| # taz.de -- Die Wahrheit: Schäubles Exit | |
| > Griechenland, Griechenland, Griechenland! Der Bundesfinanzminister hat | |
| > endgültig genug von allem und plant seine ganz persönliche | |
| > Rückrollaktion. | |
| Bild: Denkt über den Schexit nach: Finanzminister Wolfgang Schäuble. | |
| Müde blickt Wolfgang Schäuble im Schein der Schreibtischlampe auf die | |
| dicken Leitz-Ordner, die sich links und rechts neben ihm auftürmen, | |
| Leitz-Ordner voll mit Arbeit. Was ihm früher ein wohliges Kribbeln im | |
| Nacken bereitet hat, liegt ihm nun wie Blei auf dem Gemüt. Bleiordner | |
| voller Bleizahlen. „Bleitz-Ordner“, witzelt er, und für einen kurzen Moment | |
| bessert sich seine Laune leicht. | |
| Aber es nützt alles nichts, die Situation ist zu verfahren, um lange | |
| untrüben Gedanken frönen zu können. Das Ding, Griechenland, ist nicht mehr | |
| zu retten! Und je früher man den Griechen per Grexit den Euro wegnimmt, | |
| desto eher kann man den verbliebenen Kuchen per Schuldenschnitt unter den | |
| Gläubigern aufteilten, die Reißleine am Rettungsschirm ziehen … Müde | |
| verheddert sich Schäuble in den Sprachbildern, er ist eben Bürokrat und | |
| kein Dichter. | |
| Das jedenfalls ist nun also der Lohn für sein jahrelanges Ringen um die | |
| Währungsunion, ungezählte nächtliche Verhandlungsrunden mit griechischen | |
| Betonköpfen, die Schmähungen der griechischen Presse, die er hat ertragen | |
| müssen. Und nun sieht alles danach aus, als würde die neue Regierung in | |
| Athen noch einmal für kurze Zeit die Kurve kriegen und dann endgültig | |
| abschmieren; schnell noch einmal frische Kredite erbeuten, nur um das Geld | |
| dann für irgendwelche sozialen Wohltaten aus dem Fenster zu werfen. Diese | |
| verdammten Kommunisten! Wütend knallt Schäuble seinen geliebten alten | |
| Rechenschieber auf den Tisch. | |
| Gewiss, er hat ihnen schnell klargemacht, wer hier in Europa das Sagen hat, | |
| dass man sich in der Finanzbürokratie eine politische Meinung allenfalls | |
| nach Feierabend leisten kann. Dennoch wurmt ihn der Gedanke, dass die | |
| Griechen wohl nur aus einer akuten Notlage heraus und ohne rechte Freude | |
| ihre Zustimmung zu neuerlichen Sparreformen gegeben haben, die ihm, | |
| Schäuble, ein Herzensanliegen sind. Auf diese Weise, das weiß er, würden | |
| die Griechen ihre Misere nie beenden, wenn ihnen das Sparen bloßer Zwang | |
| und nicht innere Notwendigkeit ist. Wie Kinder benehmen sie sich, die das | |
| mitgegebene Geld statt für benötigte Schulbücher für Süßigkeiten ausgeben | |
| und dann ihre Schulden mehr schlecht als recht beim Rasenmähen oder | |
| Geschirrspülen abarbeiten. | |
| Er ist schon einer, dieser Tsipras, ein rechter Lausbub, aber ganz und gar | |
| ungeeignet für öffentliche Ämter. Und nun muss er, Schäuble, sich mit | |
| diesem ungezogenen Tsipras und seinen rotzbengeligen Ministern | |
| herumschlagen, nur weil die trotzigen Griechen sein, Schäubles, Wirken | |
| nicht einmal im Ansatz begreifen. Es ist alles zum Haareausraufen! | |
| Aber es hat ja keinen Sinn, irgendwer muss die Arbeit schließlich machen. | |
| Neben dem griechischen wird er irgendwann auch noch den deutschen Haushalt | |
| machen müssen. Und den eigenen. Denn er ist ja nicht nur Wolfgang Schäuble, | |
