# taz.de -- Ausbeutung in der Champagnerproduktion: Blut, Schweiß und Schampus | |
> Tausende Arbeitsmigrant*innen kommen als Saisonarbeiter für die | |
> Champagner-Produktion nach Frankreich. Eine Recherche von moderner | |
> Sklaverei und Rekordumsätzen. | |
Bild: Die Champagner-Ernte ist kein Fest | |
Auf der Avenue de Champagne schlendern sie entlang der schicken Villen und | |
schießen Selfies, in der Hand ein Glas Schampus, in dem goldene Blasen | |
aufsteigen und an der Oberfläche zerplatzen. Hunderte Touristen kommen Tag | |
für Tag nach Epernay, der Hauptstadt der [1][Champagnerproduzenten]; an | |
diesem Montag Mitte September bringt ein Reisebus eine Gruppe Belgier zum | |
Frühschoppen, eine junge Chinesin filmt ihre Freundin vor dem Logo einer | |
bekannten Marke, und in der Touristen-Info will sich eine Frau über | |
Verkostungen informieren. „Sprechen Sie Deutsch?“ | |
In den wie Schlösser anmutenden Niederlassungen der Champagnerproduzenten | |
entlang der Avenue knallen derweil die Korken im Akkord. Ein Glas gibt es | |
hier ab zehn Euro. 326 Millionen Flaschen Champagner wurden im Jahr 2022 | |
verkauft, erstmals wurden mehr als 6 Milliarden Euro umgesetzt. | |
Doch die weltbekannte Region im Osten Frankreichs hat auch eine andere, | |
weit weniger prickelnde Seite. Die diesjährige Champagnerlese wird als eine | |
der dunkelsten in die Geschichte eingehen. Im September starben fünf | |
Helfer, so viele wie noch nie in einer Erntesaison. | |
In einem Fall kam ein Arbeiter in seinem Zelt an einer Überdosis Drogen ums | |
Leben, wie die zuständige Staatsanwaltschaft auf Anfrage mitteilte. Die | |
Ermittlungen zu den anderen Fällen laufen noch, ein [2][Zusammenhang mit | |
der Hitze] wird vermutet. Vier menschenunwürdige Gemeinschaftsunterkünfte | |
wurden von den Behörden dichtgemacht, darunter auch illegale Zeltlager. | |
Die Staatsanwaltschaft in Châlons-en-Champagne hat zwei Untersuchungen | |
wegen des Verdachts auf Menschenhandel eingeleitet. Eine befasst sich mit | |
dem Fall von 71 in einem heruntergekommenen Plattenbau beherbergten | |
Saisonarbeitern aus der Ukraine, in der Gemeinde Mourmelon-le-Petit; eine | |
weitere mit der Unterbringung einer Gruppe von einigen Dutzend Personen, | |
überwiegend Asylbewerbern aus Afrika, in einer Bruchbude im kleinen Ort | |
Nesle-le-Repons. Im Dorf Grauves schliefen Arbeiter in verbotenen, aber von | |
Behörden geduldeten Zeltlagern am Waldrand. | |
Wie konnte es so weit kommen in einer Region, deren bekanntestes Produkt | |
für [3][ausschweifenden Luxus] steht? Und wer trägt die Verantwortung? Mit | |
diesen Fragen hat sich ein Team aus internationalen Journalisten mehrere | |
Monate lang beschäftigt. | |
Nach Aufdeckung der Affären zeigt sich die Champagnerindustrie bestürzt. | |
Winzer und die großen Häuser erklären sich gemeinsam. Über eine eigens | |
eingeschaltete PR-Agentur für Krisenkommunikation lassen sie auf Nachfrage | |
mitteilen, sie seien „zutiefst betroffen“ und drückten „den Familien (der | |
verstorbenen Erntehelfer) ihr Beileid aus“. Einige Weinleser seien „unter | |
untragbaren Bedingungen“ aufgenommen worden, heißt es. Man „verurteile | |
diese unsäglichen Verhaltensweisen aufs Schärfste“. Man habe mit den | |
