# taz.de -- Bildungssenatorin über Lehrkräftemangel: „Ohne Zusammenrücken … | |
> Für bessere Ganztagsangebote braucht es tausende zusätzliche Fachkräfte. | |
> Schwierig, aber machbar, meint Berlins Bildungssenatorin Astrid-Sabine | |
> Busse. | |
Bild: Berlins Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD): den Ausbau der Ganzt… | |
taz: Frau Busse, in diesem Jahr übernehmen Sie als Berliner | |
Bildungssenatorin den Vorsitz der Kultusminister*innenkonferenz. Jede | |
Präsidentschaft steht unter einem Motto, Ihres ist die „gute | |
Ganztagsgrundschule“. Gibt es nicht drängendere Probleme – zum Beispiel | |
[1][den bundesweiten Fachkräftemangel]? | |
Astrid-Sabine Busse: Das ist so eine defizitäre Sichtweise, die man | |
hierzulande leider oft antrifft. Selbstverständlich wird es in der KMK | |
weiterhin um Strategien zur Bewältigung des Fachkräftemangels gehen. Mir | |
geht es um konkrete Verbesserungen und darum, Kinder und Familien zu | |
unterstützen. Welches Thema könnte dazu geeigneter sein als der Ganztag? | |
Prognosen gehen davon aus, dass es bis 2035 75.000 zusätzliche Lehrkräfte | |
braucht, um ein gutes Ganztagsangebot zu schaffen. Ihr Thema ist also doch | |
der Fachkräftemangel! | |
Natürlich hängt das miteinander zusammen. In der guten Ganztagsgrundschule | |
arbeiten ja nicht nur Lehrkräfte, da arbeiten auch Erzieherinnen und | |
Erzieher, Schulsozialarbeiter und weitere Fachkräfte. Wir setzen in Berlin | |
ja sehr bewusst auf multiprofessionelle Teams. | |
… auch da gibt es einen Fachkräftemangel. | |
Also, Sie sagen jetzt: Ich setze mich gar nicht erst rein in den Zug, weil | |
er ja eh nicht ankommt. Das halte ich für die falsche Herangehensweise. Wir | |
werden, was den Fachkräftemangel angeht, noch zehn Jahre durchhalten | |
müssen. Eltern haben ab 2026/27 bundesweit einen Rechtsanspruch auf | |
Ganztagsbetreuung in der Grundschule, das haben Bund und Länder in einem | |
breiten Abstimmungsprozess einhellig beschlossen. Daraus muss man jetzt das | |
Beste machen. Kann sein, dass es in einigen Bundesländern erst mal nicht so | |
viele Erzieherinnen und Erzieher gibt wie in Berlin. Aber Fachkräftemangel | |
heißt ja auch: Wir müssen über jedes Elternteil froh sein, das berufstätig | |
sein kann – auch weil es die Ganztagsgrundschule gibt. Zugleich möchte ich | |
als Elternteil meine Kinder natürlich gut betreut wissen. | |
Der Ganztag als gleichstellungspolitisches Instrument: Kann Berlin da | |
Vorbild sein? | |
Ja, Berlin kann da Vorbild sein. Ich bin als ehemaliges Mitglied des | |
Ganztagsschulverbands viel durch die Republik gereist. Gerade im Südwesten | |
gibt es noch einiges zu tun – dazu gehört, dass der Ganztag überhaupt als | |
etwas Positives angesehen wird. Vor wenigen Jahren habe ich da noch den | |
Satz gehört: Meine Frau muss nicht arbeiten gehen, unser Kind kommt mittags | |
nach Hause. | |
In der Berliner Landespolitik gibt es die [2][Forderung nach einem | |
„Staatsvertrag Lehrkräftebildung“]: verbindliche Zielzahlen für jedes | |
Bundesland, damit man sich nicht länger gegenseitig die Uni-Absolvent*innen | |
abjagt. Werden Sie den Vertrag vorantreiben? | |
Wir sind in Sachen Verbindlichkeit schon vorangekommen. Im Jahr 2020 gab es | |
bereits die Ländervereinbarung zu den Ausbildungszielen in der | |
Lehrkräftebildung. Diese müssen wir konsequent umsetzen, das ist mir als | |
KMK-Präsidentin ein zentrales Anliegen. Ein Staatsvertrag wird aber ein | |
sehr langer Prozess. Es sind 16 Länder, das muss durch die jeweiligen | |
Parlamente. Bis dahin ist meine Präsidentschaft und wohl auch die meiner | |
Nachfolgerin definitiv vorbei. Lange Wege und Herausforderungen werden uns | |
aber nicht abhalten, sollte der Staatsvertrag sich als Mittel der Wahl | |
entpuppen. Neben der Verbindlichkeit ist auch Folgendes zu bedenken: Es | |
muss genügend junge Menschen geben, die überhaupt Lehramt studieren wollen. | |
Ihre Vorgängerin im Amt, die schleswig-holsteinische Bildungsministerin | |
Karin Prien (CDU), hat sich offen dafür ausgesprochen, das föderale | |
