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# taz.de -- Griechenlands Staatssender: Radio Tsipras
> Der geschlossene Staatssender ERT soll wiederbelebt werden. Am Montag
> wird dem Parlament ein Gesetzentwurf dazu vorgelegt.
Bild: Die ehemaligen ERT-Mitarbeiter machen einfach weiter – beim Piratensend…
ATHEN taz | „Guten Morgen, liebe Zuhörer. Sie hören das Erste Programm des
griechischen Rundfunks.“ Stefania Haritou spricht in dem kleinen Studio im
Athener Vorort Aghia Paraskewi ins Mikrofon. Seit Ende der neunziger Jahre
hat sie beim griechischen Staatssender ERT gearbeitet, bis vor 20 Monaten.
Heute ist sie bei ihrem eigenen Sender tätig, dem Piratensender ERTopen.
Für Stefania Haritou war der 11. Juni 2013 so etwas wie ein Schicksalstag.
An jenem Tag nämlich schloss die damalige Athener Regierung
handstreichartig den Staatssender ERT. Sie begründete ihren Schritt mit der
„Intransparenz“ und „unglaublichen Verschwendung“, die beim Staatsrundf…
herrsche. Ziel war stattdessen „die BBC auf Griechisch“ ins Leben zu rufen.
Allerdings war ERT gar nicht pleite, im Gegenteil: Der 1938 gegründete
Rundfunksender, der sich zuletzt hauptsächlich durch eine jährliche Gebühr
von 40 Euro pro Haushalt finanziert hatte, war nicht nur schuldenfrei. Mit
Gesamteinnahmen von rund 300 Millionen Euro im Jahr hatte ERT seit 2011
einen Vorsteuergewinn von mehr als 100 Millionen Euro erwirtschaftet.
Vergeblich. Mit der plötzlichen Schließung verschwanden drei
Fernsehprogramme, ein Satellitenprogramm, mehr als zwei Dutzend
Radiostationen, ein Webauftritt, eine TV-Zeitschrift, Orchester und Chöre.
2.656 unbefristet angestellte ERT-Mitarbeiter wurden entlassen.
Mit Hunderten Exmitarbeitern produziert Stefania Haritou seither das Radio
und TV-Programm des alten Staatssenders einfach weiter – ehrenamtlich. Die
fällige Abfindung wurde ihr überdies nachträglich stark gekürzt. Statt
30.000 Euro erhielt sie nur 7.000 Euro brutto. Auch ihr Mann Michalis, ein
Tontechniker bei ERT, verlor seinen Job. Seither kommt die kleine Familie
kaum über die Runden.
## Inhaltlich verschlankt
Ins mondäne Athener ERT-Hauptgebäude gleich gegenüber von ERTopen zog im
November 2013 der Übergangssender DT ein. Seit Mai 2014 produziert der
ERT-Nachfolger Nerit an gleicher Stelle. Die hehre Vorgabe: Nerit sollte
unabhängig sein. Das Programm wird allerdings von dem 2013 eingestellten
Personal des Übergangssenders DT erstellt.
Die simple Devise lautet „schlank sein“, also „schlanker als ERT“. Auch
inhaltlich hat Nerit nicht viel zu bieten. Ein Großteil des TV-Programms
besteht weiterhin aus Dauerredesendungen – wie bei der privaten Konkurrenz.
Und politische Studiogäste kommen meist aus den ehemaligen
Regierungsparteien.
Die ehemalige Athener Opposition boykottierte Nerit aus Protest gegen die
ERT-Abschaffung – genauso wie Syriza und die „Unabhängigen Griechen“
(Anel), die nun die Regierung in Athen stellen. Der zweite Gesetzentwurf
seit Regierungsantritt, der heute dem Athener Parlament zur Abstimmung
vorgelegt wird, betrifft die Wiedergeburt des Staatssenders. Es gilt als
sicher, dass der Entwurf in diesen Tagen mit großer Mehrheit verabschiedet
wird.
Das ERT-Gesetz sieht vor, in der Causa ERT den Status quo von vor der
Schließung wiederherzustellen. Die ehemaligen ERT-Mitarbeiter können auf
ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren. Dies sind etwa 2.000 Leute. Das
Programmangebot wird vollumfänglich wieder aktiviert.
Ziel ist laut einer Mitteilung der Regierung, mit dem neuen ERT „einen
wettbewerbsfähigen öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Rundfunksender“ zu
schaffen, der „wirklich unabhängig von jeglichem staatlichen und privaten
Interesse fungieren“ solle. Markenzeichen sollen „die Polyfonie,
unabhängige Information und hohe Qualität“ sein. Weitere Kennzeichen:
siebenköpfiger Vorstand mit zwei Arbeitnehmervertretern, Finanzierung per
Rundfunkgebühr. „Exorbitante Ausgaben“ für externe Produktionen würden
reduziert.
Symbolkräftiger hätte die Syriza-Politikerin Zoi Konstantopoulou, neue
Parlamentspräsidentin in Athen, ihre Unterstützung für den Kampf der
ERT-„Piraten“ jedenfalls nicht zum Ausdruck bringen können: Ihr erstes
Interview im neuen Amt gab sie am vorigen Donnerstag exklusiv im
ERTopen-Gebäude. Ob Journalisten, Kameraleute oder Tontechniker:
Konstantopoulou erntete bei ihrem Auftritt brandenden Applaus.
## „Positives Signal für die Gesellschaft“
Einer, der ihr applaudierte, war Panagiotis Kalfagiannis, Präsident der
Gewerkschaft der ERT-Angestellten (Pospert). „Das ist ein sehr positives
Signal für die Gesellschaft. Wir haben einen großartigen Kampf geführt mit
Blut, Schweiß und Tränen – und mit Happy End. Wir Griechen sagen: ’Der
Beharrliche gewinnt!‘ “, sagt er und streckt kämpferisch die Faust in die
Höhe.
Aber längst ist die Situation nicht rosig. Die ERT-Entlassenen, die derweil
monatelang ohne Bezahlung den Piratensender ERTopen betrieben, haben fortan
wieder mit ihren Exkollegen, die beim ERT-Nachfolger Nerit arbeiten, unter
einem Dach ihre Arbeit zu verrichten.
Das birgt Konfliktpotenzial. Ein Entlassener etwa, der zu ERT zurückkehrt,
sagt: „Um Fernsehen oder Radio zu machen, ist vor allem eins wichtig:
Teamarbeit. Nach alledem, was in den letzten Monaten passiert ist, hege ich
Zweifel, ob die Zusammenarbeit im Hause so funktionieren wird wie früher.
Die ERT-Abschaffung hat klaffende Wunden hinterlassen. Sie zu schließen
wird die größte Herausforderung sein. Für uns alle.“
9 Mar 2015
## AUTOREN
Ferry Batzoglou
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