| # taz.de -- Immer Ärger mit Pronomen: Ich bin kein Mensch mit Uterus! | |
| > Ich sehe nicht ein, mich mit dieser Gender-Scheiße zu beschäftigen, | |
| > während uns die Welt um die Ohren fliegt. Und überhaupt ist alles so | |
| > anstrengend! | |
| Bild: Personen sind Strichmenschchen, aber keine Menschen | |
| Ein:e Freund:in von mir… – stopp, falsch. Doppelpunkte, Sternchen, | |
| Unterstriche sind unerwünscht. Noch mal: Eine Person, mit der ich | |
| befreundet bin, möchte nicht mit Pronomen bezeichnet werden, sondern mit | |
| ihrem Namen, weil sie [1][weder Frau noch Mann] ist. | |
| Das ist im direkten Kontakt ziemlich unproblematisch: Die zweite Person | |
| Singular ist unverdächtig und in der Mail heißt es nicht „Liebe“ oder | |
| „Lieber“, sondern „Hallo X“. Aber ha! Wenn ich mit einer gemeinsamen | |
| Freundin über die Person spreche, wird es interessant. In jedem zweiten | |
| Satz muss entweder ich mich korrigieren oder werde korrigiert oder ich | |
| weise meine Freundin darauf hin, dass sie ein falsches Pronomen benutzt | |
| hat. | |
| Das macht Gespräche nicht gerade flüssiger und manchmal bin ich so genervt, | |
| dass ich schreien könnte. Denn sie (die Person) ist ja nicht die einzige, | |
| die mir [2][eine sprachliche Neuorientierung] abverlangt. Und weil alles | |
| andere auch schon so anstrengend ist, werde ich bockig und ungerecht. Ich | |
| sehe nicht ein, dass ich mich mit dieser Gender-Scheiße beschäftigen soll, | |
| während uns die Welt um die Ohren fliegt. Kommt mir jetzt bitte nicht mit | |
| eurem Identitätsgedöns, ich habe andere Probleme! Und ihr auch! | |
| Klimawandel, Pandemie, Nazis, Krieg, Inflation – schon vergessen? | |
| Anstatt meine Zeit damit zu verschwenden, den Gender-Doppelpunkt | |
| aussprechen zu lernen, würde ich gerne die Finanzierung des deutschen | |
| Gesundheitssystems verstehen, jedenfalls im Ansatz, denn wenn wir später | |
| alle arm, krank und alt sind und unsere Kinder damit beschäftigt, Sandsäcke | |
| zu schleppen, werden Pronomen unsere geringste Sorge sein. Ein | |
| Systemwechsel muss her, dann erledigt sich das mit den Nebenwidersprüchen | |
| von selbst. | |
| Und wenn ich schon mal dabei bin: Könnt ihr (alle, die nicht ganz cis in | |
| der Birne sind), euch bitte wenigstens einigen! Die einen verbitten sich | |
| Pronomen ganz, andere wollen ein „x“, „they“ oder „nin“. Die Mögli… | |
| sind endlos: Auf [3][einer Liste im Internet] habe ich über 40 verschiedene | |
| Vorschläge für geschlechtslose Pronomen gefunden. Mir schwindelt. | |
| ## Personen sind Strichmenschchen | |
| Richtig übel wird mir, wenn ich von [4][„Menschen mit Uterus“] lese oder | |
| dazu aufgefordert werde, das in meine Artikel zu schreiben. Ich will keine | |
| blutigen Organe vor mir sehen, sondern Menschen. Und davon abgesehen: ICH | |
| BIN KEIN MENSCH MIT UTERUS! UND AUCH KEINER MIT KLITORIS! Das habe ich | |
| zwar, aber ich möchte so nicht bezeichnet werden, WEIL ICH ZUM TEUFEL NOCH | |
| MAL EINE FRAU BIN und das lass ich mir von niemandem wegnehmen! | |
| Und ich bin auch keine Person. Es macht mich wahnsinnig, wenn die jungen | |
| Menschen nur noch von Personen sprechen, da sehe ich Strichmännchen | |
| (Strichmenschchen?) vor mir, Verkehrsschilder, aber keine Menschen mit | |
| Gesichtern und Gefühlen und weiblich und männlich Gelesene gibt es auch | |
| nicht, es gibt ja nicht einmal weibliches Schreiben und … | |
| Stopp. Worum ging es? Ach ja. Um die Bitte eines Menschen, mit dem ich | |
| befreundet bin, ihn nicht zu missgendern. Wie weh das tut, verstehe ich | |
| gut. Mir passiert das zwar nicht täglich, nur etwa einmal in der Woche. | |
| Denn nur sehr wenige Menschen kommen auf die Idee, einen Vornamen, den sie | |
| noch nie gehört haben, nachzuschlagen. Und schließlich kennen sie jemand, | |
| der heißt Eike, da ist ja klar, dass [5][Eiken ein Männername] ist. So wie | |
| Martina und Simone. Zumal Eike auch ein Frauenname ist. Vollpfosten, alle. | |
| Man könnte denken, dass ich mich in fast 50 Jahren daran gewöhnt hätte, für | |
| einen Mann gehalten zu werden. Aber nein, ich werde immer noch wütend, | |
| jedes verdammte Mal. Unter der Wut liegt die Verletzung, nicht als die | |
| gesehen zu werden, die ich bin. | |
| Und deshalb: Ja, es ist anstrengend, alle richtig anzusprechen und ja, wir | |
| dürfen Fehler machen und genervt sein. Aber die Welt wird bestimmte keine | |
| bessere, wenn Mehrheiten darüber entscheiden, was Minderheiten zusteht. | |
| 23 Oct 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Eiken Bruhn | |
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