Bildungssystem infrage zu stellen: mehr Zentralismus durch den Bund. Wo | |
stehen Sie in der Debatte? | |
Infrage stellen kann man vieles. Beim Föderalismus halte ich es mit dem | |
Motto „Stark durch Vielfalt“, das war schon mein Motto als Vorsitzende der | |
Jugend- und Familienministerkonferenz. Und es gibt ja durchaus mehr | |
Einigkeit: Die KMK hat sich bereits vor zwei Jahren auf verbindliche | |
Bildungsstandards in Mathematik und Deutsch im Grundschulbereich geeinigt. | |
Die sollen dann von Schleswig-Holstein bis Bayern gelten. | |
Das ist ein Detail. | |
Nein, das ist ein ganz wichtiger Schritt hin zu mehr Verbindlichkeit und | |
Vergleichbarkeit im deutschen Bildungswesen! Und als KMK sind wir dabei, so | |
etwas auch für die Sekundarstufe I und das Abitur zu entwickeln. Natürlich | |
will ich jetzt keine Wolkenkuckucksheime bauen. Das bringt uns nicht | |
weiter. Mit dem Lehrkräftemangel werden wir uns auch noch gut zehn Jahre | |
konfrontiert sehen, und wir müssen intensiv prüfen, welche Optionen wir | |
haben, um mehr Menschen ins System zu holen: von Pensionären, die man | |
weiterbeschäftigt, bis zur vereinfachten Anerkennung von ausländischen | |
Berufsabschlüssen, wie wir sie in Berlin gerade umgesetzt haben. | |
Letzteres wäre noch ein wichtiges Detail, das man bundeseinheitlich regeln | |
könnte. | |
Ja, das wäre wichtig. Wir haben [3][aus der Ukraine einige Lehrkräfte | |
eingestellt, die jetzt in den Willkommensklassen arbeiten], teilweise als | |
Seiten- und Quereinsteigerinnen. Die müssen nun sinnvoll weiterqualifiziert | |
werden. | |
Der Krieg könnte noch lange dauern. Da geht es nicht nur um | |
Willkommensklassen, sondern um langfristige Integration. Was ist mit einem | |
Sondertopf im Bund für die Schulen – ähnlich wie beim Programm „Stark tro… | |
Corona“? | |
An der Stelle kurz mal stopp, bitte. Bevor wir wieder darüber reden, wo wir | |
überall hinwollen: Es ist eine wahnsinnige Leistung der Länder gewesen, die | |
ukrainischen Schülerinnen und Schüler aufzunehmen, ohne dass es groß | |
geknirscht hätte. Allein in Berlin sind bisher über 7.200 Kinder in die | |
Schulen integriert worden, einfach so, ohne Gemurre. Diese unglaubliche | |
Solidarität, die wird gar nicht so richtig gesehen. Klar ist aber auch: | |
Ohne Einschränkungen, ohne Zusammenrücken wird es nicht gehen. Es wird halt | |
enger. | |
Ist die Pandemie aus Schulsicht abgehakt? | |
Gerade was die psychosozialen Folgen angeht, sind wir mit den Erkenntnissen | |
noch ganz am Anfang. Unter anderem deshalb wird es mit dem | |
Startchancen-Programm des Bundes ein großes Investitionsvorhaben geben, das | |
insbesondere denjenigen Schülerinnen und Schülern zugutekommen soll, bei | |
denen die Pandemie große Lücken hinterlassen hat. Und 95 Prozent der Mittel | |
aus unserem „Stark trotz Corona“-Programm zur Lernförderung sind bereits | |
gebunden oder verausgabt. Das sollte schon wirken. | |
Bundesmittel auszugeben ist oft schwierig, weil bürokratisch. Bräuchte es | |
nicht eine grundsätzliche Lösung, wie eine Investitionsquote für Bildung? | |
Vieles ist möglich. Aber ich glaube, ich habe bereits viel mit dem zu tun, | |
was ich mir vorgenommen habe. Man darf sich da ja auch nicht verzetteln. | |
Dann noch mal konkret: Welche Konsequenzen ziehen Sie aus dem schlechten | |
Abschneiden der vierten Klassen in Deutsch und Mathe bei der | |
[4][IQB-Länderstudie im Herbst]? Einige Expert*innen sprachen von einem | |
zweiten Pisa-Schock. | |
Die Ergebnisse haben mich überhaupt nicht überrascht. Ich sage: Die | |
frühkindliche Bildung ist das A und O. Ob ich erfolgreich in Mathe bin, | |
entscheidet sich schon in der Kita. Vorlesen ist wichtig, übrigens in jeder | |
Sprache, das muss nicht auf Deutsch passieren. Eltern und | |
Erziehungsberechtigte sind da unsere wichtigsten Partner. | |
Wie erreicht man die Kinder, die vor der Einschulung gar nicht erst in der | |
Kita oder einer Sprachförderung ankommen? | |
Da könnte ich mir sehr gut vorstellen, dass wir in den Ländern ein | |
gemeinsames Vorgehen verabreden. Dass man sagt: Wenn die Kinder mit drei | |