Behörden vereinbart, „alle notwendigen Maßnahmen zu beschließen, damit sich | |
derartige Entgleisungen nicht wiederholen“. Darunter zähle auch, „dass wir | |
uns auf Seite der Geschädigten in einen Gerichtsprozess einbringen werden“. | |
Mehr Unterkünfte soll es geben, die Arbeit solle besser organisiert und vor | |
allem sicherer werden, für Dienstleister sollen künftig strenge Regeln | |
gelten, heißt es vage. | |
Ob die Versprechungen eingehalten werden, ist schwer abzuschätzen. Denn | |
Ausbeutung gehört zumindest für Teile der Branche zum System. Den Erfolg | |
haben die Unternehmen nicht zuletzt den Arbeitsmigranten zu verdanken, die | |
mittlerweile den Großteil der rund 120.000 Saisonarbeitskräfte stellen. | |
[4][Nach Angaben des Branchenverbands] überstieg das Arbeitspensum der | |
Arbeitskräfte aus dem Ausland 2017 erstmals das der einheimischen. | |
Gewerkschafter schätzen, dass der Anteil der Migranten bei der | |
Champagnerernte mittlerweile bei rund zwei Dritteln liegt. | |
Die [5][Ausbeutung] lässt sich leicht beobachten. Viele provisorische | |
Arbeiterlager sind gut sichtbar an den Straßenrändern zu finden. Auf einem | |
bekannten Parkplatz in einem Vorort von Epernay herrscht an einem Dienstag | |
Mitte September bereits vor Sonnenaufgang Hochbetrieb. Aus den Reisebussen | |
strömen diesmal keine Touristen, sondern zahllose Männer mittleren Alters | |
mit morgengrauen Gesichtern. Kennzeichen vieler Busse ist BG, für | |
Bulgarien, oder TR, für die Türkei. Eilig steigen die Traubenpflücker in | |
kleinere Transporter. Minuten später ist der Spuk vorbei. | |
Am Abend desselben Tages sitzen und liegen in einem kleinen Park am Bahnhof | |
mehrere Männer auf Pappkartons. Alle haben Erfahrungen als Erntehelfer, | |
zumeist schlechte. Das Wort Arbeiterstrich würde ihre | |
Beschäftigungssituation wohl gut zusammenfassen. Zuerst will niemand offen | |
über die Details sprechen. Dann redet doch einer. „An manchen Tagen geben | |
sie uns 50, 60 Euro. Das kann doch nicht sein!“, schimpft jemand, der sich | |
als Youssef vorstellt. „Damit kommt man echt schwer über die Runden.“ Heute | |
Abend, sagt der Mann aus dem Tschad, schlafe er auf seinem Pappkarton. Mal | |
wieder. | |
José Blanco, ein großer kräftiger Mann mit runder Brille, ist so etwas wie | |
der Lautsprecher der Weinleser. Der höchste gewählte Vertreter der | |
Champagnerarbeiter fällt auf, nicht nur durch seine roten Hemden und seinen | |
postgelben Transporter, sondern auch durch seine Demonstrationen. Anfang | |
Oktober zog seine [6][Gewerkschaft CGT] vor den Sitz der | |
Arbeitgebervertretung. Rund 100 Menschen demonstrierten dort mit einem | |
aufblasbaren, zwei Meter großen Champagnerkorken und einem Transparent, das | |
eine Champagnerflasche zeigt mit der Aufschrift: „Mischung: 20 Prozent | |
Weintrauben, 80 Prozent Ausbeutung“. | |
Blanco beobachtet die privaten Arbeitsvermittler schon lange kritisch. Ein | |
Großteil der Erntehelfer der Champagne wird mittlerweile über Dienstleister | |
beschäftigt, von denen es offenbar viele nicht so genau nehmen mit dem | |
Gesetz. Schon vor Jahren machte der Gewerkschafter die großen | |
Champagnerhäuser auf das Problem der Leiharbeit aufmerksam und informierte | |
