# taz.de -- Gratisunterricht in Athen: Musikschule der Solidarität | |
> Kinder sollen Zugang zur Kultur haben. Im Athener „Konservatorium | |
> Kinoniko Odio“ geben Musiklehrer unentgeltlich Unterricht. | |
Bild: Es muss nicht immer eine historische griechische Laute sein. Manch einem … | |
ATHEN taz | Um die nicht mehr ausreichenden staatlichen Hilfen einigermaßen | |
zu kompensieren, greift in Griechenland mittlerweile ein Netz der | |
Solidarität. Ersetzen kann es den in sich zusammengebrochenen Sozialstaat | |
nicht – aber es hilft vielen Menschen, sich mit dem Nötigsten zu versorgen. | |
Suppenküchen, Krankenversorgung, Nachhilfeunterricht – aber auch immer mehr | |
Kultur wird kostenlos vermittelt. | |
Denn daran wird, wenn man sich nicht mal mehr das Nötigste leisten kann, | |
zuerst gespart. Immer mehr Kinder wurden von ihren Musikstunden abgemeldet. | |
Dagegen macht sich nun das Konservatorium Kinoniko Odio stark – das auf | |
Solidaritätsbasis funktioniert. Neben Musikunterricht wird hier auch | |
Schauspielunterricht gegeben. | |
Das Odio befindet sich in einem neoklassizistischen einstöckigen Gebäude | |
und liegt etwas abseits des Athener Stadtzentrums. In den beiden Räumen im | |
oberen Stockwerk, die durch eine weich geschwungene steinerne Treppe zu | |
erreichen sind, wird Gitarre, Geige, Violine und Blockflöte unterrichtet. | |
Die beiden Klavierräume im Parterre sind durch einen Büro- und Warteraum | |
mit Sitzgelegenheiten voneinander getrennt. Von überall strömt einem Musik | |
entgegen. | |
Im Gitarrenzimmer gibt Fotini Evangelopoulou ihrem Schüler Janni leise | |
Anweisungen, sie lobt ihn hier und da. Der 8-Jährige zupft konzentriert die | |
Saiten seines Instruments. Seit drei Monaten bekommt er einmal die Woche | |
Unterricht im Kinoniko Odio. Evangelopoulou ist eine der 35 | |
MusiklehrerInnen, die hier unentgeltlich unterrichten. 70 Kinder kommen | |
regelmäßig ins Konservatorium. | |
Ihr Geld verdient Evangelopoulou als Musiklehrerin an einer staatlichen | |
Schule. Der Gewinn am Konservatorium der Solidarität sei ein anderer, sagt | |
sie: „Das habe ich so noch nie erlebt. Es gibt mir eine tiefe | |
Zufriedenheit, die befriedigender ist als Geld. Weil es wichtig ist, was | |
ich hier mache.“ Ohne das Kinoniko Odio hätte der talentierte Junge keine | |
Chance, ein Instrument zu lernen. | |
## Von überall kommt Musik | |
Doch für außerschulische Bildung brauchte es bisher Geld – und das ist bei | |
zahlreichen Familien in Griechenland mittlerweile mehr als knapp. Vivi | |
Karavina sitzt in einem der Sessel im Parterre und wartet, bis die | |
Gitarrenstunde von Sohn Janni beendet ist. Auch ihre Tochter bekommt hier | |
am Konservatorium Violinunterricht. Karavina lächelt leise. „Bis vor ein | |
paar Monaten nahm sie an einer normalen Musikschule Unterricht“, berichtet | |
sie. „Janni sollte eigentlich auch bald angemeldet werden.“ Die Frau hält | |
kurz inne. „Dann sind mein Mann und ich plötzlich arbeitslos geworden. Der | |
Musikunterricht war einfach nicht mehr bezahlbar.“ | |
Von dem Konservatorium habe sie durch eine Freundin erfahren und ihre | |
Kinder gleich angemeldet. Es könne doch nicht sein, dass ein Kind nicht die | |
Möglichkeit bekommt, Musikunterricht zu nehmen. „Das gehört doch zur | |
Bildung dazu, die außerhalb der Schule stattfindet. Genauso wie auch das | |
Lesen. Aber viele hier können sich nicht mal mehr aktuelle Bücher leisten.“ | |
Einmal im Monat treffen sich die OrganisatorInnen im Konservatorium, um den | |
