# taz.de -- Griechische Agrarprodukte: Die Kartoffelrebellen | |
> Die Leute kaufen nur in kleinen Mengen ein, sagt Käseproduzent | |
> Matsorakis. „Es gibt einfach kein Geld.“ Er vermarktet seinen Käse lieber | |
> direkt. | |
Bild: Lokale Produktion und Exporte würden Griechenland helfen: Kartoffeln. | |
Der Lastwagen von Thanasis Apostolopoulos ist fast leer. Ein paar Säcke | |
Hülsenfrüchte und Reis stehen noch da. Es ist kurz nach 12 Uhr, der | |
Parkplatz im Athener Stadtteil Marousi hat sich für einen Tag in einen | |
dieser Märkte verwandelt, die ohne Zwischenhändler auskommen und von der | |
Gemeinde organisiert werden. Der kräftige, weißhaarige Mann bereitet sich | |
eine kleine Mahlzeit vor. An dem Stand vor seinem Lastwagen bedienen ein | |
paar Frauen Kunden, die sich die Ware und die Preise anschauen. Zwei Kilo | |
Reis für drei Euro. Das ist nur die Hälfte dessen, was man in einem | |
Supermarkt zahlen würde. | |
Thanasis Apostolopoulos, Landwirt im nordgriechischen Florina, ist bei der | |
Bewegung ohne Zwischenhändler – bekannt auch als Kartoffelbewegung – von | |
Anfang an dabei. Ihren Namen bekam die Bewegung, als vor drei Jahren in | |
Katerini die Kartoffelproduzenten beschlossen, ihre Ware direkt an die | |
Konsumenten zu verkaufen, weil sie sich über die demütigenden Preise | |
ärgerten, die ihnen von den Großhändlern für ihr Produkt geboten wurden. | |
Auch auf den normalen Märkten sind es oft die Großhändler, die den Verkauf | |
regeln – die Bauern haben das Nachsehen, der Verbraucher zahlt entsprechend | |
drauf. | |
Das Geschäft läuft heute gut. „Zehn Tonnen Ware haben wir verkauft und rund | |
15.000 Euro eingenommen. Das erzielt man heutzutage nicht so leicht“, sagt | |
Apostolopoulos, während er an einem Sandwich kaut. Die Kartoffelbewegung | |
war die klügste Entscheidung, die die griechischen Produzenten in Zeiten | |
der Krise getroffen haben, glaubt er. „Die Produzenten bekommen das Geld | |
gleich in die Hand. Wenn sie an ein großes Unternehmen verkauft hätten, | |
würden sie ihr Geld erst nach drei Monaten oder noch später bekommen.“ In | |
der Vergangenheit hat der griechische Staat versucht, die Bewegung zu | |
verbieten, da es noch keinen Rechtsrahmen für solche Märkte gibt. | |
## Was will Syriza? | |
Die neue linksgerichtete Regierung hat vor, dies zu ändern. Sie will die | |
Kooperativen, aber auch die Direktvermarktung stärken. Sie wird diese | |
Initiative unterstützen, da ist sich Thanasis Apostolopoulos sicher. Es | |
seien Mitglieder der Syriza-Partei gewesen, die in mehreren Städten | |
Aktionen ohne Zwischenhändler organisiert hätten. „Sie kennen sich aus und | |
haben Mitgefühl mit den sozial Schwächeren.“ | |
Ein paar Meter weiter kostet ein Rentnerpaar Honig an einem kleinen Stand. | |
Durch die Sparpolitik ist ihre Rente erheblich geschrumpft. Dazu müssen sie | |
noch eine arbeitslose Tochter mit versorgen. „Wir müssen die Produzenten | |
unterstützen. Sie werden diejenigen sein, die uns Griechen am Ende unter | |
die Arme greifen, wenn die Wirtschaft zusammenbricht“, sagt der Rentner. | |
Angeliki, eine junge Mutter, schiebt neugierig den Kinderwagen neben den | |
Honigstand. | |
Sie ist zufällig bei einem Spaziergang mit ihrem Mann auf dem Markt | |
gelandet. Das Paar sieht wohlhabend aus. Der Mann arbeitet in einer | |
privaten Exportfirma. Sein Lohn wurde nicht reduziert, wie es bei anderen | |
Angestellten in Griechenland der Fall ist. Im Gegenteil: Sein Gehalt wurde | |
sogar erhöht. Trotzdem leidet die junge Familie unter den hohen Steuern, | |
als Folge der harten Sparpolitik. | |