Jahren bei der Vorsorgeuntersuchung beim Kinderarzt auffällig sind beim | |
Spracherwerb, ist eine besondere Sprachförderung zum Beispiel in der Kita | |
wichtig. Und mit viereinhalb Jahren schaut man dann noch mal bei einem | |
verbindlichen Sprachtest genauer hin. Dann ist nämlich immer noch Zeit bis | |
zur Einschulung. Die Sprachstandsfeststellung ist ein wichtiges Element zur | |
Sicherung der sprachlichen Grundbildung. | |
Haben Sie Rückhalt für diese Idee in der KMK? | |
Ich denke, meine Kolleginnen und Kollegen stehen dem aufgeschlossen | |
gegenüber. | |
11 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Studie-zu-Ganztagsbetreuung/!5865980 | |
[2] /Das-bringt-2023-in-Berlin-1/!5904438 | |
[3] /Flucht-aus-der-Ukraine/!5852136 | |
[4] https://www.iqb.hu-berlin.de/bt | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
## TAGS | |
Astrid-Sabine Busse | |
Kultusministerkonferenz | |
Lehrermangel | |
Ganztagsschule | |
Willkommensklasse | |
Bildungssystem | |
Grundschule | |
Schwerpunkt Flucht | |
Willkommensklasse | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Berlin | |
Ganztagsschule | |
Schule | |
Bildungssystem | |
KMK | |
Bildung | |
Bildungschancen | |
Ganztagsbetreuung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kultusministerkonferenz in Berlin: Eine Menge Redebedarf | |
Bund und Länder setzen sich in kleiner Runde zusammen, um Vertrauen | |
wiederherzustellen. Die Bildungsvorhaben der Ampelkoalition sollen gerettet | |
werden. | |
Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung: „Nicht realisierbar“ | |
Der Rechtsanspruch für Ganztagsbetreuung an Grundschulen soll ab 2026 | |
gelten. Kommunen fordern, das in bereits überlasteten Regionen zu | |
verschieben. | |
Schulplatzmangel für Geflüchtete: Sich von Dogmen verabschieden | |
Der Mangel an Schulplätzen für Geflüchtete ist auch ein Resultat der | |
Politik der Massenunterkünfte. Es wird Zeit für ein Umdenken der Politik. | |
Willkommensklassen in Berlin: Kein Platz für Integration | |
Weil es nicht genügend Willkommensklassen für Geflüchtete gibt, wird das | |
Deutschlernen zunehmend in Heime verlegt. Oder - wie in Tegel - in | |
Container. | |
Schulplatzmangel für Geflüchtete: Viel zu lange Ferien | |
Neue Schulplätze für geflüchtete Kinder entstehen immer langsamer. In den | |
Notunterkünften steigt derweil die Verweildauer – ohne Schulangebot. | |
Zwei Tage Schulstreik in Berlin: 4.000 Lehrkräfte im Streik | |
Die Gewerkschaft GEW ruft zum Arbeitskampf für kleinere Klassen. Die | |
Beteiligung ist deutlich höher als bei den sieben Warnstreiks zuvor. | |
Personalmangel in den Schulen: Keine Zeit für Kinder | |
Ganztagsschulen fehlen Erzieher*innen, die Gewerkschaft GEW schlägt Alarm. | |
Sinnvolle Arbeit sei kaum möglich, wenn eine Fachkraft 40 Kinder betreut. | |
Teilzeitquote an Schulen: Lehrkräfte sollen Vollzeit arbeiten | |
Deutschen Schulen fehlt Personal. Expert*innen der | |
Kultusministerkonferenz empfehlen, Lehrkräften nur noch ausnahmsweise | |
Teilzeitarbeit zu erlauben. | |
Deutsches Schulbarometer: Schulen fehlen Lehrer*innen | |
Besonders Schulen in sozialen Brennpunkten finden nicht genug Fachkräfte. | |
Bildungsverbände kritisieren, die Landespolitik habe das Problem | |
verschlafen. | |
KMK-Vorsitz von Berlin: Keine Denkverbote | |
Die Länder sollen sich zusammentun im Kampf gegen den Lehrkräftemangel. | |
Berlins Bildungssenatorin Busse (SPD) will gemeinsame Strategie verabreden. | |
NRW-Schulministerin über Personalmangel: „Es muss alles auf den Prüfstand“ | |
In NRW schneiden Kinder in Mathe und Deutsch schlecht ab, es fehlen | |
tausende Lehrkräfte. Was plant die neue Schulministerin Dorothee Feller? | |
Chancengleichheit in der Bildung: Wider die föderale Bildung | |
Von Chancengleichheit im Bildungssystem ist Deutschland weit entfernt. | |
Höchste Zeit, dass die Ampel den Ländern stärkere Vorgaben macht. | |
Studie zu Ganztagsbetreuung: 100.000 Fachkräfte fehlen bis 2030 | |
Nicht alle Bundesländer werden den Rechtsanspruch für Ganztagsbetreuung an | |
Grundschulen umsetzen können. Die Bertelsmann Stiftung warnt. |