| # taz.de -- Reparationszahlungen für Griechenland: 332 Milliarden oder nichts? | |
| > Was muss Deutschland für die Besatzung Griechenlands in der NS-Zeit noch | |
| > zahlen? Im Streit darum werden drei Fragen vermengt. Eine Handreichung. | |
| Bild: Da grinst der deutsche Soldat: Distomo, kurz nach dem SS-Massaker am 10. … | |
| Die Ablehnung in Deutschland gegen Entschädigungszahlungen an Griechenland | |
| sinkt. Anfangs wurden entsprechende Forderungen als bloßes griechisches | |
| Manöver im Kampf gegen europäische Sparvorgaben und zur Linderung der | |
| eigenen Geldprobleme abgetan. Inzwischen erkennt man aber auch hierzulande, | |
| dass das Anliegen der Griechen ernst genommen werden muss. | |
| „Weder moralisch noch juristisch ist dieses Kapitel eindeutig | |
| abgeschlossen“, mahnte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter in der | |
| vergangenen Woche. Auch SPD-Vize Ralf Stegner glaubt, „dass wir die | |
| Entschädigungsdiskussion führen müssen“. Die zweifache SPD-Kandidatin für | |
| die Bundespräsidentenwahl, Gesine Schwan, hat eine „Stiftung zur | |
| Aufarbeitung und Versöhnung“ vorgeschlagen – nach dem Vorbild der Stiftung | |
| zur Entschädigung osteuropäischer Zwangsarbeiter. | |
| Allerdings werden bei der Diskussion oft drei Fragen vermengt. Es geht | |
| erstens um Reparationen für den griechischen Staat, zweitens um die | |
| Rückzahlung einer Zwangsanleihe und drittens um individuelle Forderungen | |
| griechischer Opferangehöriger. | |
| * * * | |
| Die Reparationen: Verträge und Interpretation | |
| Während der Besatzung von 1941 bis 1944 haben deutsche Soldaten und | |
| SS-Einheiten zahlreiche Massaker an Unschuldigen begangen, die griechische | |
| Wirtschaft ausgeplündert und das Land zerstört zurückgelassen. Deutschland | |
| hält die Reparationsfrage „für rechtlich und politisch abgeschlossen“. | |
| Viel erhalten hat Griechenland bisher nicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg | |
| haben die Alliierten in Deutschland zwar Industrieanlagen demontiert, | |
| außerdem wurde deutsches Auslandsvermögen beschlagnahmt. Griechenland | |
| erhielt dabei nach Angaben von Historikern Güter und Anlagen im Wert von | |
| etwa 25 Millionen Dollar. Außerdem zahlte Deutschland aufgrund eines | |
| Abkommens von 1960 weitere 115 Millionen Mark an Opfer spezifischer | |
| NS-Verfolgung, insbesondere griechische Juden. | |
| Sonstige Reparationsansprüche gegen Deutschland wurden im Londoner | |
| Schuldenabkommen 1953 „bis zur endgültigen Regelung der Reparationsfrage“ | |
| vertagt, womit ein Friedensvertrag mit einem wiedervereinigten Deutschland | |
| gemeint war. | |
| Einen solchen Friedensvertrag gibt es bis heute nicht. 1990 schlossen die | |
| Bundesrepublik, die DDR und die alliierten Siegermächte (USA, UdSSR, | |
| Großbritannien und Frankreich) den Zwei-plus-Vier-Vertrag. Darin wurde die | |
| Wiedervereinigung abgesegnet und die deutsche Souveränität | |
| wiederhergestellt. Der Vertrag wurde absichtlich nicht als | |
| „Friedensvertrag“ bezeichnet, um nicht die Forderung nach Reparationen zu | |
| wecken. Nach deutscher Lesart wurde damals die Reparationsfrage durch | |
| Nichterwähnung endgültig geklärt. | |
| Griechenland hat den Zwei-plus-Vier-Vertrag zwar nicht unterzeichnet, aber | |
| mit anderen Staaten im November 1990 die „Charta von Paris“ abgeschlossen, | |
| die unter anderem „mit großer Genugtuung Kenntnis“ vom | |
| Zwei-plus-Vier-Vertrag nimmt. Damit hätten auch Staaten wie Griechenland | |
| auf weitere Reparationen verzichtet, so die deutsche Lesart. Ein | |
| ausdrücklicher Verzicht ist im Vertrag jedoch nicht zu finden. Ein | |
| griechischer Parlamentsausschuss bereitet derzeit Verhandlungen mit | |
| Deutschland vor, indem er die Schäden zusammenstellt. Nach einem jüngst | |
| bekannt gewordenen Gutachten könnten bis zu 332 Milliarden Euro geltend | |
| gemacht werden – etwas mehr als der aktuelle griechische Schuldenstand. | |
| Der Abschluss eines Vertrags über Reparationen kann juristisch allerdings | |