## Acht Stunden Fahrerei | |
Lokale Produktion und Exporte würden Griechenland helfen, wieder auf die | |
Beine zu kommen, sagt der junge Mann mit Namen Dimitris. Obwohl er die | |
Regierung von Ministerpräsident Tsipras nicht gewählt hat, glaubt er, dass | |
sie die Primärproduktion fördern wird, statt langfristige und schwierige | |
Projekte wie Erdgas- und Ölförderung in die Wege zu leiten, wie es die | |
vorige Regierung getan hat. | |
Theodora Vasilopoulou, eine ältere mollige Frau, fängt an, Kisten | |
wegzuräumen, mit denen sie hausgemachte Marmelade und andere Produkte | |
transportiert hat. Sie ist aus dem Ort Monemvasia im Peloponnes gekommen, | |
um ihrer Tochter beim Verkauf zu helfen. Vier Stunden hin, vier Stunden | |
zurück. Dazu noch 100 Euro Benzinkosten. Trotzdem lohnt es sich, zu kommen, | |
sagt sie, auch wenn der Gewinn jetzt geringer ausfällt als im Vorjahr. Es | |
kommen einfach weniger Kunden. Ob sie deswegen ihre Preise erhöhen müssen? | |
Nein, sagt Theodora Vasilopoulou, daran dächten sie nicht. Die Produkte, | |
die ihre Familie verkauft, seien eine Art Luxus für die Menschen hier. „Sie | |
kaufen erst das Wichtigste, und am Ende – falls Geld übrig bleibt – kaufen | |
sie noch etwas Süßes bei uns ein!“ | |
Am Käsestand gleich gegenüber versucht Jannis Mastorakis die Kunden mit | |
kleinen Angeboten zu locken. Er verkauft das erste Mal auf diesem Markt und | |
sieht gestresst aus. Eine Kundin fragt nach dem Preis eines Käsestücks. Im | |
Minutentakt steckt er den Käse in eine Plastiktüte, ohne die Zusage der | |
Kundin abzuwarten. Als Geschenk bekommt sie einen kleinen Joghurt aus | |
Schafsmilch. Die Menschen kaufen nur in kleinen Mengen ein, beschwert er | |
sich. „Sie geben nicht mehr als 10 Euro aus. Es gibt einfach kein Geld. Das | |
erleben wir hautnah.“ | |
Seit zweieinhalb Jahren reist der Käseproduzent aus Kreta immer wieder auf | |
Märkte in der griechischen Hauptstadt, um seine Produkte direkt an die | |
Konsumenten zu verkaufen. Diesen Sonntag würde er auch lieber mit seiner | |
Familie gemütlich vor dem Fernseher sitzen. Gestern Abend musste er wieder | |
alles einpacken und zusammen mit seinen Angestellten die Fähre nach Piräus | |
nehmen, um in der Frühe seinen Stand aufzubauen. | |
## Wenig Gewinn | |
Vor fünf Jahren lief das Geschäft gut. Mastorakis lieferte damals seine | |
Ware an 100 Verkaufsstellen in ganz Griechenland. Heute vertreibt er ihn | |
zwar über 600 Stellen, doch der Gewinn ist der gleiche geblieben. In seinem | |
Lager auf Kreta gibt es noch viel Käse, der seit mehr als zwei Jahren im | |
Kühlraum lagert, weil die Menschen sich keinen Käse leisten können. „Auf | |
diesem Markt machen wir keinen großen Gewinn“, sagt Mastorakis. „Unser Ziel | |
ist es, die Ware verkaufen zu können, zu niedrigen Preisen, damit wir – | |
aber auch die Konsumenten – etwas davon haben. Was sollten wir sonst | |
machen? Den Käse wegschmeißen?“ | |
Es ist kurz vor 15 Uhr. Der Markt geht zu Ende. Mastorakis fängt an, die | |
restliche Ware in den weißen Transportwagen seiner Firma zu verfrachten. | |
Obwohl er mit seinen Mitarbeitern scherzt, macht er keinen zufriedenen | |
Eindruck. Nicht viel Gewinn, aber auch kein Verlust, sagt er. Außerdem war | |
es das erste Mal hier in Marousi, vielleicht läuft es beim nächsten Mal | |
besser. Wenn er überhaupt an diesem Markt wieder teilnehmen kann. | |
Dies wird die zuständige Stelle im Rathaus von Marousi entscheiden. Es geht | |
um die Qualität, die Preise und die Standardisierung der Produkte. Der | |
Mann, der dies mitentscheiden wird, ist Pantelis Tsitsimpasis, 61 Jahre | |
alt, er leitet seit 2007 das Büro der Corporate Social Responsibility im | |