die lokalen Behörden. Voriges Jahr war Blanco sogar beim Arbeitsminister zu | |
Besuch, um ihn ins Bild zu setzen. Der Landwirtschaftsministerin schrieb er | |
einen Brief zum Thema „skrupellose Dienstleister“. Passiert sei wenig, sagt | |
er. | |
## Unternehmen schießen wie Pilze aus dem Boden | |
Hunderte solcher Firmen sind alleine für das Département Marne registriert, | |
in dem auch die meisten Weinberge der Region liegen. „Die Unternehmen | |
schießen wie Pilze aus dem Boden“, ärgert sich Blanco. „Jedes Jahr werden | |
Firmen eigens für die Ernte gegründet und gleich danach wieder | |
geschlossen.“ Viele von ihnen zahlten keine Sozialabgaben, nicht wenige | |
prellten Löhne. Und kontrolliert würde zu wenig. Das zeigen auch die | |
offiziellen Zahlen. Die zuständige Behörde für Schwarzarbeit in Reims gibt | |
auf Nachfrage an, in dieser Saison mehr als zwanzig Kontrolleure für die | |
Winzer und Dienstleister eingesetzt zu haben: Insgesamt wurden lediglich | |
rund fünf Prozent der Arbeiter überprüft. | |
Gewerkschafter Blanco verrät, welche Leiharbeitsfirmen man sich einmal | |
näher anschauen sollte. Zum Beispiel STV mit Sitz in Epernay, die laut | |
Blanco jedes Jahr 8.000 Arbeiter beschäftigt und offenbar gezielt aus dem | |
Ausland anwirbt, darunter viele Bulgaren mit türkischem | |
Migrationshintergrund. Diese Ich-AG sei „schon länger im Visier der | |
Kontrollbehörden“, sagt er. Ein [7][Blick ins Handelsregister] gibt einen | |
ersten Eindruck. | |
Eingetragen wurde STV bereits 2004. Gründer und Chef ist Unal O., ein Mann | |
mit türkischem Pass, der mit Leiharbeitern in den Weinbergen der Champagne | |
offenbar gutes Geld verdient. 2016, neuere Zahlen gibt es nicht, setzte | |
seine Unternehmung beachtliche 4,3 Millionen Euro um. Zwei Jahre später | |
zahlte sich der Boss bereits 500.000 Euro Dividende aus, das Jahr darauf | |
das Doppelte, anders ausgedrückt: den 50-fachen Mindestlohn. | |
Wer die Masche STV verstehen will, sollte sich unter den Erntehelfern der | |
Champagne umhören. Gemeinsam mit dem bulgarischen Investigativjournalisten | |
Stanimir Vaglenov ist es dem Reporterteam gelungen, mit fünf ehemaligen | |
Arbeitern zu sprechen, die teils in verschiedenen Jahren für STV gearbeitet | |
haben. | |
„Wenn der Chef die Polizei sieht, nimmt er die Beine in die Hand.“ Der | |
Mann, der das erklärt und dabei schallend lacht, war in diesem Jahr | |
Erntehelfer für Unal O. Bei einem spontanen Gespräch zwischen den | |
Weinreben erklärt Stoyan, was er damit meint. Stoyan heißt eigentlich | |
anders, aber möchte nicht namentlich genannt werden. Er und seine | |
Landsleute hätten nicht einmal einen Vertrag bekommen, sagt er. 700 Euro | |
sind am Ende auf seinem Konto eingegangen, wie ein Screenshot der | |
Überweisung belegt. Für 11 Tage Arbeit, sagt Stoyan. Bei mindestens 9 | |
Stunden pro Tag. Damit käme er auf 7 Euro pro Stunde, weniger als der | |
Mindestlohn von 9 Euro netto. | |
Doch das Geld ist offenbar nicht das einzige Problem. Auch werden die | |
Arbeiter der STV den Recherchen zufolge systematisch an weit entfernten | |
Orten untergebracht, in der Regel auf Zeltplätzen in Nachbarregionen. In | |
diesem Jahr soll das unter anderem ein Campingplatz in einem Vorort von | |
Paris gewesen sein. Um 5.15 Uhr habe man sie am Zeltplatz abgeholt, | |