| Bundesminister der Finanzen, sondern auch Privatmann, der sich nicht nur | |
| für die Tonnen von Akten in seinem Dienstbüro interessiert, sondern auch | |
| für die bei sich zu Hause. Drei Kisten mit Papierkram warten schon seit | |
| geraumer Zeit in seiner Wohnung auf ihn, längst hätte er zum Beispiel den | |
| Stromanbieter wechseln müssen. Doch vor lauter Griechenfürsorge und | |
| Steuerberechnung bleibt ihm einfach kein Raum für persönliche Vergnügungen; | |
| er möchte gar nicht wissen, wie viel Cent ihm da monatlich durch die Lappen | |
| gehen. | |
| Langsam wäre es an der Zeit, dem Regierungsgeschäft den Rücken zu kehren | |
| und sich einmal um sich selbst … Erledigt rollt Schäuble zum Fenster und | |
| lässt seinen Blick über das nächtlich erleuchtete Berlin schweifen. Diese | |
| Scheißstadt. Eine Art kommunales Griechenland, bloß dass man Berlin eben | |
| nicht aus irgendeiner Währungsunion werfen kann. | |
| Er muss hier weg, das ist klar. Und die Gelegenheit ist günstig: Niemand | |
| wird Verdacht schöpfen, wenn er nun als dienstältester Parlamentarier die | |
| grauen Segel streicht. Da kann sich dann sein Nachfolger schön blamieren, | |
| wenn Hellas endgültig absäuft: „Griechenland unter“ sozusagen. | |
| Schlaff schmunzelt Schäuble. Weniger über sein Wortspiel als über die | |
| dummen Gesichter in der Regierung, wenn es so weit ist mit der Pleite, | |
| während er, Schäuble, zu diesem Zeitpunkt längst mit einem leckeren | |
| Kaltgetränk, die Sonne im Gesicht, weit weg von Berlin in Offenburg seine | |
| Privatakten durchackert. Ein letztes Mal streichelt er über die Mappen auf | |
| seinem Schreibtisch, nimmt schließlich seinen Hut vom Haken, den er dort | |
| symbolisch für alle Fälle aufbewahrt hat, und verlässt das Büro. Es ist | |
| kurz nach Mitternacht, und ein Mann rollt seinen Weg … | |
| 24 Feb 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Valentin Witt | |
| ## TAGS | |
| Griechenland | |
| Grexit | |
| Bundesfinanzminister | |
| Wolfgang Schäuble | |
| Sportmedizin | |
| Flugzeug | |
| Griechenland | |
| Masern | |
| Zukunft | |
| Sexting | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Die Wahrheit: Winnetous Wut | |
| Ein Hausbesuch beim weltberühmten Münchner Wunderdoktor und ehemaligen | |
| FC-Bayern-Arzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt | |
| Die Wahrheit: In dreitausend Jahren um die Welt | |
| Eine kleine Geschichte der Unmrundungen: Seit Menschengedenken suchen | |
| Abenteurer auf der Erdkugel den Weg von Punkt A nach Punkt A. | |
| Griechische Agrarprodukte: Die Kartoffelrebellen | |
| Die Leute kaufen nur in kleinen Mengen ein, sagt Käseproduzent Matsorakis. | |
| „Es gibt einfach kein Geld.“ Er vermarktet seinen Käse lieber direkt. | |
| Die Wahrheit: Crazy Keime | |
| Der neueste Krankheitstrend ist das furiose Comeback von Masern und | |
| Windpocken. Doch immer mehr Eltern wollen ihren Nachwuchs nicht impfen | |
| lassen. | |
| Die Wahrheit: Wie leben wir 2015? | |
| Zukunftsmusik: Fliegende Achterbahnen kommen nicht vor 2016, dafür aber | |
| bewegungstolerante Fußschutzapplikationen. | |
| Die Wahrheit: Die traurige Geschichte vom Sexting | |
| Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit. Heute darf sich die | |
| Leserschaft an einer poetischen Warnung vor jugendlichem Sexting erfreuen. |