Rathaus. Obwohl Marousi ein wohlhabendes Viertel ist, hat es sich während | |
der Krise verändert, betont Tsitsimpasis, der von Stand zu Stand schlendert | |
und sich mit Kunden und Produzenten unterhält. Gab es vor sechs Jahren etwa | |
70 bis 80 mittellose Familien, hat sich ihre Anzahl auf 500 erhöht. | |
Der Bedarf an billigen Lebensmitteln wird immer größer. Auf diesem Markt | |
kaufen rund 3.500 bis 4.000 Menschen ein. Es geht um Familien, also | |
insgesamt um rund 14.000 Personen, die hier versorgt werden. Mehrere Leute | |
fragten den Rathausangestellten heute ständig, ob es möglich sei, den | |
Direktverkauf jeden Monat zu organisieren. Doch dies würde unter anderem | |
den lokalen Lebensmittelgeschäften schaden, glaubt Tsitsimpasis. Ein | |
Gleichgewicht sei nötig. Aus diesem Grund findet der Markt in Marousi | |
bisher nur alle zwei Monate statt. | |
## Was ist mit der Qualität? | |
Mittlerweile gibt es nicht nur immer mehr Konsumenten, die sich solche | |
Marktaktionen wünschen, sondern auch immer mehr Produzenten, die daran | |
teilnehmen möchten. In Marousi sind es heute 45 Produzenten aus ganz | |
Griechenland, die 120 verschiedene Produkte vertreiben: Reis, Mehl, | |
Wintergemüse, Käseprodukte, Olivenöl, Honig. Allein bei den | |
Honigproduzenten gebe es eine Warteliste mit 23 Imkern, sagt Tsitsimpasis. | |
Eine Qualitätskommission entscheidet, ob und wann das Produkt verkauft | |
wird, erklärt er einem Imker, der schüchtern nach Informationen fragt. | |
Zurzeit hat der Verwaltungsangestellte eine Liste mit über 300 Produzenten, | |
die darauf warten, ihre Produkte verkaufen zu dürfen. Manchmal müssen sie | |
bis zu sechs Monaten auf eine Erlaubnis warten. | |
Trotzdem breitet sich die Direktvermarktung in Athen und anderen | |
Großstädten rasant aus. Die lokalen Behörden organisieren sich, um ihren | |
Bürgern zu helfen, auch in den wohlhabenden Gegenden im Norden Athens, wo | |
vor ein paar Jahren solche Aktionen undenkbar gewesen wären. Gleichzeitig | |
organisieren Solidaritätsvereine und Aktivisten in ganz Griechenland | |
ähnliche Märkte. Denn oft wurden ihre Initiativen durch die lokalen | |
Behörden verhindert, wie das vor zwei Jahren auch in Marousi noch der Fall | |
war. Der Bürgermeister hatte der Solidaritätsgruppe Allileggioi Dromoi | |
(deutsch: Solidarische Wege) keine Genehmigung erteilt – unter Berufung auf | |
den Schutz des kommunalen Eigentums und der öffentlichen Gesundheit. Der | |
Markt fand dann trotzdem statt – an einem nahe gelegenen Ort. Aktivisten | |
klagen, dass bei den kommunal organisierten Märkten auch Großhändler | |
teilnehmen. Auch sie versuchen, die Qualität der Produkte durch ständige | |
Qualitätskontrollen zu sichern. | |
Thanasis Apostolopoulos steigt in seinen Lkw ein und macht sich auf den | |
Heimweg. Einen Teil seiner Ware hat er der Gemeinde für mittellose Familien | |
spendiert. Er träumt davon, irgendwann auch in einer anderen europäischen | |
Hauptstadt seine Hülsenfrüchte verkaufen zu können, bei einer ähnlichen | |
Aktion. Erst mal solle man so viele lokale Behörden wie möglich überzeugen, | |
bei der Bewegung mitzumachen. Denn noch fürchten viele Bürgermeister, dass | |
sie den lokalen Geschäften schaden, die ihre potenziellen Wähler sind, sagt | |
er wütend. „Sie müssen kapieren, dass diejenigen, die unter der Krise | |
leiden, nicht die Politiker sind, sondern die Bürger, die keinen Strom, | |
kein Essen haben, nichts zum Überleben!“ | |
3 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Chrissie Wilkens | |
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