# taz.de -- Regierungsfernsehen in Griechenland: Der rosarote Sender | |
> Die Quoten des wiedereröffneten griechischen Senders ERT sind im Keller. | |
> Viele sehen in dem Staatsfernsehen zuviel Syriza-Propaganda. | |
Bild: Der griechische Premier Alexis Tsipras gibt dem griechischen Staatssender… | |
Athen taz | Nikos Angelidis konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. Am | |
vorigen Freitag durfte er das letzte Mal sein Publikum um Punkt sechs Uhr | |
in der Früh in seiner Sendung begrüßen. Via Facebook verabschiedete er sich | |
später von seinen Fans mit dem denkwürdigen Satz: „Man sieht sich wieder.“ | |
Ausgerechnet Angelidis. Der Journalist war nach der vom damaligen | |
konservativen Premier Antonis Samaras initiierten handstreichartigen | |
Schließung des Staatssenders ERT am 11. Juni 2013 zu einer der Hauptfiguren | |
des Widerstands avanciert, kämpfte unermüdlich für dessen Wiedereröffnung. | |
Der ungeliebte ERT-Nachfolgesender Nerit sollte schon bald Geschichte sein. | |
Exakt zwei Jahre nach dem ERT-Aus war es dann so weit. Die Syriza-Regierung | |
von Alexis Tsipras löste eines ihrer zentralen Wahlversprechen ein. ERT | |
wurde wiedereröffnet, mit allen 2.656 Ex-ERT-Mitarbeitern sowie allen | |
Nerit-Leuten. Die Griechen freuten sich. Bei der ERT-Premiere um sechs Uhr | |
erreichte Angelidis mit seiner Morgensendung noch einen fulminanten | |
Marktanteil von 22 Prozent. | |
Für ERT im Ganzen gab es in Sachen Zuschauerzuspruch aber schnell nur eine | |
Richtung: nach unten. Am vorigen Freitag lag der Marktanteil von ERT 1 bei | |
kümmerlichen 4,4 Prozent – und damit hinter allen anderen sechs landesweit | |
ausstrahlenden Privatsendern in Griechenland. Addiert man auch den | |
Marktanteil aller drei wieder installierten ERT-Programme hinzu, kommt man | |
kaum über sechs Prozent. | |
Nur beliebte ERT-Quotenbringer wie Angelidis hielten sich bis zuletzt noch | |
wacker. Der Grund: Angelidis ist ein bekennender Linker und das hält ihn | |
nicht davon ab, nach der spektakulären Kehrtwende von Tsipras vom | |
vehementen Spargegner hin zum Sparbefürworter im vorigen Sommer nicht immer | |
zimperlich mit Tsipras und Co. umzugehen. Vielen Zuschauern gefiel das. | |
## Enthüllungen? Oxi | |
Fakt ist jedenfalls: ERT hat kaum Geld. Der ERT-Haushalt für das Jahr 2016 | |
sieht Einnahmen von 183,65 Millionen Euro vor. Zieht man davon Ausgaben und | |
Löhne ab (im Schnitt verdient ein Mitarbeiter 20.000 Euro jährlich), | |
bleiben unter dem Strich 115 Millionen Euro übrig. Nur: Den Löwenanteil | |
streicht der Athener Finanzminister ein, zur Tilgung der griechischen | |
Staatsschuld. Das hat Athen mit seinen öffentlichen Gläubigern EU, EZB und | |
IWF so vereinbart. | |
So wundert es nicht, dass kein nennenswertes ERT-Korrespondentennetz | |
existiert. Spannende Reportagen? Fehlanzeige. Enthüllungen? Oxi. Dagegen | |
beherrschen Dauerredesendungen das ERT-Programm. Für einen Sender, der wie | |
ERT voll auf Information setzt, ist dies jedoch zu wenig, Monotonie pur. | |
Überdies sehen sich Kritiker zusehends darin bestätigt, dass die | |
ERT-Wiedereröffnung nur einen Zweck hatte: mehr oder minder subtil der | |
Regierung Tsipras zu dienen. ERT sei nicht unabhängig, so der Vorwurf. Er | |
sei ein „rosaroter Sender“, abgekoppelt von der Gesellschaft. Rosarot ist | |
die Parteifarbe von Syriza. | |
Offenbar sehen dies immer mehr Griechen so. Selbst ein Exklusivinterview | |
mit Regierungschef Tsipras am 7. Dezember, ausgestrahlt zur besten | |
Sendezeit ab 22 Uhr, zog lediglich 453.000 Hellenen in seinen Bann. In der | |
Villa Maximos, dem Amtssitz des griechischen Premiers, gab es just an jenem | |
Abend lange Gesichter. | |
## Parteikollegen interviewen | |
Einer, der für die ERT-Kritiker auf Anhieb zum buchstäblich rosaroten Tuch | |
wurde, ist Panos Charitos. Der 46-Jährige berichtete lange aus diversen | |
Kriegsgebieten, zuletzt aus dem Nahen Osten. Charitos verdiente damals | |
nicht schlecht. Bei ERT kassierte er vor Ausbruch der desaströsen Krise ein | |
Jahresgehalt von 105.600 Euro, wie eine Ende 2009 veröffentlichte „Liste | |
der Schande“ enthüllte. Nach der ERT-Schließung heuerte Charitos flugs bei | |
der Syriza-Parteizeitung Avgi an, zuletzt war er dort Chef der | |
Sonntagsausgabe – mit einer unverändert kläglichen Auflage von landesweit | |
4.000 verkauften Exemplaren. Mit der symbolkräftigen ERT-Wiedereröffnung | |
durfte Charitos mal wieder Premier Tsipras interviewen. So wie am 7. | |
Dezember. | |
Seither präsentiert Charitos auch die abendliche | |
ERT-Hauptnachrichtensendung mit bescheidener Quote: Der ERT-Marktanteil | |
sinkt ab 21 Uhr unter den ohnehin mageren ERT-Durchschnitt, immer wenn | |
Charitos auf dem Bildschirm erscheint. Mit pathetischer Überhöhung hatte | |
Charitos vor seiner Rückkehr zu ERT sich noch auf die Fahnen geschrieben: | |
„ERT wird sich nicht mit dem Wechsel des Emblems und den Personen von einem | |
Staatssender in einen öffentlich-rechtlichen Sender verwandeln. Das ist | |
unsere Rolle: Wir müssen die Objektivität und den Pluralismus in der | |
Information sichern, um unsere berufliche Würde zu bewahren!“ | |
Alles nur griechische Verbalgymnastik? Als eine Charitos-Kollegin erst | |
kürzlich die Athener Regierungssprecherin Olga Gerovasili mit kritischeren | |
Fragen als bei ERT sonst üblich konfrontierte, attackierte Gerovasili die | |
verdutzte ERT-Frau sichtbar genervt: „Was, bitte schön, haben Sie nicht | |
verstanden?“ | |
Fest steht: Nikos Angelidis, der regierungskritische ERT-Quotenbringer, ist | |
seit Montag kurzerhand vom Bildschirm verschwunden. Charitos darf hingegen | |
weitermachen wie bisher. Dass es seither bei ERT rund läuft, kann man auch | |
nicht behaupten. Die Suche nach einem neuen Nachrichtensprecher um sechs | |
Uhr in der Früh gestaltete sich jedenfalls bis zur letzten Minute | |
schwierig. Denn es hagelte Absagen. Die Begründung der Verweigerer: Man | |
könne nicht so früh aufstehen. | |
19 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Ferry Batzoglou | |
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