier gegeben. Die wachen Augen des alten | |
Mannes leuchten kurz auf. „Kalavryta wurde auch das kleine Paris dieser | |
Gegend hier genannt.“ Das war nach der Besatzung der Deutschen vorbei. Erst | |
1944, nach über drei Jahren, sind die Deutschen aus Griechenland abgezogen. | |
Es hat rund 180.000 Zivilopfer gegeben. Über 80.000 Männer wurden durch die | |
sogenannte Partisanenbekämpfung hingerichtet. In den ersten | |
Nachkriegsjahren war Kalavryta in Griechenland als Ort bekannt, in dem fast | |
ausschließlich Frauen lebten, da ihre Männer getötet wurden. Deutschland | |
hat an Griechenland, nachdem die Bundesrepublik Deutschland 1960 ein | |
Entschädigungsabkommen mit Griechenland geschlossen hatte, bisher 115 | |
Millionen D-Mark gezahlt. | |
Wir haben davon nichts bekommen, so berichtet Dimopoulos. Es ginge nicht | |
ums Geld an sich – das könne die Gräueltaten eh nicht begleichen. Es ginge | |
darum, dass die Mütter durch die vollkommene Zerstörung ihrer Lebenswelt | |
auch in der Nachkriegszeit weiter litten. Diese Frauen und ihre Kinder, die | |
durch die Nazis alles verloren haben, hätten durch Entschädigungszahlungen | |
leichter wieder auf die Füße kommen können. Er hoffe, dass wenigstens die | |
Kinder von damals, die heute über 80 Jahre alt sind, einen Ausgleich noch | |
erleben werden. | |
Viel Zeit bleibt allerdings nicht mehr. | |
24 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Theodora Mavropoulos | |
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