# taz.de -- Debatte zur Sprache: Alle #mitgemeint | |
> Die geschlechtergerechte Sprache ist Mittel im Kampf gegen Gender-Pay-Gap | |
> oder Gewalt gegen Frauen und trans Personen. | |
Bild: Bunte Hände beim Auftakt des CSD 2021 in Frankfurt | |
Viel war von [1][Friedrich Merz] in jüngerer Zeit nicht zu hören – es sei | |
denn, es ging um „Gendersprache“. Merz, mehrfach erfolgloser Kandidat für | |
den CDU-Vorsitz, ergatterte ein paar Schlagzeilen, indem er sich als | |
Sprachpolizist gerierte und laut über ein Verbot von geschlechtergerechten | |
Formen nachdachte: Ein Verfechter der inneren Sicherheit verspricht | |
Kontrolle auch auf dem Feld der Identitätspolitik. Dieser Mechanismus, | |
obschon leidlich ausgeleiert, funktioniert. | |
Wer auch immer ein wenig Aufmerksamkeit braucht – Friedrich Merz, [2][Jan | |
Fleischhauer], [3][Birgit Kelle] oder jemand von der AfD – wirft die Worte | |
„Gendersprache“ oder „Gendergaga“ in die öffentliche Arena, polemisiert | |
über zu viele Geschlechter, bei denen niemand mehr durchblickt, und | |
beschwört die gute alte Zeit, die für uns alle einfacher, beruhigender und | |
lebenswerter gewesen sei. Einfach, beruhigend und lebenswert: So wollen wir | |
die Welt doch alle. | |
Die Sache ist nur: Das Versprechen, alles werde wieder besser (für wen?), | |
wenn wir nur stur das generische Maskulinum verwenden, stimmt nicht. Genau | |
genommen hat beides – die gute alte Zeit und das Gendern – gar nichts | |
miteinander zu tun. Was hier geschaffen wird, ist ein Konstrukt: Über | |
Codewörter wie „Gendersprache“ oder „Gendergaga“ wird eine emotionale | |
Übereinkunft hergestellt, die besagt: Die, die unsere schöne und seit | |
Jahrhunderten gleiche Sprache durchs Gendern verhunzen, sind anmaßende | |
Banausen und lächerliche Freaks. | |
Verknüpft wird diese Übereinkunft mit dem Versprechen, in eine imaginäre | |
Wohlfühlrealität zu finden – ganz ohne sich mit Zumutungen wie dem Gendern | |
auseinandersetzen zu müssen. Gendern greift Identität an. In einer Sprache | |
des generischen Maskulinums scheinen sich die Geschlechter übersichtlich | |
und in traditionellen Rollen wohlgeordnet zu befinden. | |
## Schöne, heile, maskuline Welt | |
Dass dies schon lange nicht mehr der Fall ist, dass das binäre | |
Geschlechtersystem und sogenannte traditionelle Rollen aufgebrochen sind, | |
dazu trägt Sprache bei. Dass es dabei „nur“ um Sprache geht und wir | |
insofern doch Besseres zu tun hätten, was gern als Argument gegen das | |
Gendern vorgebracht wird, stimmt nicht: Sprache ist ein | |
Handlungsinstrument. Sprache prägt Gesellschaft. Es mag zunächst paradox | |
klingen – aber natürlich gibt es gleichzeitig erst mal Wichtigeres als | |
Sprache. | |
Wichtiger wäre zum Beispiel, dass in Deutschland nicht [4][jeden dritten | |
Tag ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin umbringt]. Dass der | |
[5][Gender-Pay-Gap zwischen Männern und Frauen] nicht mehr rund 1.200 Euro | |
monatlich beträgt. Oder dass [6][trans Menschen] nicht gefährlich leben, | |
nur weil sie trans sind. Gegen all dies allerdings lässt sich besser mit | |
angemessener Sprache kämpfen: mit der Anerkennung neuer Wörter und | |
Kategorien wie „Femizid“ zum Beispiel. | |
Mit dem Binnen-I, das die Verschiedenheit von Männern und Frauen benennt. | |
Oder mit dem Sternchen oder Doppelpunkt, mit dem kenntlich gemacht werden | |
kann, dass trans Menschen etwa als Patient:innen im Gesundheitssystem | |
oft diskriminiert werden. Das eine hängt mit dem anderen zusammen – und wer | |