berichtet Stoyan. Teils arbeiteten sie dann bis 19 Uhr, bevor es mit dem | |
Bus wieder zurückgegangen sei. „Das ist nicht fair“, schreibt der junge | |
Bulgare einige Tage später per Whatsapp und fügt hinzu: „Ich will kein | |
Sklave sein.“ | |
## Keine Wasserflaschen für Pflücker | |
Die Vorwürfe gegen STV gehen aber noch weiter. Übereinstimmend berichten | |
mehrere ehemalige Arbeiter und zwei Angestellte eines Auftraggebers über | |
einen weiteren Verstoß: STV habe seinen Weinpflückern in diesem Jahr trotz | |
erdrückender Hitze keine Wasserflaschen zur Verfügung gestellt, obwohl sie | |
gesetzlich dazu verpflichtet sind. Vor-Ort-Recherchen bestätigen die | |
Vorwürfe. Auch andere Arbeiter berichten über teils katastrophale | |
Bedingungen, darunter ein Helfer aus dem Vorjahr, dessen Vertrag in Kopie | |
vorliegt. Demnach gehörte STV damals bereits auf dem Papier zu den | |
Anbietern, die an der untersten Grenze dessen bezahlen, was gerade noch | |
erlaubt ist. | |
Eine weitere Helferin aus dem vergangenen Jahr gibt an, ebenfalls keinen | |
Vertrag erhalten zu haben. Sie sei von STV um viel Geld geprellt worden. | |
Von den versprochenen 2.000 Euro habe sie am Ende weniger als 1.000 | |
erhalten. Zum Beweis sendet die Frau einen Überweisungsbeleg. Glaubt man | |
ihren Angaben, dann wurden sie und vermutlich auch weitere Kollegen | |
deutlich unter dem Mindestlohn bezahlt. „Jeden Morgen standen wir um 4 Uhr | |
auf, fuhren gegen 5 los und kamen um 7 Uhr in den Weinbergen an“, erzählt | |
sie. | |
Ruhezeiten hätte es demnach kaum gegeben: „Unsere Pausen machten wir, | |
während wir uns von einem Weinberg zum anderen bewegten, meist zu Fuß.“ Die | |
Arbeitstage hätten demnach bis 17.30 oder 18 Uhr gedauert: „Erst nach 21 | |
Uhr kehrten wir nach Hause zurück.“ Wenn diese Angaben stimmen, wären die | |
11 Stunden Ruhezeit, die der Gesetzgeber pro Tag vorschreibt, bereits | |
rechnerisch unmöglich. Auch 2022 habe es Probleme mit Trinkwasser gegeben, | |
erklärt die Arbeiterin: „Für vierzig Personen gab es zwei Kanister mit je | |
zwanzig Litern Wasser.“ | |
Unal O. lässt eine Mail mit Fragen unbeantwortet. Per Telefon äußert er | |
sich nur zu einem Teil der Vorwürfe und bestreitet jegliches Fehlverhalten. | |
Der STV-Chef bestätigt zwar, dass sein Unternehmen, dessen Mitarbeiterzahl | |
er auch auf mehrfache Nachfrage nicht nennen will, für „die größten | |
Champagnerproduzenten“ arbeite. Ansonsten passe „Ihre Beschreibung | |
überhaupt nicht zu meiner Firma“, kommentiert O. „Ich hatte noch nie | |
Probleme mit dem Finanzamt oder so etwas.“ | |
O. zufolge ist den Mitarbeitern „immer korrekt der Mindestlohn bezahlt und | |
Sozialbeiträge stets beglichen“ worden, auch seien auch die Bedingungen in | |
den Unterkünften der Arbeiter „mehr als ausreichend“. Er sei zwar von den | |
Behörden und von den Herstellern kontrolliert worden, Beanstandungen habe | |
es aber keine gegeben. Im Übrigen erhielten die Arbeiter ausreichend | |
Trinkwasser. Unal O. bestätigt, dass er auch in Bulgarien rekrutiere. Auch | |
mit den Bulgaren sei „alles in Ordnung“, jeder von ihnen habe einen | |
französischen Vertrag erhalten. Die zuständigen französischen Behörden | |
wollten sich auf Anfrage zum Fall STV nicht äußern. | |