| nicht erzwungen werden. Siebzig Jahre nach Kriegsende ist die | |
| Verhandlungsposition Griechenlands deshalb nicht allzu gut. Andererseits | |
| erklärt Deutschland die Diskussion wohl auch deshalb so vehement für | |
| beendet, weil man nicht genügend Argumente hat, um das jahrzehntelang | |
| geschickte Vermeiden von Reparationen moralisch zu begründen. | |
| * * * | |
| Die Zwangsanleihe: 476 Millionen Reichsmark | |
| 1942 wurde Griechenland gezwungen, dem Deutschen Reich eine Zwangsanleihe | |
| zu gewähren. Bei Kriegsende waren davon noch 476 Millionen Reichsmark | |
| offen. Diese Summe wurde nie zurückgezahlt. Deutschland rechnet die | |
| Zwangsanleihe zum Besatzungsunrecht und sieht die griechischen Ansprüche | |
| als genauso erledigt an wie die anderen Reparationsforderungen. | |
| Griechenland betont dagegen den vertraglichen Charakter der Anleihe, die | |
| auf jeden Fall zurückgezahlt werden müsse. Mit Zinsen und Zinseszinsen | |
| schätzt eine griechische Expertenkommission den Wert der Anleihe heute auf | |
| 11 Milliarden Euro. | |
| Wenn Griechenland die Anleihe als normalen Geschäftsvorgang behandeln will, | |
| müsste allerdings berücksichtigt werden, dass im damaligen Vertrag Zinsen | |
| ausdrücklich ausgeschlossen wurden. | |
| * * * | |
| Individuelle Klagen: Distomo und Kalavrita | |
| Individuelle Klagen gegen Deutschland seien unzulässig, sagt die | |
| Bundesregierung. Opferangehörige der deutschen Massaker von Distomo und | |
| Kalavrita haben Deutschland trotzdem verklagt und verlangen individuell | |
| Schadensersatz. Deutschland erkennt das Unrecht zwar an, will aber nicht | |
| zahlen. Nach einem Krieg müssten Reparationen vereinbart werden, dafür sei | |
| es jetzt aber zu spät. | |
| Die Klagen in Deutschland blieben erfolglos. Privatpersonen können keine | |
| völkerrechtlichen Reparationsansprüche einklagen, so der Bundesgerichtshof | |
| 2003 und das Bundesverfassungsgericht 2006. Theoretisch wären | |
| Amtshaftungsansprüche gegen Deutschland möglich, griechische Kläger könnten | |
| sich hierauf aber nicht berufen, so die deutschen Gerichte. | |
| In Griechenland waren Prozesse der gleichen Kläger zunächst erfolgreich. Im | |
| Jahr 2000 entschied der Aeropag, das oberste griechische Zivil- und | |
| Strafgericht, dass Deutschland den Angehörigen von Distomo umgerechnet 28 | |
| Millionen Euro Schadensersatz zahlen muss. Das Urteil wurde letztlich nicht | |
| vollstreckt, weil der damalige griechische Justizminister die notwendige | |
| Zustimmung versagte. | |
| Der aktuelle Justizminister Nikos Paraskevopoulos hat nun seine Zustimmung | |
| zur Beschlagnahme deutscher Güter wie dem Goethe-Institut in Athen in | |
| Aussicht gestellt. Diese würde sich auf das konkrete Urteil aus dem Jahr | |
| 2000 beziehen. Die um einige Dimensionen größeren Reparationsforderungen | |
| könnten auf diesem Weg nicht realisiert werden. | |
| Juristisch ist die Vollstreckung des Urteils inzwischen generell verbaut. | |
| Schon 2002 hat das oberste griechische Sondergericht entschieden, dass | |
| solche Klagen generell unzulässig sind, weil sie gegen das Prinzip der | |
| Staatenimmunität verstoßen würden. Danach darf kein Staat über einen | |
| anderen Staat zu Gericht sitzen. Zehn Jahre später, 2012, hat der | |
| Internationale Gerichtshof in Den Haag in einem Rechtstreit zwischen | |
| Deutschland und Italien die Staatenimmunität als völkerrechtliche Regel | |
| bestätigt. | |
| Falls Griechenland trotzdem mit der Beschlagnahme deutscher Einrichtungen | |
| beginnt, würde es sich also über das Urteil eines UN-Gerichts hinwegsetzen. | |
| Juristisch ist die defensive deutsche Position damit sehr stark, seine | |
| moralische Position aber sehr schwach. Denn die Angehörigen der Opfer von | |
| Distomo und anderer Massaker wurden nie entschädigt. Insbesondere hier | |
| könnte eine Stiftung hilfreich sein. | |
| 20 Mar 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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