nächsten Monat zu planen. Stathis Drogosis, Singer-Songwriter und Gründer | |
des Konservatoriums, ist bereits eingetroffen. „Ich hatte einen Schüler, | |
der den Unterricht bei mir aufgeben musste, weil beide seiner Eltern ihren | |
Job verloren hatten. Der Junge spielte echt gut, aber die finanziellen | |
Mittel fehlten“, berichtet Drogosis, während er den Ablaufplan der nächsten | |
Wochen im Computer abruft. Und so habe er damals vor gut drei Jahren | |
überlegt, was man tun könnte. „Ich twitterte die Idee, dass man bedürftigen | |
Schülern kostenlosen Musikunterricht geben könnte“, erzählt er weiter. | |
Die Idee verbreitete sich rasend schnell via Twitter, Facebook und Mail. | |
Und so kamen zu einer ersten Konferenz zwölf MusiklehrerInnen, bei der | |
nächsten Sitzung waren es schon 30. Der Unterricht fand zunächst in | |
privaten Räumen statt. Im Jahr 2012 wurde dann das Konservatorium offiziell | |
gegründet. Nur wer von den TeilnehmerInnen es sich leisten kann, zahlt | |
einen Jahresbeitrag von zehn Euro. Davon und von anderen Spenden werden | |
Strom-, Wasser- und Telefonkosten bezahlt. | |
## Vorbild Krankenhaus | |
Immer wieder treffen auch Sachspenden hier ein. Die Freude ist am größten, | |
wenn es sich dabei um Musikinstrumente handelt. Das Haus wurde der | |
Initiative von der Eigentümerin für vorerst drei Jahre umsonst überlassen. | |
Viele der Eltern, deren Kinder hierher kommen, helfen tatkräftig mit, die | |
Räumlichkeiten in Schuss zu halten, indem sie aufräumen oder putzen. | |
Den Namen „Konservatorium der Solidarität“ hat Drogosis in Anlehnung an die | |
zahlreichen [1][Kliniken der Solidarität] gewählt, die sich in Zeiten der | |
Krise in Griechenland immer stärker etabliert haben. Bedürftige werden dort | |
kostenlos untersucht, bekommen Medikamente, und auch Psychotherapien werden | |
angeboten. „Ich bin irgendwie stolz darauf, in Griechenland zu leben. Das | |
Staatssystem ist zwar eingekracht, aber das Volk schafft es, sich selbst | |
etwas aufzubauen“, so Drogosis. | |
15 Mar 2015 | |
## LINKS | |
[1] /!131973/ | |
## AUTOREN | |
Theodora Mavropoulos | |
## TAGS | |
Reparationszahlung | |
Yanis Varoufakis | |
Griechenland | |
Gewerkschaft | |
Grundversorgung | |
Griechenland | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Deutsches Massaker in Griechenland: „Das geht einfach nicht weg“ | |
Über 1.100 Einwohner von Kalavryta auf dem Peloponnes wurden im Dezember | |
1943 von der Wehrmacht ermordet. Dimopoulos war damals 13 Jahre alt. | |
Deutschland-Besuch angekündigt: Tsipras' Fahrt in die Höhle der Löwin | |
Es gilt, die Wogen zwischen Berlin und Athen zu glätten. Schäuble | |
allerdings wettert kräftig weiter. Und Varoufakis veröffentlicht den | |
kompletten „Stinkefinger“-Film. | |
Schuldenstreit in Griechenland: Varoufakis kritisiert Zentralbank | |
Der griechische Finanzminister beschwert sich über die EZB. Beim Thema | |
Reparationen bekommt Athen Rückendeckung von der Linkspartei. | |
Griechenlands Staatssender: Radio Tsipras | |
Der geschlossene Staatssender ERT soll wiederbelebt werden. Am Montag wird | |
dem Parlament ein Gesetzentwurf dazu vorgelegt. | |
Griechisches Anti-Krisen-Gesetz: Lebensmittel, Strom und Miete | |
25 Prozent sind arbeitslos, jeder zweite Jugendliche hat keinen Job. | |
Griechenlands Regierung will mit einem Gesetz die Grundversorgung der | |
Bevölkerung sichern. | |
Griechische Agrarprodukte: Die Kartoffelrebellen | |
Die Leute kaufen nur in kleinen Mengen ein, sagt Käseproduzent Matsorakis. | |
„Es gibt einfach kein Geld.“ Er vermarktet seinen Käse lieber direkt. |