Wer sind eigentlich die Kunden des dubiosen Dienstleisters STV? Die | |
Produzenten Taittinger, Bollinger, zwei bekannte Champagnermarken, außerdem | |
die großen Firmen Mumm und Vranken – und schließlich der Weltmarktführer: | |
Moët & Chandon, das zum Luxusunternehmen LVMH gehört. Diese Unternehmen | |
kooperieren nachweislich seit vielen Jahren mit der Firma. Doch auch nach | |
telefonischer Rückfrage sind die Antworten auf die schriftlichen Fragen | |
spärlich. Befragt zu ihrer Zusammenarbeit mit Dienstleistern im Allgemeinen | |
und kontroversen Anbietern wie STV im Speziellen, antworten zwei der fünf | |
Hersteller gar nicht. | |
## Dienstleister STV wiegelt ab | |
Nur einer der fünf kontaktierten Kunden von STV äußert sich direkt: „Wir | |
arbeiten seit rund zwanzig Jahren problemlos mit diesem Dienstleister | |
zusammen“, erklärt Taittinger. „Uns sind die jährlichen Kontrollen der | |
zuständigen Arbeitsrechtsbehörden (…) bekannt, von denen uns (allerdings) | |
bislang keine Verstöße gemeldet worden sind.“ | |
Taittinger rechtfertigt seine Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern: | |
„Seit mehreren Jahren müssen sich alle Fachkräfte an die zunehmenden | |
Rekrutierungsschwierigkeiten anpassen, insbesondere vor Ort.“ Diese | |
Situation habe dazu geführt, dass während der Ernte auf Dienstleister | |
zurückgegriffen werden müsste, um „die direkt von uns rekrutierten Teams zu | |
unterstützen“. Das Unternehmen fügt hinzu, dass es seine Dienstleister | |
„aufgrund ihrer Erfahrung im Weinsektor der Champagne, der Qualität ihrer | |
Arbeit und der Transparenz unseres regelmäßigen Austauschs vor und während | |
der Ernte“ ausgewählt habe und dessen Arbeit stetig überwacht. Bezüglich | |
des Trinkwassers erklärte Taittinger, STV habe den Arbeitern Wasser in | |
Kanistern zur Verfügung gestellt. Man habe dieses Angebot mit Flaschen | |
ergänzt. | |
Der Spirituosenkonzern Pernod Ricard, zu dem Mumm gehört, teilt lediglich | |
mit, man habe in diesem Jahr 85 Helfer über STV bezogen, um 30 Hektar bei | |
Partnerwinzern zu ernten. MHCS, die Champagnersparte des Großkonzerns LVMH, | |
lehnt auch auf Nachfrage eine Stellungnahme zu ihrer jahrelangen | |
Zusammenarbeit mit STV ab. | |
Das Unternehmen erklärt bloß: „Wir bestätigen, dass wir das ganze Jahr üb… | |
alles unternehmen, um die Gesundheit, Sicherheit und das Wohlbefinden aller | |
Menschen zu gewährleisten, die für uns tätig sind.“ MHCS erklärte außerd… | |
dass es „Prüfer aus verschiedenen Abteilungen mobilisiert“ habe. Wenn | |
Verstöße festgestellt würden, leite man „sofort Korrekturmaßnahmen ein, b… | |
hin zur sofortigen Kündigung des Vertrags mit einem Subunternehmer“. | |
Dominique Ledeme beobachtet die Champagnerindustrie schon lange. Über | |
Jahrzehnte stand Ledeme an der Spitze der Schwarzarbeitskontrollbehörde im | |
Champagne-Departement Marne. Seit gut fünf Jahren ist er in Rente, über | |
eine linke Liste ist er in den Stadtrat von Reims gewählt worden. Im | |
Bahnhofscafé von Reims gibt der Experte im Juli seltene Einblicke in die | |
Auswüchse der Leiharbeit in der Region. „Vor fünfzig Jahren blühte die | |
Champagne auf. Damals war das Kräfteverhältnis umgekehrt.“ In dieser Zeit | |