nun welchen Kampf zuerst führen will, diese Entscheidung sollten wir den | |
Kämpfenden überlassen. [7][Gendern] verändert Sprache. | |
Anders als oft behauptet, verändert es Sprache von unten. Aus den | |
Communitys heraus entstand der Wunsch, eine respektvolle Sprache zu | |
erfinden und zu verwenden, die Menschen anspricht, die sich mit dem | |
generischen Maskulinum unsichtbar gemacht fühlen. Erst von dort aus erobert | |
sich das nicht-maskuline Gendern langsam seinen Platz bei den üblichen | |
Verdächtigen: den linksgrün versifften Gutmenschen, den Unis, manchen | |
Stiftungen und einigen grün geführten Landesregierungen – nach und nach | |
also in der Gesellschaft. | |
## Gesetzentwurf im generischen Femininum | |
Dass Verordnungen dabei nicht einfach „von oben“ kommen, zeigte etwa die | |
hübsch aufgescheuchte Reaktion des männlich geführten | |
Bundesinnenministeriums (BMI), als das weiblich geführte | |
Bundesjustizministerium tatsächlich einen [8][Gesetzentwurf im generischen | |
Femininum] verfasste – und diesen, nachdem das BMI schwere Geschütze | |
auffuhr und den Entwurf aufgrund der durchgängig weiblichen Form gar als | |
„höchstwahrscheinlich verfassungswidrig“ beschoss, zurückziehen musste. | |
Immerhin sind die Kämpfe um geschlechtergerechte Sprache auch auf Ebene der | |
Bundesregierung angekommen. Ein Fortschritt. Das Wesen von Veränderung ist, | |
dass sie nicht aufhört. Das gilt auch fürs Gendern: Seit Jahrzehnten werden | |
neue Formen ausprobiert, zum Teil und mittlerweile auch fürs Deutsche neue | |
Pronomen erfunden, Sprechakte verändert. Unverrückbare Regeln fürs Gendern | |
gab es dabei nie – auch Leitfäden sind dazu da, herausgefordert, diskutiert | |
und immer mal wieder angepasst zu werden. | |
Im Alltag werden sich manche mit Sprache wenig auseinandersetzen und | |
deshalb nicht gendern. Anders wäre es schöner, aber das ist schon okay. Wer | |
sich jedoch damit auseinandersetzt, wer darum gebeten wird und sich | |
trotzdem dagegen entscheidet, muss damit leben, dass die, die in der | |
Sprache auch gern ihren Platz hätten, das nicht sonderlich respektvoll | |
finden. | |
Friedrich Merz dürfte so ein Fall sein: einer, der ein emotional besetztes, | |
weil Identität betreffendes Thema bewusst gegen die Linksgrünversifften in | |
Stellung bringt, indem er vom „Zwang“ zum Gendern spricht und damit | |
zuverlässig ein paar Empörungsklicks kassiert, auch wenn er nichts anderes | |
versucht, als den Kampf gegen die eigene Bedeutungslosigkeit mittels | |
Polemisierung zu führen. | |
Schade ist das Ganze aber doch – weil durch diese Instrumentalisierung von | |
geschlechtergerechter Sprache eine etwas unaufgeregtere Herangehensweise | |
und Annäherung ans Thema verhindert wird. Die würde dem Gendern gerechter, | |
das nichts anderes will als gleiche Präsenz für alle. Und täte uns sicher | |
gut. | |
26 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/_FriedrichMerz/status/1383343760260567043?ref_src=twsrc… | |
[2] https://www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste-vom-18-03-2021/gendern… | |
[3] /Birgit-Kelle-und-die-Christdemokraten/!5284967 | |
[4] /Femizide-in-Deutschland/!5728408 | |
[5] /Lebenslanger-Lohnunterschied/!5668797 | |
[6] /Transpersonen/!t5682795 | |
[7] /Gendergerechte-Sprache/!5509032 | |
[8] /Gesetzesentwurf-im-generischen-Femininum/!5717489 | |
## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
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