# taz.de -- Deutsch-griechischer Schüleraustausch: Aus der Vergangenheit lernen | |
> Ein Projekt an einer Schöneberger Sekundarschule sensibilisiert Neun- und | |
> ZehntklässlerInnen für die Geschichte des Holocaust in Griechenland. | |
Bild: Gedenkstätte oberhalb des griechischen Ortes Kalavryta, die an die Opfer… | |
BERLIN taz | Suzanne Lejeune ist 15 Jahre alt. Zusammen mit rund 30 | |
SchülerInnen aus der 9. und 10. Klasse der Georg-von-Giesche-Schule im | |
Bayerischen Viertel in Schöneberg nimmt sie in diesem Jahr an dem Projekt | |
„Aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen“ teil. Bei dem von der | |
Integrierten Sekundar- und Europaschule selbst organisierten Projekt geht | |
es nicht nur um den Holocaust in Deutschland – sondern auch um den in | |
Griechenland. Ein Thema, das im Lehrplan faktisch kaum auftaucht. „Ja, es | |
wurde vielleicht mal so nebenbei im Geschichtsunterricht erwähnt, dass da | |
irgendwas in Griechenland war, aber eigentlich nicht so wirklich“, sagt | |
Suzanne. | |
Von April 1941 bis Ende 1944 besetzte die Wehrmacht große Teile | |
Griechenlands, mindestens 160.000 ZivilistInnen starben. An Hunger, im | |
Holocaust, bei einem der unzähligen Massaker im Land. Im Rahmen des | |
Projekts nahmen Suzanne und die anderen im Januar an einem Austausch mit | |
einer griechisch-deutschen Klasse aus Athen teil. Eine Woche lang | |
erkundeten sie gemeinsam die tatsächlich nur wenigen Museen und | |
Gedenkstätten, die es in Griechenland zur Besatzung gibt. | |
Denn auch in Griechenland werden die Taten der Nazis [1][weder in der | |
Öffentlichkeit] noch im Unterricht sonderlich gut aufgearbeitet. „Ich finde | |
es erstaunlich, dass der Zweite Weltkrieg in der Schule in Griechenland nur | |
am Rande erwähnt wird, hier nimmt es ja fast ein ganzes Jahr ein. Dort ist | |
das nur ein kleines Thema was die machen, so etwas wie zum Beispiel | |
Ritterzeit“, berichtet Suzannes 15-jähriger Mitschüler Pedro Specker. „Das | |
macht man dort vielleicht nur ein, zwei Monate, und das war’s.“ | |
Einer der besuchten Orte: die Kleinstadt Kalavryta, [2][in der am 13. | |
Dezember 1943 Soldaten der deutsch-österreichischen 117. Jägerdivision der | |
Wehrmacht über 1.000 ZivilistInnnen erschossen], viele im Alter von Suzanne | |
und Pedro. Die Kinder und Frauen wurden in der lokalen Schule eingesperrt, | |
die heute ein Museum ist. „Als wir durch Kalavryta spazierten, im ersten | |
Moment hatte ich irgendwie das Gefühl, durch eine Geisterstadt zu laufen. | |
Man spürte, dass es vor Jahrzehnten ein riesiges Blutbad gab“, beschreibt | |
Oscar Panisset-Barachant eindrucksvoll die Stimmung in der | |
2.000-Einwohner-Gemeinde. | |
## Auch ein Projekt gegen den Rechtsruck an Schulen | |
Oscar sagt: „Das ist auch krass, das ist wirklich nicht so lange her. Die | |
Menschen könnten noch leben.“ Auf Fotos im Museum von Kalavryta sind die | |
Opfer abgebildet. „Wenn man nur Zahlen hört, dann denkt man: Okay, es ist | |
viel. Aber man kann es sich nicht richtig vorstellen.“ | |
Neben den Erfahrungen bei den Gedenkstätten nahmen die Berliner | |
SchülerInnen auch andere Erlebnisse mit, nicht zuletzt | |
Mentalitätsunterschiede. So sangen die griechischen SchülerInnen am | |
Gedenkort. „Dort ist es normaler, einfach auf der Straße laut zu singen. | |
Wenn das hier jemand machen würde, würde er dumm angeguckt werden“, sagt | |
Pedro. „Die sind fröhlicher, haben Lebensfreude, essen viel. Und reden | |
sehr, sehr laut“, findet Suzanne. | |
Interessant sei das Projekt insbesondere im Kontext des [3][immer stärkeren | |
Rechtsrucks an Schulen], vor dem auch der Landesschülerausschuss warnt. | |
Suzanne ist sich sicher: „Je mehr man weiß, desto weniger kann man | |
diskriminieren.“ | |
In dieser Woche war die Klasse aus Athen zu einem Gegenbesuch in Berlin. | |
Auf dem Programm standen auch für sie die wichtigsten Gedenkstätten zur | |
NS-Zeit, ein Besuch des Anne-Frank-Zentrums, des KZ Sachsenhausen und ein | |
Rundgang durch die in der Nähe der Schule im Bayerischen Viertel sich | |
befindenden Erinnerungsorte. | |
Sollte man Projekte dieser Art zur Pflicht machen? Pedro sagt, das „wäre | |
nicht unbedingt vorteilhaft“. Als Pflichtprogramm könnte es dazu führen, | |
dass SchülerInnen das Thema nicht mehr ernst nehmen. Klar sei aber auch: | |
Sollte das Projekt erneut stattfinden, wären er und seine MitschülerInnnen | |
auf jeden Fall wieder mit dabei. | |
Johan Grimsehl ist Schülerpraktikant in der Berlin-Redaktion. | |
26 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Johan Grimsehl | |
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