seien die Leute „zum Arbeiten und zum Feiern“ in die Champagne gekommen. | |
Auch er habe das einmal ausprobiert: „Das war wirklich eine verrückte | |
Zeit.“ | |
Mit der Fusion von Moët & Chandon und Louis Vuitton zum Luxus-Konzern LVMH | |
im Jahr 1987 habe sich das auf einen Schlag geändert: „LVMH hat aus dem | |
lokalen Produkt Champagner ein Renditeobjekt gemacht“, sagt Ledeme. Ab | |
Ende der 80er Jahre hätten seine Leute bei Kontrollen in der Branche | |
zunehmend Verstöße festgestellt bei Arbeitszeiten und Unterbringung. „Schon | |
zu dieser Zeit schliefen Arbeiter in Zelten.“ | |
Der Stundenlohn habe nach und nach dem Akkordlohn Platz gemacht, erklärt | |
Ledeme. Das sei zwar erlaubt, ginge aber oft zulasten der Arbeitnehmer. | |
Viele hätten seitdem auf [8][Leiharbeitsfirmen] gesetzt, nicht nur aus | |
Renditegründen, sondern auch wegen strenger Gesetze. „Über Jahre wurden die | |
Unterbringungsstandards immer weiter verschärft“ und schreckten so selbst | |
viele gutwillige Winzer ab, Arbeiter zu beherbergen, so Ledeme. | |
Schon seit Jahren hat die Leiharbeit in der Champagne schlechte Presse. Im | |
Jahr 2012 wurde zum ersten Mal ein Winzer der Champagne zu einer | |
Gefängnisstrafe verurteilt. Er hatte über eine Briefkastenfirma hunderte | |
Polen ohne gültige Verträge beschäftigt. [9][2019 gab es, nach vier Jahren | |
Ermittlungen], ein zweites Urteil gegen einen anderen Dienstleister, der | |
hunderte Polen unter unwürdigen Bedingungen untergebracht hatte. | |
Im September 2021 wurde ein weiterer Dienstleister nach einem Einsatz von | |
Europol verhaftet. Gemeinsam mit Komplizen habe er seit 2017 „in | |
betrügerischer Absicht unterbezahlte Arbeitskräfte“ zur Verfügung gestellt, | |
hauptsächlich für die Traubenlese in der Champagne, so der Vorwurf. Die | |
Rede ist von 350 bis 500 Bulgaren jährlich. Das französisch-bulgarische | |
Netzwerk habe den französischen Staat um „mehrere Millionen Euro“ betrogen. | |
Acht Personen werden nun der Schwarzarbeit und der Geldwäsche beschuldigt. | |
Die Ermittlungen laufen. | |
In einem aufsehenerregenden Prozess erhielt im Vorjahr ein | |
Unternehmerehepaar drei Jahre Haft und Berufsverbot wegen Menschenhandels. | |
Über ihre Firma Rajviti hatten sie gezielt Asylbewerber angeworben und | |
ausgebeutet. Gleich mehrere große Hersteller profitierten von diesem | |
Subsubunternehmer, ermittelte die Gendarmerie. Auf der Anklagebank fanden | |
sich diese Firmen aber nicht wieder. Lediglich ein verantwortlicher | |
Mitarbeiter der LVMH-Tochter Veuve Clicquot wurde angezeigt, bereits in | |
erster Instanz aber freigesprochen. Die Rolle der großen Firmen wurde im | |
Prozess nicht weiter thematisiert. | |
Erstaunlich, gilt doch in Frankreich seit 2017 ein Gesetz der | |
Sorgfaltspflicht. Große Konzerne wie LVMH müssen demnach „angemessene | |
Vorkehrungen zur Erkennung von Risiken und zur Verhinderung schwerwiegender | |
Menschenrechtsverletzungen“ treffen. Schaut man sich die neuen Vorwürfe an, | |
ist es bis dahin wohl noch ein weiter Weg. | |
30 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Champagner-Knappheit-bei-Hennessy/!5892262 | |
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## AUTOREN | |
Stéphanie Wenger | |
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